Im Gastkommentar blicken die Politikwissenschafter Felix Butzlaff und Margaret Haderer zurück auf die Geschichte der Arbeiterbewegung. Und sie erklären, warum Luxusuhren und Porsche kein Problem für die Sozialdemokratie sind, sehr wohl aber die Verteidigungsrolle. In einem weiteren Gastkommentar schlägt Roland Fürst, Co-Landesgeschäftsführer der SPÖ im Burgenland, vor, sich auf die drei Pfeile der Sozialdemokratie zu besinnen. Und für PR-Berater Wolfgang Rosam ist "Morgengrün statt Abendrot" eine echte Vision.

Maßlosigkeit und der Konsum von Luxus seien Ausdruck dafür, dass die heutige Sozialdemokratie von ihren ureigenen politischen Idealen weitgehend entkoppelt ist.
Cartoon: Felix Grütsch

Wenn sozialdemokratische Funktionäre wie Pamela Rendi-Wagner, Georg Dornauer oder Thomas Drozda in Nobelrestaurants, Luxusautos oder mit teuren Uhren gesichtet werden, wenn sie (zu Unrecht) verdächtigt werden, sich exorbitante Beratungshonorare zu genehmigen wie Max Lercher, sorgt das immer wieder für Aufregung. Maßlosigkeit und der Konsum von Luxus, so das Argument, seien Ausdruck dafür, dass die heutige Sozialdemokratie sowohl von den Lebenswelten einfacher Menschen als auch von ihren ureigenen politischen Idealen – Gleichheit und Solidarität – weitgehend entkoppelt ist.

Ein Blick in die frühe Geschichte der Arbeiterbewegung zeigt allerdings, dass schillernde und ökonomisch enorm arrivierte Bohemiens keineswegs eine Seltenheit waren. Die Allianz zwischen in der hohen Gesellschaft nicht anerkannten Bürgerlichen und Arbeitern war charakteristisch für die frühe Sozialdemokratie. Anders als heute wurden diese kaum mit Argwohn beäugt, sondern im Gegenteil für ihren bürgerlichen Habitus gar bewundert.

Eitle "Gecken"

Ferdinand Lassalle etwa, einer der Gründerväter der deutschen Sozialdemokratie und Spross einer großbürgerlichen Breslauer Tuchhändlerfamilie, suchte über seine Führungsrolle in der noch jungen Arbeiterbewegung die Anerkennung zu erreichen, die ihm das preußische Bürgertum als jüdischem Außenseiter versagte. Er galt weithin als arrogant, theatralisch und exzentrisch und lebte in einer skandalösen Amour fou mit einer Adeligen, die ihm – dem Sozialdemokraten – eine luxuriöse lebenslange Rente gewährte. Und während Karl Marx und Friedrich Engels ihn als eitlen "Gecken" verhöhnten, widmeten ihm die deutschen Arbeiter feurige Lieder: "... der kühnen Bahn nun folgen wir, die uns geführt Lassalle!"

Auch August Bebel, der "Arbeiterkaiser" der deutschen Sozialdemokratie, starb 1913 keineswegs ärmlich. Er hatte sich im Laufe seines Lebens hochgearbeitet. Seine Leipziger Drechslerwerkstatt florierte trotz seiner Verfolgung als Parteifunktionär unter den Sozialistengesetzen. Zudem bescherte ihm sein in über 50 Auflagen erschienenes Buch über die Utopie einer sozialistischen Gesellschaft, Die Frau und der Sozialismus, derart fürstliche Tantiemen, dass sich eine Villa am Zürichsee ausgegangen ist. Bebel legte größten Wert auf gute Anzüge, bürgerliche Umgangsformen und Taschenuhren.

Mehr Teilhabe

In der frühen Arbeiterbewegung führten die luxuriösen Vorlieben ihrer Parteiführer nicht zwangsläufig zur Entfremdung von der Basis – im Gegenteil. Die Arbeiter waren stolz auf den Erfolg und die Anerkennung ihrer politischen Sprachrohre, wenn diese vom politischen Gegenüber, dem Bürgertum, gefürchtet und gehört wurden. Sie waren stolz auf jene, die den sozialen und materiellen Aufstieg geschafft hatten. Zudem stellten die Insignien und Umgangsformen der bürgerlichen Gesellschaft für die frühe Arbeiterbewegung eher wichtige Orientierungspunkte als Steine des Anstoßes dar.

Es ging nie allein um die grundsätzliche Abschaffung alles Bürgerlichen, sondern um die Ausweitung der Teilhabe daran. Um Zugang zu Bildung, materiellem Wohlstand und sozialen Sicherheiten zu erreichen, war man zum Teil anständiger, bürgerlicher, und aufgeklärter als das Bürgertum selbst – und man war stolz, wenn einer aus den eigenen Reihen der Bourgeoisie auf ihrem eigenen Spielfeld so einheizte, dass die Spielregeln verändert und Privilegien abgegeben werden mussten.

Ruhelose Sammler

Ein gravierender Unterschied zu heute ist allerdings, dass die treibenden Kräfte der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert nicht nur in Richtung Bürgertum hoch-, sondern auch in Richtung Arbeiterquartiere hinabblickten. Viele der führenden Sozialdemokraten waren ruhelose Sammler von Eindrücken und Lebenslagen der Arbeiter, saugten Stimmungen und Realitäten des Kapitalismus vor Ort auf und banden diese in ihre Parteiarbeit ein. Sie waren unermüdliche Übersetzer zwischen den Lebensrealitäten der Arbeiter und der marxistischen Theorie. Zudem waren sie trotz ihrer Einkommenssituation keineswegs vor Verfolgung sicher. Viele von ihnen verbrachten Jahre in Gefängnissen und zeigten, dass sie bereit waren, aus politischer Überzeugung persönliche Risiken in Kauf zu nehmen.

Es sind genau diese beiden Quellen politischer Glaubwürdigkeit, welche die Verehrung durch die Arbeiter ausgemacht haben: die intime Kenntnis und Formulierungsfähigkeit lebensweltlicher Realitäten; die Bereitschaft, für eine politische Überzeugung und einen politischen Kampf Risiken und Entbehrungen hinzunehmen. Die Villa am See oder die teure Uhr wurde Funktionären so lange nicht zum politischen Verhängnis, solange sie erfolgreich und mit hohem persönlichem Einsatz für die politische, soziale und materielle Ermächtigung der Arbeiterschaft kämpften.

Bebels Uhr als Identitätssymbol

Heute nimmt man viele (nicht alle!) Funktionäre der Sozialdemokratie weniger als visionäre und mutige Vorkämpfer für eine neue, bessere Welt wahr, sondern eher als Verteidiger ihrer historischen Errungenschaften. Die Verteidigungsrolle steht der Sozialdemokratie aber weder aus historischen Gründen gut (sie kämpfte immer für mehr und wurde deswegen gewählt), noch ist sie ehrlich. Zu oft hat die Sozialdemokratie selbst ganz unsozialdemokratisch der Verschlechterung von Arbeitsverhältnissen den Weg bereitet.

Die goldene Taschenuhr Bebels ist ab 1913 zu einem wichtigen Identitätssymbol der deutschen Sozialdemokratie geworden, die Parteivorsitzende angeblich ehrfurchtsvoll verwahren. Sie ist auch Symbol für den entbehrungsreichen und auf beeindruckende Weise erstrittenen sozialen Aufstieg eines kollektiven Subjekts und nicht nur einer einzelnen Person. Es ist unwahrscheinlich, dass Drozdas Uhr eine ähnliche Verehrung beschieden sein wird. (Felix Butzlaff, Margaret Haderer, 25.10.2019)