Asche zu Asche, Staub zu Staub – hier eine Auswahl an Bestattungsurnen im Bild. Am nächsten Wochenende zu Allerheiligen und Allerseelen wird wieder der Verstorbenen gedacht.

Foto: APA / Barbara Gindl

Ernst Heym und Samuel Beckett. John Keats und Samuel Pepys und Edith Sitwell. Charles Baudelaire. Auch Peter Rühmkorf und G. K. Chesterton. Heinrich von Kleist und John Wayne und Homer. James Joyce und Hugo von Hofmannsthal und Agatha Christie. T. S. Eliots Vier Quartette, Hermann Kasack und The Player on the other side, einer der unbekanntesten späten Ellery Queen-Romane.

Dazu noch, ganz kurz, die Debatte um Feinstaub und der deutsche Zeichner Fritz Koch-Gotha, der 1914 im Koch-Gotha-Album den Wilhelminismus an dessen letztem Aufleuchten zeichnerisch einfing. Sternenstaub und die Erfindung des Staubsaugers. Marcel Duchamp, der zeitgleich das rätselhafte, schließlich unvollendete Werk La Grande Verre begann und der, ansonsten hochpenibel, in einem vollkommen verstaubten Atelier vor sich hin werkelte.

Der Expressionist Ludwig Meidner, auf dessen apokalyptischen Gemälden jede Menge Staubexplosionen gibt, und James Bond. Dazu die Film-Serie Flash Gordon aus den späten 1930er- und frühen 1940er-Jahren und Isaac Asimov und Horaz. Und das alles für "dust sifting", für das Sieben von Staub.

Archäologie des Staubs

Denn dem Staub, dem ewigen Begleiter der Menschheit, hat der Übersetzer und Essayist Joachim Kalka sein jüngstes Buch gewidmet. Staub in vielen Varianten, in erster Linie seinen literar-archäologischen Ausprägungen, Erwähnungen und den Abdrücken im Staub der Sprache, erforscht er.

Es ist beeindruckend, mit welcher Leichtigkeit und Finesse Kalka, der Jahrzehnte lang in Stuttgart lebte, bevor er vor einigen Jahren nach Leipzig übersiedelte und der in den vergangenen fast fünf Jahrzehnten eine bemerkenswerte Zahl höchst bemerkenswerter Autoren vor allem aus dem Englischen ins Deutsche übertrug, durch die Arkana der Literatur und der Literaturgeschichte galoppiert.

Es ist ein Zitaten-Slalom entlang von entlegenen bis mehr als randständigen Fundstücken aus Literatur, von Becketts Slapstick-Stücken bis zu Horrorgeschichten eines M. R. James und Robert Aickman, und Film – in welchem Western staubt es nicht, in welchem kündet eine Staubwolke nicht Gefahr oder am anderen Ende der Staubskala Entsatz durch eine Militärkompanie an? – und bildender Kunst.

"Montage-Essay", diese ungewöhnliche wie eigenwillige Genrebezeichnung gibt Joachim Kalka seiner Betrachtung über das so wenig Beachtete, aber überall Anzutreffende auf den Weg. In den einleitenden Seiten stuft er dies als modern ein, somit auch als zerrissen – er selber stellt "Schroffheit der Übergänge" in Aussicht.

Und tituliert dies zuletzt als serendipity, als Prinzip der ungesuchten Entdeckung, einer, wie er ausführlich schreibt, fruchtbar werdenden Nichthiergehörigkeit. Und zitiert seinen Vater, der das landläufiger und allgemeinverständlicher als von "Hölzken auf Stöcksken"-Kommen nannte.

Zermahlen der Zeit

Über weite Passagen mutet dieses Buch an, als habe Kalka viele Karteikarten auf einem langen Tisch verteilt, sie kräftig und wild durchmischt. Und anschließend damit begonnen, nacheinander erst eine Karte herauszuziehen, dann die nächste, dann die dritte und vierte und so weiter. Und kurze Überleitungsbrücken entworfen und Sätze geschrieben, die von einer Trouvaille, von der er den Staub bläst, zur anderen geleiten.

Echte, prägnante Leitthesen findet man im Grunde nur wenige. Kaum schickt sich ein Gedanke an, etwas mehr Raum sich zu erobern, schon biegt Kalka rasch um die nächste staubige Ecke. So springt er vom brillanten Aphoristiker Georg Friedrich Lichtenberg zum Barockdichter Friedrich von Logau zum Engländer Thackeray, von dort zu Dumas’ Trois Mosquetaires, zum Frühexpressionisten Ernst Blass, zum persischen Reich zu Georg Heym zu Dr. Samuel Johnson, um schließlich bei zwei Essays des Engländers Thomas Babington Macaulay zu landen, die im deutschsprachigen Raum aktuell außer Kalka selbst niemand kennen dürfte.

Staub gleich Vergänglichkeit gleich das Zermahlen der Zeit. Staub als Preziose des Raren und wenig Benutzten. Nicht umsonst sind seltene Bücher typisch staubbepudert. Staub als Zeichen von Faulheit. Wo er liegt, wird nicht geputzt noch gewischt. Das zeigt Oblomows Behausung, literarischer Inbegriff des Prokrastinierens.

Kalkas Assoziationsketten ließen sich fortspinnen als motivisches Perpetuum mobile, das irgendwann im irdischen Universum zum Stillstand kommt, weil sich umwälzungsbehindernd etwas eingeschlichen hat, das Reibung erzeugt: Staub.

Das ist alles recht vergnüglich, Staunen und Neid erregend, was sich Kalka lesend alles angeeignet hat und worauf er gestoßen ist. Schlägt man das Buch zu, präsentiert sich allerdings das nächste staubige Rätsel.

Auf der Umschlagvorderseite sieht man nämlich einen Schwerlast-Kipper, der Steinbrocken von der schräg gestellten Ladefläche abrutschen lässt. Und natürlich staubt es dabei ganz gewaltig. Nur: Wo kam Schutt im Text vor und Staub erzeugende Entsorgung? (Alexander Kluy, 25.10.2019)