Lungentransplantationen sind eine komplexe, logistisch und medizinisch herausfordernde Angelegenheit. An der Vergabe von Organen ist ein Streit um das AKH Wien entbrannt.

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Die Vorwürfe gegen das Wiener Allgemeine Krankenhaus (AKH) sind beunruhigend. Laut einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" ("SZ") soll eine schwerkranke Griechin ungewöhnlich schnell eine Lungentransplantation (LuTX) im Wiener AKH erhalten haben. Und das obwohl die Vergabekriterien von Spenderorganen streng und transparent geregelt sind. Walter Klepetko, Chef der Chirurgie, wehrt sich gegen die Vorwürfe. Auch dem STANDARD liegt ein anonym zugesandtes Dossier vor – inklusive Dokumenten aus dem AKH.

Wie lauten die Vorwürfe?

Einer griechischen Patientin wird in Wien eine Lunge transplantiert, ohne dass sie auf das Spenderorgan warten muss: Das ist der Stein des Anstoßes, den die "SZ" zum Anlass genommen hat, eine Geschichte über das AKH und seine Aktivitäten in der LuTX zu veröffentlichen. In Wien würden überdurchschnittlich viele Patientinnen und Patienten aus Ost- und Südosteuropa, die nicht zum Eurotransplant-Verbund gehören, behandelt, kritisiert die Stiftung, die mit der Vergabe von Spenderorganen betraut ist, schon seit längerem.

Organe sind ein hochbegehrtes Gut, für das es lange Wartelisten gibt. Die Aktivitäten der Wiener Einrichtung benachteiligten Patientinnen und Patienten aus dem Eurotransplant-Raum. Als Beleg nennt die "SZ" die Organtransfer-Bilanz, also: wie viele Organe spendet ein Land, wie viele Organe bekommt es. Ein Eurotransplant-Experte, der namentlich nicht genannt werden will, geht noch einen Schritt weiter: Die Behandlung zahlungskräftiger ausländischer Lungenkranker am Wiener AKH sei ein Geschäftsmodell, mit dem sich die hiesigen Chirurgen Zusatzhonorare zuschanzen. In Dokumenten findet sich der Betrag von 17.000 Euro pro Eingriff. Der Experte spricht von "Transplant-Tourismus".

Warum ist die Angelegenheit so heikel?

Eine Organtransplantation ist für die betroffenen Kranken die letzte Überlebenschance. Der Vorgang ist aber ethisch komplex: Man entnimmt einem Toten Organe und setzt sie einem anderen Menschen ein. Mit der Entwicklung der Transplantationsmedizin musste ein System geschaffen werden, um illegalen Organhandel zu unterbinden. Drastisch gesprochen: Niemand darf zum Zwecke einer Organspende sein Leben verlieren. Das wird durch penible Dokumentation in internationalen Netzwerken wie Eurotransplant oder Scandiatransplant gewährleistet.

Wie komplex ist Transplantationsmedizin?

Transplantationsmedizin ist medizinische Höchstleistung. Das Einsetzen eines Organs ist chirurgisch herausfordernd, bei der Lungentransplantation sind eine Reihe von hochspezifischen Geräten im Einsatz, auch die intensivmedizinische Nachversorgung verlangt viel Know-how. Damit eine Transplantation stattfinden kann, müssen allerdings umfangreiche Vorarbeiten auf struktureller Ebene geleistet werden. Dazu gehört: eine fachgerechte Entnahme, eine penible Typisierung des Organs. Die Daten werden in ein Vermittlungsnetzwerk einspeist. Zudem muss das Organ ordnungsgemäß aufbewahrt und transportiert werden.

Nur wenn alle diese Hürden qualitätsgesichert gewährleistet sind, ist ein Erfolg möglich. Das ist auch der Grund dafür, warum Transplantationsmedizin fast ausschließlich in medizinisch hochentwickelten Ländern mit entsprechend verlässlichen Gesundheitssystemen angeboten wird. In den süd- und osteuropäischen Ländern "sind sie nicht so weit", kritisiert der Eurotransplant-Experte. Dort würden jene Patienten eine neue Lunge erhalten, die am meisten dafür zahlen können, was EU-Richtlinien widerspricht. Und viele solcher Eingriffe würden in Wien stattfinden.

Was braucht Transplantationsmedizin?

In erster Linie Organe, doch die Organspende ist auch in der EU unterschiedlich geregelt. In Österreich gilt die Widerspruchsregelung. Die Zustimmung zur Entscheidung im Todesfall, ein Organ zu spenden, gilt als getroffen, wenn der Betroffene nicht explizit widerspricht, also keine entsprechende Verfügung gemeldet hat. In Deutschland ist dies anders. Dort muss man registrierter Organspender sein. Insofern ist die Zahl der deutschen Organspenden im Vergleich eher gering. Eine Debatte, dies zu ändern, läuft derzeit im Deutschen Bundestag.

Wie objektiv ist die Organvergabe?

In den letzten Jahrzehnten sind Regularien geschaffen worden, um die Organvergabe objektiv zu gestalten. Nicht nur der allgemeine Gesundheitszustand ist entscheidend, sondern auch die Prognose über die Erfolgsaussichten einer Transplantation. Auch die Blutgruppe und die Größe eines Organs sind entscheidend. Aus diesem Mix an Parametern erfolgt die Vergabe. Verschlechtert sich der Zustand eines Patienten, kann dieser vorgereiht werden. Er bekommt dann den Status High Urgent (HU). Das war bei der griechischen Patientin Anfang Oktober im AKH der Fall. Dass sie sofort operiert wurde, lag allerdings am Informationsvorsprung des Wiener Teams.

Wie funktioniert Eurotransplant?

Neben Österreich sind noch Deutschland, Belgien, die Niederlande, Luxemburg, Kroatien, Slowenien und Ungarn Teil des Eurotransplant-Netzwerks. Diese Länder bilden einen Pool, um die Wahrscheinlichkeit für den Kranken zu erhöhen, ein passendes Spenderorgan zu finden. 695 Spenderlungen wurden im Vorjahr über das Netzwerk vergeben. In Wien wurden 103 Lungen verpflanzt, in Innsbruck elf.

Warum bekam eine griechische Patientin eine griechische Lunge?

Walter Klepetko hat mit der LuTX die Med-Uni Wien als internationales Ausbildungszentrum für Länder außerhalb des Eurotransplant-Raums etabliert. Seit den 1990er-Jahren gab es sogenannte Twinning Agreements mit einer Reihe von Staaten, die nicht Mitglieder von Eurotransplant waren. Ziel ist, die Partnerländer in der Transplantationsmedizin auszubilden. Bis die Infrastruktur und Organisation im entsprechenden Land aufgebaut ist, werden die Operationen – im Idealfall vorübergehend – in Österreich durchgeführt. Genau das ist aber auch ein Kritikpunkt: Eurotransplant hat in der Vergangenheit kritisiert, dass Österreich bei der Lungentransplantation zu viele Twinning Agreements abgeschlossen hat, ohne dass einige der Partnerländer tatsächlich ein funktionierendes System aufgebaut hätten. Der Eurotransplant-Experte sagt, dass die Lungenkranken aus Süd- und Osteuropa den Kranken aus dem Eurotransplant-Pool die Lungen wegnähmen. Deshalb hat Eurotransplant die Twinning-Kooperationen nicht verlängert. Dennoch kommen Organe weiterhin aus diesen Ländern in den Eurotransplant-Raum. Klepetko sieht sich auch deshalb gegenüber dortigen Patienten verpflichtet.

Welcher Schaden ist entstanden?

Der Ruf der Med-Uni Wien leidet, viele Patienten sind verunsichert. Der zitierte Eurotransplant-Experte ortet einen Schaden für potenzielle Empfänger im Eurotransplant-Netzwerk. Klepetko wiederum warnt, dass die Ausbildungsaktivitäten für LuTX in Wien wegen dieser Vorwürfe beendet werden könnten. Die Wiener Ärztekammer stützt in einer Aussendung die Honorargestaltung der LuTX. Die 17.000 Euro werden in Dokumenten mit ärztlicher Leistung gerechtfertigt. Die Transplantpatienten seien meist keine Selbstzahler, sondern es gehe um im Voraus getroffene Vereinbarungen mit den jeweiligen Krankenversicherungen. Und da kann das Ärztehonorar höher sein als bei österreichischen Sonderklassepatienten. Die detaillierte Aufarbeitung soll eine unabhängige Auditkommission mit internationalen Experten klären.

Wie reagieren Patientenverbände?

Angesichts der Vorwürfe gegenüber dem Wiener AKH und dem Leiter der Universitätsklinik für Chirurgie der Med-Uni Wien, Walter Klepetko, hat der Bundesverband Selbsthilfe Österreich (BVSHOE) diesen ihr "volles Vertrauen" ausgesprochen. Österreich habe eines der besten Gesundheitssysteme, jeder habe die Chance, ein Organ zu bekommen, sagt BVSHOE-Vorsitzende Angelika Widhalm.

Das größte Problem sei nun der Verlust des Vertrauens seitens der ohnehin nicht nur körperlich, sondern auch psychisch stark belasteten Patienten, da es sich um ein besonders emotionales Thema handle. "Bei uns laufen die Telefone heiß", schildert Widhalm, "mit Anrufen von Betroffenen, die fragen, ob sie ein Organ bekommen".

Die Menschen auf den Wartelisten seien durch die Anschuldigungen verunsichert, betont Ernst Leitgeb vom BVSHOE, doch "zu über 90 Prozent bekommt jeder, der auf der Warteliste steht, ein Organ". Zwar würden in einzelne Länder – wie auch Griechenland – mehr Organe rausgehen, insgesamt sei die Bilanz für Österreich aber "im Plus".

Befürchtet werde zudem, dass mehr Menschen sich jetzt in das Widerspruchsregister (Eintrag gegen eine Organspende; Anm.) eintragen, meint Widhalm. "Wir machen uns Sorgen um das österreichische Transplantationssystem, das eines der besten der Welt ist." Ein Unterschied zwischen österreichischen und ausländischen Patienten werde nicht gemacht. Es sei außerdem kein Einzelfall, dass ein Patient bereits innerhalb einiger Stunden ein Organ erhält, ergänzt Thomas Tost, Vorstand des Österreichischen Verbands der Herz- und Lungentransplantierten. (Marie-Theres Egyed, Karin Pollack, 25.10.2019)