Björn Höcke hat treue Fans. Über sich sagt er: "Vielleicht werde ich auch mal eine interessante persönliche, politische Person in diesem Lande."

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Eine solche Inszenierung kann man nicht planen. Kaum tritt Björn Höcke im thüringischen Rudolstadt auf die Bühne, reißt der Himmel auf und die Sonne scheint. Selig lächelnd steht der 47-Jährige auf dem Marktplatz, genießt den meteorologischen Zufall sowie den Zuspruch seiner Fans.

"Höcke! Höcke! Höcke!" rufen diese mit einer Inbrunst, die sonst keinem AfD-Politiker zuteilwird. Smartphones schnellen in die Höhe, jeder will ein Bild des Stargasts, der am Sonntag Ministerpräsident Thüringens werden möchte.

Was seine Anhängerschaft hören will, weiß der Umjubelte. "Die Kartellparteien haben unsere Identität kaputtgemacht", sagt er, berichtet von "Zusammenrottungen" junger Männer "meist migrantischer Herkunft" in Freibädern und konstatiert: "Multikulti ist Multikriminalisierung." Wenn die AfD in Regierungsverantwortung sei, dann werde er persönlich bei Abschiebeflügen von Erfurt "gute Reise" wünschen.

Jubel und Applaus sind groß in Rudolstadt. Die Sache aber hat einen Haken: Höcke wird nicht in Regierungsverantwortung kommen, weil niemand mit der AfD koalieren will.

Mit dem guten Ergebnis ist das auch nicht so einfach. 10,6 Prozent schaffte die AfD bei der Landtagswahl 2014. Nun liegt sie in Umfragen zwischen 20 und 24 Prozent, was für sich genommen ein Erfolg wäre. Aber Höcke hat das Ziel ausgegeben, stärkste Kraft zu werden. Und für sein persönliches Standing braucht er ein Ergebnis über dem von Brandenburg (23,5 Prozent) und Sachsen (27,5 Prozent) vom 1. September.

Denn Höcke, die Galionsfigur des völkisch-nationalistischen Flügels, will von seiner Heimatbasis Thüringen aus seinen Einfluss auf den Bundesvorstand ausweiten. "Ich werde mich mit großer Leidenschaft der Neuwahl des Bundesvorstands hingeben", hatte er schon im Sommer für die Zeit nach der Thüringer Landtagswahl angekündigt und hinzugefügt, was viele als Drohung auffassten: "Und ich kann euch garantieren, dass dieser Bundesvorstand in dieser Zusammensetzung nicht wiedergewählt wird."

Neue und alte Rechte vereint

Unklar ist, was Höcke – bei gutem Wahlergebnis – bezweckt. Will der Geschichtslehrer im November selbst in den Vorstand? Gegen alle Widerstände gar Vorsitzender werden? "Er sieht sich zweifelsohne als bedeutende politische Figur, die die neue und die alte Rechte vereint", sagt Matthias Quent, Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft im thüringischen Jena.

Im Buch Nie zweimal in denselben Fluss (Manuscriptum-Verlag) gibt Höcke in einem 291-seitigen Interview Einblick in sein Weltbild. Er ist überzeugt davon, dass "die Sehnsucht der Deutschen nach einer geschichtlichen Figur, welche einst die Wunden im Volk wieder heilt, die Zerrissenheit überwindet und die Dinge in Ordnung bringt", tief verankert sei.

Das erinnert nicht nur an dunkle Zeiten, es klingt auch wie eine Selbstempfehlung für den Job. Doch Höcke hat nicht nur Freunde in der AfD, denn keiner polarisiert so wie er, und keiner bringt der Partei auch so viel Ärger ein.

Rechtlose Ausländer

Im Jänner wurde der Flügel vom Verfassungsschutz zum "Verdachtsfall" erklärt, was den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel erlaubt. "Das propagierte Politikkonzept ist auf Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von Ausländern, Migranten, insbesondere Muslimen, und politisch Andersdenkenden gerichtet", heißt es im Amt. Außerdem würden Flügel-Leute immer wieder den Nationalsozialismus relativieren.

Höcke schimpft über die "mediokren Schweinchen-Schlau-Figuren der heutigen Parteiendemokratie", er fordert eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" und skizziert Maßnahmen für "nicht integrierbare Migranten" so: Man werde nicht um eine Politik der "wohltemperierten Grausamkeit", wie es Peter Sloterdijk nannte, herumkommen. "Das heißt, dass sich menschliche Härten und unschöne Szenen nicht immer vermeiden lassen werden."

Er ist aber zuversichtlich, dass "am Ende noch genug Angehörige unseres Volkes vorhanden sein werden" – "auch wenn wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen."

Übergroße Nähe zur NS-Zeit

2017 reichte es dem damaligen, von Frauke Petry geführten Parteivorstand. Gegen Höcke wurde ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet, weil er "eine übergroße Nähe zum Nationalsozialismus" aufweise und sich mit seiner Ablehnung des Parteiensystems "unmittelbar gegen die verfassungsgemäße Ordnung" stelle.

Apropos NS-Zeit: Ende September hat das Verwaltungsgericht Meiningen entschieden, dass man Höcke als "Faschisten" bezeichnen darf. Ein solches Werturteil sei in seinem Falle "nicht aus der Luft gegriffen", sondern beruhe auf "einer überprüfbaren Tatsachengrundlage".

Vor kurzem legte das ZDF AfD-Politikern ein paar Höcke-Zitate vor. Sie konnten nicht einordnen, ob die Worte von Höcke oder von Hitler stammen. Darauf angesprochen, brach Höcke ein Gespräch mit dem Sender ab und erklärte: "Vielleicht werde ich auch mal eine interessante persönliche, politische Person in diesem Lande. Könnte doch sein."

"Ahhh, da seid ihr ja wieder!", ruft er in Rudolstadt höhnisch, als ein ZDF-Team erscheint. "Lügenpresse! Lügenpresse!" brüllt die Menge wie auf Knopfdruck, und für einen Moment hat man Angst um die Kollegen. Doch Höcke hebt die Hand und erklärt gönnerhaft, man möge die Journalisten in Ruhe lassen, sie täten nur ihren Job. Sofort kehrt Ruhe ein.

Konterfei auf Kaffeetassen

Den Ausschluss Höckes hat der Thüringer Landesverband 2018 abgelehnt, vor das Bundesschiedsgericht kam der Fall nie. Höcke war zu mächtig geworden.

Doch sein Egotrip geht vielen ziemlich auf die Nerven. Von keinem anderen AfD-Politiker gibt es Porträts auf Kaffeetassen und Einkaufsbeuteln. Viele in der Partei hoffen geradezu, dass Höcke bei der Wahl zum neuen Bundesvorstand Ende November antritt – und auch gleich untergeht.

Höcke müsse den "Schneid" haben und antreten, sagt etwa der AfD-Chef von Rheinland-Pfalz, Uwe Junge, und fügt hinzu: "Ich bin mir sicher, er wird scheitern."

Selbst in Thüringer AfD-Kreisen weist man darauf hin, dass Höcke zwar viele Anhänger habe, aber bei den Vorstandswahlen eine Mehrheit erreichen müsse, was durchaus nicht gewiss sei. Im Osten, so schätzen Sicherheitsbehörden, gehören 40 Prozent der AfD-Mitglieder dem Flügel an, im Westen sind es weniger. Für einen Platz ganz an der Spitze werde das nicht reichen.

"Die AfD ist und wird keine Björn-Höcke-Partei!", heißt es in einem offenen Brief, den rund 100 Gegner in der AfD unterzeichnet haben. Am Montag nach der Wahl will Höcke nach Berlin kommen und Stellung nehmen. (Birgit Baumann, 27.10.2019)