Online-Bewertungen gehören schon längst zu den wichtigsten Faktoren bei der Kaufentscheidung. Wie gerechtfertigt das ist, wird immer wieder infrage gestellt.

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(Unechtes) Beispiel einer (offensichtlichen) Fake-Bewertung.

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Egal ob Staubsauger, das Hotel beim nächsten Urlaub oder Kinderspielzeug: Wer im Internet bestellt, verlässt sich häufig auf Reviews, die andere Nutzer zu einem Angebot erstellt haben. Diese User sollten – zumindest im Idealfall – das jeweilige Produkt zuvor selbst erworben haben und nun ihre persönliche Meinung dazu abgeben. Solche Online-Bewertungen gehören schon längst zu den wichtigsten Faktoren bei der Kaufentscheidung. Produkte mit Bewertungen unter vier Sternen werden oft gar nicht erst angesehen – wie gerechtfertigt das ist, wird allerdings immer wieder infrage gestellt.

Umso mehr setzen Unternehmen darauf, Reviews zu "frisieren", indem sie positive Bewertungen – vorzugsweise authentisch wirkende – einfach erkaufen. Eine Entwicklung, gegen die Onlinehändler vehement versuchen anzukämpfen. Amazon zum Beispiel gibt an, dass hierfür künstliche Intelligenz eingesetzt wird. Erkennt man einen Verstoß, würde man die Abgabe von Bewertungen zeitweise oder vollständig sperren und gegebenenfalls auch rechtlich dagegen vorgehen.

Schwierig wird es aber für die Plattform, wenn solche Absprachen zwischen Vermittler und "Kunden" gänzlich dezentral erfolgen. So hatte DER STANDARD über Wochen hinweg Einblick in eine Whatsapp-Gruppe, in der solche Angebote für Amazons Marketplace verbreitet werden. Bei dem Marktplatz des Versandhändlers können auch fremde Unternehmen ihre Ware anbieten.

Abhörsticks und Schwitzgurt

Im Grunde genommen ist es eine einfache Methode: Auf Whatsapp bieten sogenannte Vermittler unterschiedlichste Produkte in Gruppen mit über 200 Mitgliedern an. Die Auswahl reicht von Handstaubsaugern, Abhör-USB-Sticks über Smart Watches bis hin zu Kosmetikprodukten und "Schwitzgurten". In weiteren Gruppen können sich Nutzer sogar selbst Produkte wünschen.

Nutzer, von den Gruppenadministratoren als "Tester" bezeichnet, können sich dann beim jeweiligen Vermittler in einem privaten Chat melden. Dort werden sie dazu aufgefordert, das Produkt direkt bei Amazon zu bestellen und vorerst auch die Kosten dafür zu tragen. Innerhalb von vier Tagen sollen sie dann eine Rezension abgeben. Die soll natürlich unmissverständlich positiv sein: "Für dieses Produkt ist eine Fünf-Sterne-Bewertung erwünscht", erklären die Vermittler immer wieder in ihren Guidelines. Wenn etwas nicht stimme, sei eine Kontaktaufnahme möglich.

Nachdem das Produkt also angekommen und die Bewertung online ist, können die Fake-Bewerter den Vermittlern einen Screenshot ihrer Bestellung – inklusive Produkt, Verkäufer, Preis und Bestellnummer – schicken und zusätzlich ihre Paypal-Mailadresse angeben. Nach mehreren Tagen würde dann die Erstattung des Kaufpreises erfolgen.

Eine der zahlreichen Gruppen dieser Art – diese zählt über 200 Mitglieder.
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Dezentral

Wie mehrere Fake-Bewerter, die anonym bleiben möchten und den STANDARD auf diese Praktik hingewiesen haben, bestätigen, geschieht dies auch durchaus. Möglich sei auch eine Ausnutzung dieser Methode in großem Stil. Bei den Händlern handelte es sich, wie eine Prüfung der Unternehmensnamen auf übermittelten Paypal-Auszügen zeigt, ausschließlich um chinesische Unternehmen.

Die Methode ist für diese äußerst attraktiv, geht der Prozess, der zu den gefälschten Bewertungen führt, doch gänzlich dezentral über die Bühne: Der Kauf erfolgt bei Amazon, wodurch der Marktplatzanbieter anzunehmen hat, dass ein Kunde ein Produkt wirklich erworben hat. Die Absprache selbst erfolgt über geschlossene Whatsapp-Gruppen. Die Vermittler werben auch dafür, diese an Freunde und Familienmitglieder weiterzuempfehlen, wodurch sie ihren "Geheimtipp"-Charakter behält. Und die Rückerstattung selbst erfolgt über Paypal, ohne dass ein Zusammenhang zu dem Amazon-Kauf hergestellt werden kann.

Die "Vermittler" dürften Mitarbeiter spezialisierter Agenturen sein, die mit der Abwicklung des Betrugs beauftragt sind. Bei ihren Telefonnummern handelt es sich in den meisten Fällen um Whatsapp-Business-Accounts.

Rechtswidrig, aber keine Verfolgungsmöglichkeit

Illegal ist das aber trotzdem, erklärt der IT-Rechtsanwalt Lukas Feiler von der Kanzlei Baker McKenzie auf STANDARD-Anfrage. So würde es sich um unlauteren Wettbewerb handeln: Der Händler schalte auf diese Weise eine irreführende, weil erfundene Bewertung. Dabei machen sich auch die Bewerter selbst und die Vermittler mitschuldig: "Sie handeln als Gehilfen im Auftrag des jeweiligen Unternehmens und sind somit haftbar", so Feiler. In der Praxis gibt es aber für Amazon – oder Konkurrenten des jeweiligen Verkäufers – keine Möglichkeit, das rechtlich zu verfolgen. "Die Beweislast liegt beim Kläger", sagt der Jurist.

Online-Bewertungen verlieren ihren Wert

Durch diese Methode werden Online-Bewertungen massiv entwertet: Selbst wenn ein Verdacht besteht, ist eine tatsächliche Löschung oder Sperre unmöglich. Für Konsumenten bedeutet das, dass bei Online-Bewertungen grundsätzlich Skepsis angebracht ist. Für sie wird es nämlich immer schwieriger, Fake-Reviews zu erkennen. Zwar haben sie oft sehr offensichtliche Eigenschaften, jedoch erweist es sich speziell bei Produkten, die massenhaft bewertet wurden, zumeist als sehr ungenau, nach Gefühl zu entscheiden.

Redakteurin Muzayen Al-Youssef erklärt im STANDARD-Podcast, wie der Betrug mit Fake-Rezensionen funktioniert.

Außerdem werden gerade bei Nischenprodukten Angebote mit zahlreichen offenbaren Fake-Reviews aufgrund der vielen positiven Bewertungen in den Suchergebnissen weit oben gereiht. Zudem wurden mehrere Produkte, die zuvor in der Gruppe angeboten wurden, innerhalb des Beobachtungszeitraums bei prominenten Suchergebnissen mit Amazons Kaufempfehlung "Amazon's Choice" prämiert. Die Auszeichnung wird laut Amazon Produkten verliehen, die "top bewertet, sofort lieferbar" und "zu einem günstigen Preis" erhältlich sind. Ob das nur maschinell geschieht oder auch ein Mensch Angebote kuratiert, ist unklar. Eine direkte Verbindung zu dem Banner konnte nicht nachgewiesen werden, jedoch war die Anzahl positiver Rezensionen nach einer Welle offenbarer Fake-Reviews stark gestiegen, was auf eine bessere Reihung hindeutet.

Täglich werden dutzende Produkte angeboten. Der Handstaubsauger im Bild zählte beispielsweise eine Vielzahl an positiven Bewertungen. Er wurde im Beobachtungszeitraum auch mehrmals mit Amazons Gütesiegel "Amazon's Choice" prämiert.
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Ein Amazon-Sprecher erklärte auf Anfrage mit Beweismaterial, dass man die Vorwürfe "sehr ernst" nehme. Nach dem Hinweis des STANDARD wurden, wie Screenshots belegen, über 100 gefälschte Rezensionen gelöscht – darunter bei einem Angebot, das das Siegel getragen hat. In einem längeren Statement beschreibt der Konzern seine Bemühungen, um gegen Betrug vorzugehen: So habe man allein im vergangenen Jahr über 400 Millionen US-Dollar in den Bereich investiert. Bei Verstößen würde man auch gerichtlich gegen Betrüger vorgehen (das gesamte Statement im Wortlauf finden Sie unten).

Tools helfen

Gänzlich abschreiben müssen Nutzer Online-Rezensionen trotz dieser Erkenntnisse nicht. Es existieren einige Tools, die zumindest ein wenig Abhilfe verschaffen. Eines davon ist etwa die Analyse-Plattform Review Meta, die Usern erlaubt, Produktrezensionen auf Amazon zu analysieren. Dabei werden unterschiedlichste Tests durchgeführt und in einer Gesamtbewertung zusammengefasst. Beispielsweise wird geprüft, ob ein großer Teil der Rezensionen innerhalb eines kurzen Zeitraums verfasst wurde – ein Hinweis darauf, dass es sich um gekaufte Reviews handelt.

Hierfür reicht es, den Link der jeweiligen Produktseite in die Suchmaschine zu speisen. Alternativ bietet sich die Plattform Fakespot an, die englischsprachige Reviews, beispielsweise bei Amazon, Yelp, Apples App-Store, Steam und Tripadvisor, analysiert.

Quelle prüfen

Auch empfiehlt es sich, mittels einer einfachen Google-Suche zu prüfen, ob es Tests von glaubwürdigen Quellen gibt. Jedoch muss hier beachtet werden, dass eine unbekannte Website womöglich ebenso gefälschte Tests zeigt: So warnte die Stiftung Warentest erst kürzlich vor unseriösen Review-Seiten, vor denen es im Netz wimmelt.

Nicht immer haben Hersteller dafür bezahlt, jedoch schneiden die Betreiber der jeweiligen Fake-Portale anhand von sogenannten Affiliate Links zu Händlern wie Amazon oft zwischen einem und 15 Prozent mit, weswegen es für sie ein lukratives Geschäft ist, Produkte zu bewerben. Erkennbar ist das oft durch prominente Links, die direkt zum Händler führen, überwiegend positive Beschreibungen, Produktbilder, die direkt vom Händler stammen, sowie das Fehlen von Impressum und Datenschutzerklärungen. (Muzayen Al-Youssef, 6.11.2019)