Die Forschung zeigt, dass sich Investitionen in die Bildung von Frauen doppelt lohnen.

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Wenn die Integration geflüchteter Frauen zum Thema wird, ist das Kopftuch meist nicht weit. 2018 rangierte es gar an der Spitze frauenpolitischer Berichterstattung, wie eine Studie der Agentur Media Affairs zeigt.

Über Frauen auf dem Arbeitsmarkt war in österreichischen Tageszeitungen hingegen kaum etwas zu lesen. Ein Thema, das die türkis-blaue Regierung hintanstellte, aber für geflüchtete Frauen aus Ländern wie Afghanistan, Syrien und dem Irak eine spezielle Herausforderung darstellt. Während die Erwerbsquote bei Männern 62 Prozent beträgt, sind nur 45 Prozent der Frauen berufstätig. Eine Zahl mit weitreichenden Folgen. So bedeutet Erwerbsarbeit nicht nur gesellschaftliche Teilhabe, sie kann Frauen auch eine eigenständige Existenz sichern.

"Man hat in der Integrationsdebatte über weite Strecken komplett auf die Frauen vergessen", sagt Judith Kohlenberger, Sozialwissenschafterin an Wirtschaftsuniversität Wien, im STANDARD-Gespräch. Während zu Beginn der Fluchtbewegung 2015 tatsächlich wesentlich mehr Männer in Österreich ankamen, sind aktuell knapp 40 Prozent der neu ankommenden Geflüchteten Frauen.

Forderungen an eine kommende Regierung

Um ihre Inklusion endlich in den Fokus politischer Debatten zu rücken, hat die Allianz "Menschen.Würde.Österreich" rund um Christian Konrad und Ferry Maier einen Forderungskatalog erarbeitet, der sich an die nächste Regierung richtet. Gleichberechtigung und Arbeitsmarktpolitik stehen dabei ebenso im Fokus wie Bildung und Gesundheit. Aber die Allianz fordert auch die Rücknahme der türkis-blauen Verschärfungen bei der Sozialhilfe. Diese würde Frauen mit mangelnden Deutschkenntnissen lediglich weiter in die Armut treiben.

Dass geflüchtete Menschen nach ihrer Ankunft nicht nur Unterstützung beim Spracherwerb, sondern oftmals auch medizinische und therapeutische Betreuung benötigen, liegt auf der Hand. Die oft sehr beschwerliche Flucht und Erlebnisse von Krieg und Folter hinterlassen ihre Spuren. Depressionen, Angststörungen oder posttraumatische Belastungsstörungen sind die Folge. Traumata können sich über körperliche Symptome bemerkbar machen, und bis zu einer zutreffenden Diagnose haben viele Frauen einen langen Weg durch das Gesundheitssystem hinter sich, berichtete Nora Ramirez-Castillo vom Verein Hemayat.

Kassenfinanzierte Psychotherapieplätze sind in Österreich generell Mangelware, für Geflüchtete kommen sprachliche Hürden hinzu. Abhilfe könnte Gesundheitspersonal mit sprachlicher und Kulturkompetenz schaffen, auch "GesundheitslotsInnen" fordert die Allianz: speziell geschulte Personen, die Brücken zum österreichischen Gesundheitssystem schlagen sollen.

Hochqualifizierte Frauen

Körperliche und psychische Gesundheit sind notwendige Voraussetzungen, um andauernd einer Erwerbsarbeit nachgehen zu können. Dem vielerorts beklagten Fachkräftemangel stehen in Österreich gut ausgebildete Frauen gegenüber, die in niedrigqualifizierten Jobs arbeiten oder gar nicht erst in den Arbeitsmarkt eingestiegen sind.

Bei den Bildungsabschlüssen geflüchteter Frauen sei generell eine stärkere Polarisierung als bei Männern so beobachten, weiß Migrationsforscherin Judith Kohlenberger. So gibt es mehr Frauen, die über keinen Bildungsabschluss verfügen, aber auch mehr hochqualifizierte Frauen als Männer.

Absolventinnen technischer und naturwissenschaftlicher Studien werden in Österreich zwar händeringend gesucht, für geflüchtete Frauen stellt die Nostrifizierung – also die Anerkennung eines ausländischen Studienabschlusses – jedoch eine große Hürde dar. Auch an entsprechender Berufserfahrung mangelt es vielen Akademikerinnen. "Hier müssen wir Initiativen schaffen, damit diese Frauen auch ohne die langwierige Anerkennung in Unternehmen eine Chance bekommen", sagt Manuela Vollmann vom ABZ*Austria, das sich für Gleichstellung am Arbeitsmarkt einsetzt.

In sogenannten Kompetenzchecks unterstützt das ABZ*Austria Migrantinnen dabei, sich ihrer Kompetenzen bewusst zu werden und eine berufliche Perspektive zu entwickeln. Das Angebot richtet sich auch an Frauen, die gar nicht erst die Möglichkeit hatten, eine Schule zu besuchen. Auch sie bringen vielfältige Kompetenzen mit: etwa handwerkliche Erfahrung wie das Schneidern von Kleidung – ein möglicher Ausgangspunkt für ein Berufspraktikum oder eine Ausbildung. Wie die Forschung indes zeigt, lohnen sich Investitionen in die Bildung von Frauen doppelt. So hängt der Bildungsabschluss, den Kinder erreichen, stärker vom Bildungsgrad der Mutter als von jenem des Vaters ab.

Arrival-Effect

Frauen spielen aber auch im Integrationsprozess eine besondere Rolle. Als oft Hauptzuständige für die Familienarbeit kommt ihnen eine Vorbildfunktion zu. Ein Grund mehr, frühzeitig in Fördermaßnahmen zu investieren. "Aus der Praxis wissen wir, dass die Begleitung geflüchteter Frauen generell sehr wichtig ist", sagt Judith Kohlenberger. Die Orientierung in einem neuen Land falle leichter, wenn ihnen Mentorinnen mit ähnlichen Erfahrungen zur Seite stünden.

In Sachen Kinderbetreuung unterscheiden sich die Probleme von Migrantinnen hingegen kaum von jenen der Mehrheitsbevölkerung. Betreuungsplätze für Kleinkinder fehlen ebenso wie Kindergärten, die nicht schon mittags schließen. Für viele geflüchtete Frauen steht vor dem Einstieg in den Arbeitsmarkt die Mutterschaft. Mit der Ankunft steige die Geburtenrate stark an, erklärt Kohlenberger. Der Kinderwunsch, aufgeschoben durch die Migration, wird im sicheren Zielland rasch verwirklicht.

Zu einer besonderen Herausforderung wird dies insbesondere in ländlichen Gebieten, wo Kinderbetreuungseinrichtungen ebenso fehlen wie öffentlicher Verkehr oder Deutschkurse. Manuela Vollmann vom ABZ*Austria möchte Arbeitsmarktpolitik deshalb mit Regionalentwicklung zusammendenken. "Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn alle nach Wien ziehen wollen", sagt sie. Sozioökonomische Betriebe, die nicht gewinnorientiert arbeiten, könnten in ländlichen Regionen eine Schlüsselrolle spielen. Etwa Dienstleistungszentren, die Frauen Arbeitsplätze und zugleich Ausbildungsmöglichkeiten bieten – und die der gesamten Gemeinde zugutekommen würden.

Ähnliche Projekte in der Kinderbetreuung und Altenpflege seien in anderen europäischen Ländern bereits erfolgreich umgesetzt worden. "In Österreich denken wir immer noch zu sehr in Silos, wir müssen innovativer werden", sagt Vollmann. Debatten, die nicht beim Kopftuch stehenbleiben, wären ein Anfang. (Brigitte Theißl, 31.11.2019)