Anfang Oktober sorgten die Charts der Pornografieplattform Pornhub für massive Kritik: Eines der meistgesehenen Videos der Woche trug zu Deutsch den Titel "Mein Stiefbruder nutzt meine Hilflosigkeit dreist aus" ("My Stepbrother Brazenly Took Advantage of My Helplessness") und zeigt eine junge Darstellerin, die in der Szene von ihrem "Stiefbruder" vergewaltigt wird. Dabei bittet sie ihn mehrfach, aufzuhören, beschwert sich darüber, Schmerzen und Angst zu haben – erfolglos. Sieben Millionen Mal wurde es zu diesem Zeitpunkt angesehen, mittlerweile sind es rund zehn.

Pornhub reagierte auf die Kritik mit der Erklärung, dass die Darstellerin des Filmes "sehr einwilligend und kreativ" sei. Eine Antwort, die für weitere Kritik sorgte: Die – im Allgemeinen pornografiefeindliche – Aktivistin Laila Mickelwait argumentiert, dass "Einwilligung" ein sehr tief gelegter Standard sei, um einzuschätzen, ob ein Inhalt möglicherweise schädliche Auswirkungen haben könnte, speziell auf junge Nutzer.

Fantasie

Dabei handelt es sich um eine Diskussion, die bereits bei den Auswirkungen der Darstellungen von Gewalt, beispielsweise bei Videospielen, rege geführt wird, wie die Sexualtherapeutin Nicole Kienzl auf STANDARD-Anfrage erklärt. "Es ist allerdings nicht zwingend, dass jemand seinen Fantasien auch Taten folgen lässt", so Kienzl.

Es komme weniger auf den Inhalt selbst an als auf die Intensität: "Wie notwendig brauche ich Gewaltfantasien, um sexuell erregt zu werden?" Auch sei es wichtig, dass ein Mann zwischen dem unterscheiden kann, was ihn in der Fantasie erregt, und dem, was er in der Realität mit einer Partnerin tun kann. "Empathie für das Gegenüber gehört dazu. Ein psychisch gesunder Mensch kann eine Grenze zwischen Gedanken und Handlung setzen", sagt Kienzl.

Nicht Trieb, sondern Erniedrigung

Im Falle von Vergewaltigungen stecke weniger Trieb als Schwäche dahinter. "Ein Versuch, ein unsicheres Männerbild durch aggressive Handlungen zu kompensieren", sagt Kienzl. Es gehe um Unterwerfung und Erniedrigung: "Der Mann stellt sich selbst über die Frau, indem er sie erniedrigt."

Lange Zeit – bis 2004 – war eine Vergewaltigung in der Ehe kein Offizialdelikt. Auch heute sei aber erotisierte Erniedrigung bei Paaren alltäglicher, als man annehmen würde. Oft würden Personen von ihren Partnern fälschlicherweise sexuelle Erkenntlichkeit erwarten, weil sie beispielsweise mehr Geld verdienen. Wichtig sei aber zu erwähnen, dass die Therapie von Sexualstraftätern wissenschaftlich bewiesen sei. "Prävention ist sinnvoll. Bei einem solch emotional besetzten Thema besteht leider wiederum die Gefahr, dass man alle vereinheitlicht."

Wieso ist Gewaltpornografie so populär?

Woher kommt aber nun das Interesse an Vergewaltigungspornografie? "Sexfantasien sind oft Wünsche, die nicht realisiert werden müssen", sagt die Sexualtherapeutin. Beispielsweise in den Sexualpräferenzen wie BDSM oder Vergewaltigungsspielen ginge es darum, die Kontrolle abzugeben und dominiert zu werden.

Dieses Interesse gebe es laut Kienzl auch bei Frauen. "Da geht es um die Fantasie, extrem körperlich begehrt zu werden. Der Täter riskiert eine Gefängnisstrafe, nur um einen zu bekommen." Das sei aber ein Irrglaube, da es bei Vergewaltigungen um etwas anderes ginge. "In gewisser Weise ist es ein narzisstischer Wunsch, so begehrenswert zu sein, der Mann sich über alle gesetzlichen Konventionen hinwegsetzt und nimmt, was er möchte", beschreibt Kienzl das. Auch würden solche Fantasien oft entstehen, wenn man sie aus unterschiedlichen Gründen, beispielsweise Moral, Glaube, oder Erziehung, ablehne. "Wer offen mit seiner Sexualität umgeht, wird diese Fantasien nicht brauchen."

Trauma

Teilweise würden Opfer realer Vergewaltigungen auch ihre Erlebnisse auf diese Weise verarbeiten. "Das Trauma wird sexualisiert." Überhaupt würden Fantasien stark von den Erfahrungen in der Kindheit abhängen. "Wer durch Kindheitstraumata geprägt ist, neigt stärker zu sadistischen Fantasien", sagt Kienzl, obwohl das nicht unbedingt sein muss.

In Beziehungen ginge es heutzutage um Gleichwertigkeit und Fairness. "Beim Sex geht es hier um ein Verschieben dieser Gleichgewichte. Zu spielen, dass einer der Dominante ist und der andere sich unterwirft, kann äußerst lustvoll sein. Diese Asymmetrie ist erotisch hoch besetzt", erklärt Kienzl.

Rechtslage

In Österreich ist die Verbreitung von Pornografie juristisch im Allgemeinen schwammig geregelt, wie Rechtsexperten befinden. So verbietet das Pornografiegesetz, das noch aus dem Jahr 1950 stammt, die Verbreitung von "unzüchtigen Schriften, Abbildungen, Laufbildern oder anderen unzüchtigen Gegenständen".

Aus Sicht der Juristin Angelika Adensamer der Grundrechts-NGO Epicenter Works eine veraltete Ansicht: "Dass der Staat da Sittlichkeitsbeschränkungen macht, ist längst überholt", sagt sie zum STANDARD. Man dürfe Gewaltpornografie nicht mit echter Gewalt verwechseln, auch müssten Strafen immer als die letzte Lösungsmöglichkeit gehandhabt werden. "Stattdessen sollte man stärker auf die Arbeitsbedingungen von Sexdienstleistungsbranchen insgesamt schauen. Aber darum geht es den Leuten meistens gar nicht, sondern eher um patriarchale Moral und damit einhergehende Stigmatisierungen", kritisiert Adensamer. (muz, 27.10.2019)