Zwei Angeklagte mussten sich am Donnerstag wegen Mordes und Störung der Totenruhe verantworten.

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Eine Tatsache haben alle Morde dieser Welt gemeinsam: eine Leiche. Die jedoch fehlt im Fall der 30-jährigen K. und des 29-jährigen G., der am Donnerstag am Landesgericht für Strafsachen unter dem Vorsitz von Richter Andreas Böhm vor zehn Geschworenen verhandelt wurde.

Irgendwann Ende Mai 2019 – wann genau, das wissen jene Beteiligten, die noch am Leben sind, nicht mehr genau, zu viel Alkohol sei im Spiel gewesen – steckten jedenfalls zwei Schraubenzieher im Kopf von S., einem 43-jährigen Ungarn. Verhandelt wird, unter welchen Umständen sie da hineingeraten sind und damit gegen K. und G. wegen Mordes und Störung der Totenruhe.

Saufgelage in der Messiwohnung

Glaubt man dem Plädoyer von Staatsanwältin Yasmin Kaltenbrunner, ist die Sache klar: In der "Messiwohnung" der Wienerin K., die "als Treffpunkt für Saufgelage" diente – K. verkehrte in der Obdachlosenszene, war des Öfteren im Josi, um im Bekanntenkreis zu trinken –, soll G. "ausgezuckt sein". Grund dafür war, dass das spätere Opfer S. versucht haben soll, die Zweitangeklagte K. zu küssen – K. und G. waren zu diesem Zeitpunkt "so etwas wie ein Paar", wie G. angab. G. schlug S. also mehrmals ins Gesicht, dieser ging zu Boden. "Und da lag er nun, der Herr S.", sagt Staatsanwältin Kaltenbrunner und stellt die rhetorische Frage "Was tun?". Die beiden sollen auf die denkbar schlechteste Antwort gekommen sein: ihn umzubringen.

Nachdem G. das Opfer ins Badezimmer gebracht und gewaschen hat, soll er, wie Kaltenbrunner recht anschaulich mit einem Bleistift, zwischen Zeige- und Mittelfinger eingeklemmt, zeigt, erst einen, dann einen zweiten Schraubenzieher mit einem Hammer in die Schläfe von S. geschlagen haben.

Mann soll bereits tot gewesen sein

An dieser Stelle unterscheidet sich die Darstellung des Erstangeklagten G. von jener der Staatsanwaltschaft. Und von seinem Geständnis, das er nach der Festnahme abgelegt hat. "Bei der Polizei hat man mit einer Packung Zigaretten alles aus mir herausgelockt", sagt er nun. Und: S. habe ihn angegriffen, in einem Gerangel kam dieser dann zu Sturz und starb bereits infolge dessen.

"Ich habe ihn nicht atmen, nicht mehr bewegen gesehen. Sein Bäuchlein hat sich nicht mehr auf und ab bewegt", sagt G. Hätte er gewusst, dass das Opfer am Leben sei, hätte er keine Schraubenzieher in seinen Kopf geschlagen. Damit bekennt er sich nur in Teilen der Anklage für schuldig, nämlich zum Vorwurf der Leichenmisshandlung. Die Zweitangeklagte K. soll währenddessen auf einem Stuhl gesessen, ein Getränk geschlürft und ihm zugesehen haben.

Für diese ist vor allem relevant, ob sie den Erstangeklagten in seiner Entscheidung, S. zu töten – sofern dieser noch am Leben war –, bestärkt hatte. Laut Anklageschrift habe dieser sie zweimal gefragt, ob er ihn töten solle, sie habe zweimal bejaht und würde sich damit als Beitragstäterin mitschuldig machen. Sie wüsste noch, sagt K. in der Einvernahme, dass G., er ist wie das Opfer ungarischer Staatsbürger, sie auf Ungarisch etwas gefragt hatte, das sie nicht verstanden und daraufhin den Kopf geschüttelt hatte. Doch wie an vielen Stellen dieses Prozesses, trübte der Alkohol die Erinnerung. Zwei, drei Flascherl Wodka seien regelmäßig geflossen, dazu jede Menge Wein, gaben beide Angeklagte an.

"Matcho" und "Patscherl"

Außerdem sei sie von G. regelmäßig massiv unter Druck gesetzt worden, er habe wochenlang die Schlüssel zu ihrer Wohnung beschlagnahmt, sie geschlagen und mehrmals vergewaltigt. Einzig um beim Billa Alkohol zu kaufen habe sie hinausdürfen, und da nur in G.s Begleitung. Bei einem dieser Einkäufe hatten sie übrigens auch das spätere Opfer S. kennengelernt und in die Wohnung zum gemeinsamen Trinken eingeladen. "Ist es glaubhaft, dass so ein Macho so ein Patscherl um Erlaubnis fragt?", bevor er jemanden umbringe, fragt Astrid Wagner in die Geschworenenrunde.

Sowohl G. als auch K. weisen laut Sachverständigem Peter Hoffmann eine sogenannte "geistige und seelische Abartigkeit höheren Grades" auf, beide seien massiv durch Alkohol und Drogen geschädigt und würden unter schwierigen Umständen leben. Sollten die Geschworenen sie für schuldig befinden, kämen sie also in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Das Urteil wird für Donnerstagabend erwartet.

Leiche im Müllcontainer

Nach der Tat, in diesem Punkt zumindest sind sich Angeklagte und Staatsanwaltschaft einig, gingen K. und G. zum Tagesgeschäft über: Sie rauchten, tranken und gingen später zu Bett. Nach dem ersten Abend, so sagt es der Erstangeklagte, habe K. eine grüne Decke über den Leichnam gelegt, nach dem zweiten Abend beschlossen, sie zu entsorgen.

Die Leiche wurde also – von G. allein oder von beiden, auch das ist unklar – in den Lift gebracht und in einen Müllcontainer gehievt, den nur wenige Stunden später die Müllabfuhr abholte. Am 1. Juni wurde die Leiche wohl in der Müllverbrennungsanlage am Flötzersteig verbrannt. Unbemerkt, hätte G. nicht einem anderen Obdachlosen von der Tat erzählt und damit Ermittlungen in Gang gesetzt.

Das Wiener Landesgericht kam am Donnerstag trotz Fehlen der Leiche zu einem Urteil: 20 Jahren Haft für G. wegen Mordes und Störung der Totenruhe. Die Geschworenen nahmen es einstimmig als erwiesen an, dass er dem Opfer mit einem Hammer zwei Schraubenzieher in den Schädel gerammt hatte. K. wurde von den acht Laienrichtern dagegen mit 4:4 Stimmen vom Mordvorwurf freigesprochen. Bei Stimmengleichheit war zugunsten der Angeklagten vorzugehen. Weil sie G. beim Beseitigen der Leiche verhalf, kam sie mit drei Monaten bedingt für die Störung der Totenruhe davon. (Gabriele Scherndl, 24.10.2019)