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Jede Einzelne ist für Equal Pay verantwortlich – oder doch nicht?

Foto: APA/AFP/GETTY IMAGES/JOE RAEDLE

Wie das Amen im Gebet ist er wieder da: der Vorwurf der Lüge oder zumindest der groben Falschdarstellung in Sachen Equal Pay Day, der aktuell am Montag stattfand. In unzähligen Kommentaren zeigen sich Leser und Leserinnen genervt, ständig auf "grobe Fehler" hinweisen zu müssen, die Journalistinnen und Journalisten angeblich rund um Berichte über die Lohnschere verbreiten. Nun ist das bei frauenpolitischen Themen eigentlich nichts Besonderes. Bei diesen sind Vorwürfe – angefangen bei "Falschdarstellung" bis hin zur "ideologisch motivierten Lüge" – generell schnell zur Hand. Zum Klassiker in Bezug auf derartige Vorwürfe hat es inzwischen aber die Lohnschere gebracht.

Das ist insofern erstaunlich, als dass gerade der Gender-Pay-Gap besonders gut belegt ist. Europaweit erhebt Eurostat regelmäßig – national die Statistik Austria neben weiteren kleineren Institutionen – entsprechende Zahlen. Diese zeigen, dass ohne Berücksichtigung von Teilzeit, Art des Berufs oder Position Frauen um 38 Prozent weniger verdienen; beim Vergleich des durchschnittlichen Jahresbruttoeinkommens ganzjährig Vollzeitbeschäftigter schauen 19,7 Prozent weniger für Frauen raus. Der unter anderem um die schlecht bezahlten "Frauenbranchen" und Teilzeit "bereinigte" Gender-Pay-Gap liegt bei 13,6 Prozent. Lügt uns die Statistik Austria mit all diesen Zahlen Jahr für Jahr an?

Alles ihre Entscheidung

Natürlich nicht. Was meinen also jene, die "Lüge" oder "Falschdarstellung" rufen? Schlicht, dass man nicht ihre Weltanschauung repräsentiert. Dass diese Zahlen zwar eh stimmen, aber dass sie im Grunde kein Problem sind. Schließlich können Männer und Frauen– inzwischen Gott sei Dank! – über ihr Arbeitsleben selbst bestimmen und sind folglich auch an Lohneinbußen selbst schuld. Wie viel Frauen lohnarbeiten? Wo sie arbeiten? Ob sie Kinder kriegen? Wie lange sie daheim bleiben? Ihre Entscheidung! Die Frauen sind halt schön blöd, dass sie nicht in IT-Betriebe gehen, sich ohne Geld um Kinder und Kranke kümmern und dafür bei der Lohnarbeit Abstriche machen.

Dass man Frauen nicht einfach in die – seltsamerweise – besser bezahlten "Männerberufe" verfrachten, die Kinderbetreuung nicht völlig von den Eltern loslösen kann und der Staat uns nicht mit kostenfreier guter Pflege für Angehörige überhäuft – völlig wurscht. Ebenso, dass die Arbeit von Pädagoginnen, Verkäuferinnen, Friseurinnen oder Altenpflegerinnen nicht einfach gestrichen werden kann. Genauso wenig wie das "Menschenmachen", wie Cinzia Arruzza, Tithi Bhattacharay und Nancy Fraser in ihrem Buch "Feminismus für die 99 Prozent" das Kinderkriegen – mit allem, was dazugehört – maximal unpathetisch benennen. All das ist lebenswichtig im besten Sinne. All das muss getan werden. Es fragt sich nur, von wem – und wie hoch der Preis dafür ist.

Der Gender-Pay-Gap ist keine Meinung

Wer bei 38 Prozent weniger Einkommen für Frauen "Selber schuld" sagt und kein gesellschaftspolitisches Problem darin sieht – bitte sehr. Man darf natürlich auch der Ansicht sein, die Einzelnen sollten bitte schön Strukturen überwinden, die schlechte oder gar keine Gehälter für die Arbeit mit Menschen bedingen, anstatt das große Ganze für so viele Einzelne wie möglich zu verbessern. Es ist aber eben eine Ansicht und sicher keine Wahrheit, der JournalistInnen folgen müssen, indem sie den Gender-Pay-Gap als berichtenswerten gesellschaftlichen Umstand ignorieren. Sicher: Wie und ob wir dieser Lohnkluft begegnen ist eine politische Haltung – dass es sie gibt, nicht. (Beate Hausbichler, 23.10.2019)