Der Schnee ist erstaunlich griffig. Die Piste trotz 14 Grad Lufttemperatur pickelhart. Die Szenerie am Resterkogel hat etwas Surreales. Skifahren im Oktober. Zwischen den Athletinnen des ÖSV-Kaders, die sich in ihren hautengen, rot-weiß-roten Renndressen auf den nächsten Trainingslauf vorbereiten, turnen Urlauberkinder in T-Shirts, die ihre handyfotografierenden Eltern, vor Freude glucksend, mit Schneebällen bewerfen.

Seit diesem Bild hasse er Drohnen, sagt Betriebsleiter Hochwimmer mit sarkastischem Unterton. Die Aufnahme hat Kitzbühel zweifelhaften Ruhm eingebracht.
Foto: APA / Expa / Johann Groder

Die Jahreszeiten verschwimmen. Am Weg von der Gondelbahn herüber zum Sessellift stapfen schwitzende Skifahrer in Vollmontur neben kurzbehosten Wandersleuten.

Was seit bald zwei Wochen international für Aufsehen sorgt, stört hier oben niemanden. Überhaupt sind die Eckdaten des großen Skandals überschaubar. Auf 800 Metern Länge trugen die Kitzbüheler Bergbahnen auf einem schattigen Nordhang rund 30.000 Kubikmeter Depot-Schnee auf, um schon im Oktober in die Skisaison starten zu können. Das Bild dieses weißen Bandes auf grün-braunem Bergmähdergrund ging um die Welt.

"Ja, es schaut schon komisch aus. Wenn man die Piefke-Saga kennt, ist der Vergleich nicht von der Hand zu weisen", räumt Andreas Hochwimmer, Betriebsleiter am Resterkogel, ein. Dann folgt das große Aber: "Wir starten seit 2008 im Oktober in die Skisaison. Das hat nie jemanden aufgeregt."

Andreas Hochwimmer kann nachvollziehen, dass die Optik nicht schön ist. Inhaltlich sei die Kritik aber schlichtweg falsch.
Foto: Steffen Arora

Erst seit dem Vorjahr, als aufgrund des warmen Herbstes hier oben auf knapp 2000 Metern Seehöhe die Wiesen schneefrei blieben, wurde Kritik laut. Heuer ist das wieder so. "Wäre es rundherum weiß, würde es niemanden stören", ist Hochwimmer überzeugt.

Der Zeitgeist, sprich: das Bewusstsein für die Folgen des Klimawandels, tue ein Übriges. Kitzbühels Schneeband steht symbolisch für alles, was falsch läuft im winterlichen Massentourismus in den Alpen. Doch ist das wirklich gerechtfertigt?

800 Meter Piste reichen eingefleischten Ski-Fans offenbar zum Saisonstart. Am linken Rand haben die Profiteams ihre Trainingsstrecken abgesteckt.
Foto: Steffen Arora

Grüne Kritik mit Lücken

Ja, sagen die Grünen. Sie kritisieren diesen "Tourismus mit der Brechstange", wie der Tiroler Landtagsabgeordnete Georg Kaltschmid es nennt, am lautesten. Er gibt direkt neben dem Schneeband TV-Interviews, erst Reuters, dann RTL.

Zwei Dinge stören ihn: "Das Bild, das der Tiroler Tourismus damit abgibt. Denn niemand denkt im Oktober ans Skifahren." Und schließlich der "ökologische Faktor", der vom Schneeband ausgehe, wie Kaltschmid erklärt: "Das ist ein Eingriff. Im Herbst will die Natur zur Ruhe kommen."

Wintertourismus ohne schneeweißen Weichzeichner. Trotzdem noch nachhaltiger als die meisten herkömmlichen Pisten im Jänner.
Foto: APA / Expa / Johann Groder

Klingt alles plausibel, ist aber nicht ganz richtig. Auch die Landesumweltanwaltschaft Salzburg – der Resterkogel liegt auf Salzburger Boden – konnte trotz intensiver Prüfung keine Gründe für ein Verbot finden. Die betroffene Piste wird seit 1972 zum Skifahren genutzt und wurde dafür einst mit schwerem Gerät bearbeitet. Überhaupt ist die Berglandschaft hier oben alles andere als unberührt.

Alle paar Meter ragen Beschneiungslanzen aus dem Boden, überall stehen Liftanlagen, die Berghänge sind durchzogen von Forststraßen. Es gibt keine schützenswerten Pflanzen oder Tiere auf dem Gebiet des Schneebands.

Auch wenn auf einem Flecken am Hang nun ganzjährig Schnee liegt, ist der davon ausgehende Schaden für den Boden vernachlässigbar. Als "Ausgleichsmaßnahme" für das Schneedepot mussten die Kitzbüheler Bergbahnen ein Moor renaturieren.

Schnee aus dem Depot

Die Piste selbst wird mit Schnee aus dem Vorjahr präpariert, der in einem Depot über den Sommer gelagert wurde. Das machen die Kitzbüheler seit fünf Jahren so.

Der Vergleich mit der Piefke-Saga liegt auf der Hand, das räumt auch der Betriebsleiter ein.
Foto: Steffen Arora

Am Ende der Skisaison wird an der schattigsten Stelle am Nordhang des Resterkogels auf 5000 Quadratmeter Fläche der verbliebene Pistenschnee zusammengeschoben. Der Haufen wird oben mit Hartschaumplatten und seitlich mit einer Isolierfolie abgedeckt. Gegen die UV-Strahlung kommt noch weißes Vlies darüber, wie es auch zum Abdecken der Gletscher benutzt wird.

Diese Technik ist mittlerweile so ausgereift, dass selbst in heißen Sommern nur mehr 13 Prozent des derart gelagerten Schnees wegschmelzen. Da technische Beschneiung erst ab 1. November erlaubt ist, wird bis dahin nur dieser "Recyclingschnee" verwendet.

Aus ökologischer Sicht spricht wenig gegen das Pistenband. Bleibt die Kritik, dass es ein negatives Bild abgebe, wie der Grüne Kaltschmid sagt. Allerdings muss er sich dazu die Frage gefallen lassen, warum er seine Kritik nur auf Kitzbühel richtet.

Kaltschmid selbst ist Hotelier in Walchsee und war dort auch Vorstandsmitglied im Tourismusverband, als dieser vor Jahren trotz regionaler Kritik begonnen hat, ein Schneedepot anzulegen, um die Langlaufloipen für die Gäste zu sichern. Auch dieser Schnee wurde auf grüne Wiesen aufgetragen. Aber nicht im Oktober, erst im November und Dezember, kontert Kaltschmid auf den Vorhalt.

Alpines Kitzbüheler Stillleben. Rennläufer am Weg nach oben.
Foto: Steffen Arora

Den Gästen gefällt's

Befragt man Skifahrer, die an diesem Mittwoch am Resterkogel die 800 Meter-Piste hinunterrutschen, stößt sich niemand am frühen Saisonstart. Im Gegenteil. Rudi Huber aus dem bayerischen Pfaffenhofen ist stolzer Saisonkartenbesitzer und eigens für zwei Tage angereist, um die ersten Schwünge auf seinem Snowboard zu ziehen. "Nachmittags gehe ich auf die Fleckalm biken", erzählt der 57-Jährige.

Familie Flaters aus Essen amüsierte die Szenerie am Resterkogel. Zum Skifahren würden sie aber nicht im Oktober anreisen, sie sind zum Wandern da.
Foto: Steffen Arora

Josef Granegger und Wolfgang Czerwenka sind aus Linz gekommen, um die Skisaison am Resterkogel zu eröffnen. Die beiden Pensionisten haben die Salzburg Superskicard. Dass Kitzbühel so früh startet, gefällt ihnen: "Der Schnee ist besser als am Gletscher", sagen sie. Die Kritik verstehen sie nicht: "Was soll daran schlecht sein? Jedes Elektroauto ist umweltschädlicher."

Neben privaten Gästen sind es vor allem Profis, die das Pistenband zu Trainingszwecken nutzen. Neben den ÖSV-Damen üben am Mittwoch die Skiteams aus Finnland und Polen. Piotr Habdas, 21-jähriger Slalomläufer, sieht nur Vorteile: "So sparen wir uns lange Anfahrten zu den Gletschern."

Der polnische Slalomläufer Piotr Habdas nutzt das Schneeband zu Trainingszwecken. Die Bedingungen seien hier besser, als am Gletscher.
Foto: Steffen Arora

Skihersteller Blizzard testet in dieser Woche mit Händlern aus aller Welt seine neuen Produkte am Resterkogel und bringt damit nach eigenen Angaben mehr als 100 Übernachtungen in die Region.

Etwas verwundert schaut Großfamilie Flaters aus Essen drein, als sie am Resterkogel auf Skifahrer trifft. "Davon wussten wir nix, aber es stört uns auch nicht", sagt Vater Flaters, der zum Wanderurlaub gekommen ist. "Leben und leben lassen. Die sind ja hier aufs Skifahren angewiesen", erteilt er der Region seine Absolution.

Am vergangenen Wochenende nutzten rund 1250 Gäste die Minipiste am Resterkogel. Dank guter Wetterprognosen erwartet Betriebsleiter Hochwimmer dieser Tage wieder einen ähnlichen Ansturm. Die Kritik an der Optik verstehe er, aber: "Rein wirtschaftlich macht es nun einmal Sinn." Für den Grünen Georg Kaltschmid ist das trotzdem kein Argument: "Besser wäre es, die Saisonkarte billiger zu machen und dafür später zu starten." (Steffen Arora, 25.10.2019)