Im November 1942 hatte das nationalsozialistische Deutschland nahezu ganz Europa (und sogar noch Teile von Nordafrika) in seiner Gewalt. Auf ein paar Wochen in dieser Periode datieren die Historiker jedenfalls den Scheitelpunkt der kriegerischen Expansion. Mit der Landung britischer und amerikanischer Truppen in Marokko und Algerien kam der erste Rückschlag, in Stalingrad wurde die Überstreckung wenige Wochen später unhaltbar. Die deutsche Besatzungsmacht hatte aber nicht nur an ihren "Außengrenzen" zu kämpfen, auch in den eroberten Territorien war die Macht keineswegs gesichert. Denn überall gab es Widerstandsgruppen, Partisanen kämpften gegen Soldaten, einfache Leute unterstützten Bemühungen, den Faschismus zu sabotieren.

Der berühmteste Film über diese häufig anonymen Heldinnen und Helden ist zugleich eine Gründungsurkunde des europäischen Nachkriegskinos: Rom, offene Stadt (1946) von Roberto Rossellini erzählt davon, wie die Nazis in Italien sich die Menschen nicht einmal mehr unter Folter gefügig machen konnten. Angesichts der Bedeutung des Partisanenthemas schon für den italienischen Neorealismus mag es erstaunen, dass eine ausführliche Filmgeschichte des europäischen Widerstands gegen den Faschismus immer noch aussteht.

Massimo Tortora

Schritt in die Landschaft

Die Viennale und das Österreichische Filmmuseum wagen nun in diesem Jahr mit der Retrospektive O Partigiano! einen wichtigen Schritt in diese enorm komplexe Geschichtslandschaft. 44 Filme, darunter zahlreiche Raritäten, erinnern nicht nur an Geschehnisse während des Kriegs, sondern auch an das, was man Nachkriegsordnung nannte – die Zweiteilung der Welt mit dem blockfreien Sonderfall der vielteiligen Föderation Jugoslawien.

"Le quattro giornate di Napoli" (1962) von Nanni Loy.
Foto: Cineteca Nazionale

Hier hat die Retrospektive einen Schwerpunkt. In Dreh dich nicht um, mein Sohn (1956) von Branko Bauer flieht der Kommunist Neven Novak aus einem Zug, der ihn in ein Konzentrationslager bringen sollte. Er schmuggelt sich nach Zagreb und sucht dort nach seinem Sohn Zoran, der in einem Internat untergebracht wird, in dem die Buben nach der Ideologie der Ustascha (also der kroatischen Faschisten) erzogen werden.

Die Szene, in der Neven durch Gitter Zoran beobachtet, der bei einer Übung mit seinem Bajonett auf eine Puppe einsticht (sie könnte für Neven und jeden anderen Feind stehen), ist zutiefst erschütternd. Für einen geschichtspolitischen Blick ist Dreh dich nicht um, mein Sohn jedoch vor allem als Dokument vielschichtiger Interessen spannend: Für den Staat Jugoslawien wurde der Partisanenmythos konstitutiv wie für kaum einen anderen, allerdings wurde dieser Mythos auch strikt für die kommunistische Ideologie in den Dienst genommen.

"Die Ballade von einer Trompete und einer Wolke" (1961) spielt in Slowenien: France Stiglic beleuchtet den Partisanenmythos.
Foto: ÖFM

Heute kann man die vielen einschlägigen Filme aus Jugoslawien auch wieder auf die lokalen Traditionen hin befragen, die sich in Einer ist Sarajevo (1972, Bosnien) oder in Die Ballade von einer Trompete und einer Wolke (1961, Slowenien) zeigen. Der Regisseur der Ballade heißt France Stiglic, er ist mit zwei Filmen vertreten, die sofort neugierig auf sein Gesamtwerk machen.

Kindliche Helden

In Tal des Friedens (1956) zeigt sich ein wiederkehrendes Motiv der osteuropäischen Partisanenfilme: Häufig sind Kinder entscheidende Figuren, denn letztlich geht es nicht zuletzt um Fragen der Erziehung (auch die kommunistischen Regime hatten eine Reedukation). In der Ballade findet sich noch ein anderes Motiv: Vielfach sind die Partisanenfilme Winterfilme und Landschaftsfilme, denn die Infrastruktur gehörte den Besatzern, deren Gegnern blieb meist nur die Natur. Oft hausen sie in Höhlen.

In Dreh dich nicht um, mein Sohn sieht man auch Konstellationen, die an anderen Orten Entsprechungen haben, zum Beispiel in der Ukraine in dem sowjetischen Raduga (1944): Es sind oft die Frauen, die sich mit den Besatzern gemein machen, ihnen aber auch gefährlich werden können.

"U gori raste zelen bor" (Am Berg wächst eine grüne Fichte, 1971) von Antun Vrdoljak.-
Foto: Hrvatski filmski arhiv

Mit dem Kurator Jurij Meden hat das Österreichische Filmmuseum einen ausgewiesenen Spezialisten für alle diese Belange: Der gebürtige Slowene überblickt das osteuropäische Kino wie wenige andere. Es macht aber auch sachlich Sinn, mit O Partigiano! vor allem die Geschichtslandschaften zwischen Belgrad und Moskau (mit Exkursen bis nach Dänemark und Griechenland sowie einigen Klassikern aus Frankreich und Italien) in den Blick zu nehmen: Österreich ist mit der Zweiten Republik keineswegs aus diesen Zusammenhängen herausgehoben, sondern kann sich hier wieder einmal ein Bild davon machen, wie differenziert der antifaschistische Konsens vor und nach 1945 war, in einer Zeit, in der es keine Neutralität geben konnte. (Bert Rebhandl, 25.10.2019)