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Der Fall um Chan Tong-kai löste die Massenproteste in Hongkong aus.

Foto: Reuters/Tyrone Siu

Mittwoch früh vor dem Hochsicherheitsgefängnis Pik Uk in Hongkong: Der 20-jährige Chan Tong-kai verbeugt sich, neben ihm Pastor Peter Koon, der ihn in den vergangenen Wochen im Gefängnis konsultiert hatte. Chan entschuldigt sich bei der Familie der ermordeten Poon Hiu-wing für "das nicht wiedergutzumachende Fehlverhalten". Und er entschuldigt sich bei den Hongkongern: "Ich kann nur Sorry sagen."

Poon, das war seine Freundin, die er im Februar 2018 bei einem Valentinstag-Trip in der taiwanesischen Hauptstadt Taipeh umgebracht haben soll. Die Hongkonger spricht er an, weil es die geplante Auslieferung seiner Person war – beziehungsweise die bürokratischen Hürden, die dahinter stehen –, die die größten Massenproteste in Hongkong seit der Rückgabe an China ausgelöst hat.

Gegenüber der Hongkonger Polizei hat Chan die Tat gestanden: Er habe seine Freundin umgebracht, in einem Koffer verstaut und an einer Metrostation in Taipeh abgelegt. Der gebürtige Hongkonger kehrte nach dem Mord nach Hongkong zurück, wo er in den folgenden Wochen mit Poons Vermögen handelte.

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Chan verbeugt sich, als er am Mittwoch das Gefängnis in Hongkong verlässt.
Foto: Reuters/Tyrone Siu

Dafür verurteilte ihn auch ein Hongkonger Gericht zu 29 Monaten Haft. Für den mutmaßlichen Mord ist die Sonderverwaltungszone aber nicht zuständig, weil er in Taiwan passiert ist. Doch Hongkong und Taiwan haben kein Auslieferungsabkommen.

In einer Hauruck-Aktion wollte Hongkongs Regierung unter Chefin Carrie Lam also ein neues Gesetz durchpeitschen, das eine Auslieferung an alle jene Orte ermöglicht, mit denen Hongkong noch kein Abkommen hat, darunter Taiwan, Macau – und auch das chinesische Festland. Hongkong ist ja seit 1997 eine Sonderverwaltungszone der kommunistisch regierten Volksrepublik, mit weitgehenden Autonomierechten unter dem Schlagwort "Ein Land, zwei Systeme".

Das geplante Auslieferungsgesetz der Peking-treuen Regierung löste Massenproteste aus, die die Metropole seit Wochen immer wieder ins Chaos stürzen. Schnell war der Fall von Chan Tong-kai vergessen. Den Protestierenden ging es um die Rettung der Hongkonger Sonderrechte, sie protestierten gegen den zunehmenden Einfluss Pekings.

Doch diese Woche rückte Chan wieder in den Fokus – und damit auch das Tauziehen zwischen Hongkong und Taiwan. Denn die Freilassung des mutmaßlichen Mörders stellt die Frage in den Mittelpunkt: Wird Chan vor ein Gericht in Taipeh gestellt?

Hickhack zwischen Hongkong und Taiwan

Im Kern liegen ungelöste Souveränitätsfragen: In Chinas Logik ist die Insel Taiwan Teil der Volksrepublik. So kommt es zu einem Ringen der Behörden, wie denn Chan nach Taiwan überstellt werden könnte. Erst wollte Taiwan, dass Chan in Hongkong vor Gericht gestellt würde – die Justiz dort sieht sich, wie gesagt, aber nicht zuständig. Zuletzt wollte Taiwan Polizisten schicken, um ihn abzuholen, was aber wiederum Hongkong nicht erlaubt: China erkennt die Hoheit Taiwans ja nicht an.

An Chan selbst scheitert es nicht: "Ich bin bereit, mich freiwillig Taiwan zu ergeben, um mich einer Verurteilung zu stellen", sagte er bei seiner Freilassung. "'Sich ergeben' gibt es nicht", konterte Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen umgehend. Wenn, dann würde es sich um eine "Verhaftung" handeln, präzisierte sie.

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Sicherheitssekretär John Lee verkündet am Mittwoch, dass das umstrittene Gesetz formell zurückgenommen wurde.
Foto: Reuters/AMMAR AWAD

Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam entgleiten die politischen Fäden in Hongkong zunehmend. Die KP-Führung in Peking dementierte am Mittwoch allerdings Berichte der "Financial Times", wonach sie plane, Lam als Regierungschefin austauschen zu wollen. Eine Sprecherin des chinesischen Außenministeriums bezeichnete den Bericht als "politisches Gerücht mit versteckten Motiven".

Just am Tag der Freilassung Chans wurde das umstrittenen Auslieferungsgesetz jedenfalls auch formell zurückgezogen. Lam hatte dies ja bereits vor sieben Wochen angekündigt. Am Mittwoch nahm Sicherheitssekretär John Lee schließlich den Gesetzesentwurf auch im Parlament von der Agenda. (saw, 23.10.2019)