Partystimmung kam nicht auf – dafür aber eine lebhafte Diskussion, und tatsächlich schien sich auch keiner versehentlich in die Räume von Transform Europe im vierten Wiener Gemeindebezirk verirrt zu haben. Unter dem Motto "Is it time to party?" trommelte die Junge Linke zahlreiche linke Kleinstparteien und Bewegungen zusammen, um öffentlich Standpunkte auszutauschen und Eckpfeiler einer gemeinsamen Partei abzustecken. Auf vertraulicher Ebene soll ein gemeinsames Antreten bei der Wien-Wahl 2020 jedenfalls sogar schon konkreter diskutiert werden, wie der STANDARD erfuhr.

Ob am Ende dieser Sondierungen eine gemeinsame Linkspartei und nicht nur ein weiteres Wahlbündnis tatsächlich realistisch ist, darüber hatten auch die verschiedenen Vertreter bei der Diskussionsveranstaltung unterschiedliche Ansichten. Mitglieder der Jungen Linken, von Aufbruch und Wandel äußerten aber zumindest offen den Wunsch, dass es klappt. Weitaus zögerlicher gaben sich die Mitglieder der türkisch-kurdischen Föderation demokratischer Arbeitervereine (Didf) und Funktionäre der KPÖ. Andreas Wintersperger, Vertreter des neomarxistischen Lesekreises Platypus Vienna, forderte hingegen erstmal die Transformation beziehungsweise die Neuerzählung einer marxistischen Linken. Bei Platypus verstehe man sich auch deshalb als kritische Erbin einer besiegten Tradition. Die Elfenbeinturmkritik eines Zuhörers konnte Wintersperger nicht wirklich entkräften.

Auf der Suche nach der Erzählung

Generell zog sich das Stichwort der "linken Erzählung" aber wie ein roter Faden durch die zweistündige Diskussion. Dani Platsch, Wandel-Kandidatin bei der Nationalratswahl, war überzeugt, dass der Achtungserfolg (22.000 Stimmen, 0,5 Prozent) des Wandel auf die erfolgreiche Erzählung einer besseren, weil postkapitalistischen Welt zurückzuführen sei. Auch weil man "gerade einmal über ein Budget für drei Infostände" verfügte, war sie zufrieden.

Zeynem Arslan von Didf konnte dem grundsätzlich etwas abgewinnen, war aber komplett anderer Meinung, wie die Message transportiert werden soll. Ein bisschen Social-Media-Präsenz reiche dafür nicht. Sie forderte die anwesenden Linken dazu auf, den Kampf endlich wieder auf die Straße zu verlegen, und holte sogleich zu einem Rundumschlag gegen Sozialdemokratie und Gewerkschaft aus. Wo bleibe der versprochene "heiße Herbst" der Gewerkschaften, wo der permanente Kampf gegen den Zwölfstundentag, wo der Aufstand gegen ein Zurückschreiten bei Arbeitnehmerrechten? "Die verarschen uns doch!", rief sie ins Publikum und forderte mehr Radikalität. "Unsere Forderungen sollten doch eigentlich schon lange jene der politischen Mitte sein", so fundamental wichtig seien sie für alle Bevölkerungsschichten.

Tobias Schweiger will eine neue linke Partei, Zeynem Arslan will den Kampf für eine linke Politik auf die Straße verlagern.

Und der Kapitalismus? Der müsse "zerstört", "überwunden", "ausgehebelt" werden, waren sich die Anwesenden über das Grundübel der aktuellen Situation großteils einig, ohne die zahlreichen Fehler der jüngeren und älteren Geschichten der österreichischen Linken zu leugnen oder zu verschweigen. "Wir stehen an einer historischen Bruchstelle", befand der langjährige ehemalige KPÖ-Vorsitzende Walter Baier in Anlehnung an eine Krise der profitorientierten Marktwirtschaft. Langlebige politische Projekte entstünden immer an solchen Bruchlinien.

Postkapitalistisch, internationalistisch, ökologisch und feministisch müsse diese neue linke Partei sein, sofern sie denn entsteht – darüber waren sich alle einig. Und damit könne man auch fünf bis sieben Prozent der Wählerschaft erreichen, ist man überzeugt. Bevor zu solchen – links der Grünen angesiedelten – Höhenflügen aber angesetzt werden könne, brauche es nicht nur eine gute Erzählung, sondern auch Zusammenhalt, kritisierte ein Gast die etlichen Abspaltungen und Neugründungen im linken Lager. Ansonsten werde man die kritische Größe nie erreichen, die mit breiter medialer Berichterstattung und der Chance auf einen Einzug in Parlamente einhergeht.

Wenig Hoffnung auf SPÖ-Abspaltung

Die mediale Berichterstattung wäre der neuen Linkspartei dann bestimmt gewiss, wenn sich Teile des linken SPÖ-Flügels in Richtung einer neuen Partei abspalten würden – wie bei jeder Krise der Sozialdemokratie immer wieder kolportiert wird. "Eine SPÖ nach ihrer Neugründung könnte unsere Anliegen schon auch vertreten", glaubt Platsch. Die Auffangbecken der SPÖ seien aber in der Vergangenheit stets groß gewesen, gibt Tobias Schweiger, Bundessprecher der Jungen Linken, zu bedenken.

Walter Baier sieht die Welt an einer historischen Bruchlinie.
Foto: Junge Linke/Kohlberger

Bliebe noch die Frage nach einer strahlenden Person an der Spitze einer solchen Partei oder eines solchen Bündnisses. "Die österreichische Alexandria Ocasio-Cortez haben wir nicht, und den linken Haselsteiner suchen wir noch", resümiert ein überzeugter Linker die Situation. Er jedoch sieht es als Chance, mit leidenschaftlichem Einsatz und Graswurzelinitiativen den Menschen linke Politik mit realen Erfolgen näherzubringen. Auch auf kommunaler Ebene könne man schließlich etwas bewegen. Es gehe darum, "eine Organisierung von möglichst vielen Leuten zu erreichen und im Leben der Menschen konkret nützlich zu werden", sagt auch Schweiger von den Jungen Linken.

Reicht das für einen Erfolg in Österreich? Sebastian Reinfeldt vom politisch-analytischen "Semiosisblog", sieht im STANDARD-Gespräch mehrere Dinge, die sich ändern müssen. Kapitalismuskritik alleine reiche nicht aus. Ohne Alternativen wird man für weite Teile der Bevölkerung unwählbar bleiben. Auch müsse die Bundes-KPÖ den Führungsanspruch, "den sie zwar immer stellt, aber nicht einhalten kann", abgeben und alte Befindlichkeiten und Streitigkeiten beiseiteräumen, um etwa mit der erfolgreichen steirischen KPÖ zusammenzuarbeiten. Diese verfügt immerhin über zwei Landtagsmandate. "Vor allem aber muss es nicht nur nach etwas Neuem aussehen, sondern etwas Neues sein", rät Reinfeldt den Linken zu einer stärkeren Entkoppelung von der KPÖ als linker Vorreiterin. In der Jungen Linken sieht er einen aufstrebenden Stern. (Fabian Sommavilla, 24.10.2019)