Bruce Springsteen hat sein jüngstes Album "Western Stars" in einer 100 Jahre alten Scheune samt Streichersatz live eingespielt. Das Ergebnis ist sein erster Film als Co-Regisseur samt zugehörigem Soundtrackalbum. Zu den Streichern meint der Boss: "Man hat all diese Kraft an seiner Seite."

Foto: Sony

Cowboystiefel, Flanellhemd und Jeans: Als Bruce Springsteen vor die Leinwand tritt, scheint er ein gängiges Bild seiner selbst zu bestätigen. Launig begrüßt er die an einem regnerischen Vormittag in einem Londoner Hotel versammelte Journalistenschar. Ein überlebensgroßer Americana-Mythos, seit jeher eingespannt zwischen Hemdsärmeligkeit und Cinemascope-Bildern, scheint einen Moment lang greifbar. Es gilt seinen ersten mit Thom Zimny als Co-Regisseur gedrehten Film, Western Stars, vorzustellen.

Von Streichern verstärkt

Dass es den Musikfilm überhaupt gibt, hat laut Springsteen "pragmatische Gründe". Mit von Streichern angereicherten Arrangements sei das im Juni veröffentlichte gleichnamige Studioalbum Western Stars nicht für eine Konzerttour infrage gekommen. Springsteen hatte sich für seine jüngste Songsammlung von der Popmusik Südkaliforniens, von Songwritern wie Burt Bacharach, Jimmy Webb und Glen Campbell inspirieren lassen: "Ich streife ein Jahr ohne Idee herum, und plötzlich kommt etwas daher, und du findest eine andere Vene deiner Kreativität, die du anzapfen kannst. Das kann so etwas Einfaches sein, wie einmal zu versuchen, Songs mit Dur-Septakkorden zu schreiben."

Bis das nebenher im eigenen Studio aufgenommene Album im Kasten war, sollten schlussendlich zwölf Jahre vergehen. Um doch noch ein Gefühl zu vermitteln, wie sich die Songs live anfühlen, bat Springsteen eine Band samt Streichersatz für zwei Tage in seinen "Barn", eine 100 Jahre alte Scheune seines Anwesens in New Jersey. "Es ist ein unglaublicher Raum, wo wir unsere Partys und Hochzeiten feiern. Wir haben eine kleine Bar reingebaut, die immer dort ist, nicht nur für den Film."

Trailer zu "Western Stars".
Warner Bros. Pictures

Beim Liveprojekt mit dabei war auch Springsteens Ehefrau, die Sängerin Patti Scialfa. Es sei ein großer Fehler gewesen, sie nicht schon ins Studio einzuladen: "Schließlich geht es um Männer und Frauen, und Patti bringt viel mit. Wir sind seit 30 Jahren zusammen, das ist eine Menge Erfahrung um dieses kleine Mikrofon." Bei einem reinen Performancefilm sollte es aber nicht bleiben. Er habe sich gefragt, wie er den Leuten das Innenleben völlig neuer Musik näherbringen könne, so Springsteen. Das Ergebnis sind als Voiceover gesprochene Betrachtungen, "eine Meditation über Männer und Frauen, die Schwierigkeit von Liebe und wie man sich von einem Einzelgänger zu einem Leben hinbewegt, das von Freunden, Familie und Gemeinschaftserlebnissen erfüllt ist".

Blick in den Rückspiegel

Der Blick zurück und Erklärarbeit sind für Springsteen, der im September 70 Jahre alt wurde, nicht neu. Er sei in einem Alter, in dem man Bilanz zieht. Das erste Kapitel sei die Arbeit an der 2016 veröffentlichten Autobiografie Born to Run gewesen. Daraus haben sich die ebenfalls von autobiografischen Betrachtungen durchzogene Auftrittsserie Springsteen on Broadway und jetzt eben das Filmprojekt entwickelt.

Und dann gibt es natürlich die Vorliebe für filmische Inszenierungen in den eigenen Songs, besonders wenn er in die Charaktere anderer schlüpft, etwa bei Nebraska, The Ghost of Tom Joad oder Devils & Dust: "Das sind alles meine Kurzgeschichtenalben, das sind meine kleinen Filme."

Jenseits der Konzertsequenzen ist Springsteen in Western Stars oft adjustiert wie ein "Marlboro Man" in weiter Landschaft zu sehen, häufig im Auto oder mit Pferden. Ist hier er den Verlockungen des eigenen Klischees erlegen? Vielleicht. Springsteen erklärt es gewohnt pragmatisch. Die sehr oft in goldgelbes Licht getauchten, an Whiskeyspots erinnernden Filmbilder entwickelten sich aus den Fotosessions fürs Albumcover.

Und dann gibt es noch private Super-8-Filme, die Springsteen in den Film eingebracht hat. Der Musiker ist darin unter anderem bei seinen Flitterwochen mit Ehefrau im Jahr 1988 zu sehen. Gutgelaunt herumkalauernd wirkt Springsteen in diesen Momenten tatsächlich so wie der in seinen Songs oft beschworene kleine Mann von der Straße. Fiktion und Realität kommen einander so nahe wie sonst nirgendwo im Film. Auch dafür hat Springsteen eine Erklärung: "Wenn man sich die Filme anschaut, die Thom ausgewählt hat, geht es ganz und gar um Rituale. Es sind die Dinge, die uns miteinander verbinden: Hochzeiten, Partys, Familie, Tanzen – die Dinge, die unseren Kopf über Wasser halten." (Karl Gedlicka, 24.10.2019)