Premier Boris Johnson will das gerade noch neu einberufene Parlament schon wieder in Neuwahlen verabschieden. Setzt er sich durch, wird am 12. Dezember gewählt.

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Trotz eines Streits in seinem Kabinett über das weitere Vorgehen beim Brexit will Premierminister Boris Johnson eine Neuwahl ansteuern. Nur ein neuer Urnengang könne den Stillstand rund um den britischen EU-Austritt auflösen, sagte er nach einer Sitzung seines Kabinetts am Donnerstag. Ansonsten würden die Debatten rund um den Brexit "noch eine sehr lange Zeit anhalten". Auch einen Termin gibt es schon: den 12 Dezember. In diesem Fall würde das Unterhaus am 6. November aufgelöst werden.

Johnson forderte die oppositionelle Labour-Partei in einem Brief an Parteichef Jeremy Corbyn dennoch zur Zustimmung zu seinem Brexit-Deal vor einer Neuwahl auf, diese sei noch bis zum 6. November möglich. Ansonsten müssten die Sozialdemokraten dem Parlament und den Menschen erklären, welchen Sinn eine weitere Verzögerung erfüllen könne.

Ob das Neuwahl-Vorhaben am Montag vor dem Unterhaus Zustimmung findet, ist aber dennoch ungewiss. Zwei Drittel aller Parlamentarier müssten einem vorgezogenen Urnengang zustimmen. Und die Labour-Partei, die in dieser Frage wohl entscheidend ist, war sich über das weitere Vorgehen vorerst noch nicht einig. Ablehnung signalisierten unmittelbar nach Johnsons Ankündigung die Liberaldemokraten, die einzige Grün-Abgeordnete Caroline Lucas – und vorerst auch viele Labour-Mandatarinnen und Mandatare. Ian Blackford, Fraktionschef der Schottischen Nationalpartei SNP in Westminster, teilte mit, man werde "nicht nach Johnsons Pfeife tanzen".

Johnson fügte seiner Erklärung allerdings eine bedeutende Fußnote an. Die Forderung einer Neuwahl gilt nämlich nur dann, wenn die EU ein neues Austrittsdatum Ende Jänner anbietet, so wie Johnson sie am Samstag unter Zwang des Parlaments in Brüssel beantragt hatte. Sofern die EU nur eine Vertagung auf einen späteren Termin wolle, werde er weiter versuchen, seinen bestehenden Brexit-Deal durch das Parlament zu bringen. So oder anders: Die von Johnson geäußerte Präferenz, "lieber tot im Straßengraben zu liegen", als den Brexit-Termin nicht einzuhalten, wird sich kaum einhalten lassen.

Umfrageinstitute sehen Johnsons Konservative derzeit deutlich in Führung – über das Ausmaß des Abstandes zu Labour sind sie sich allerdings stark uneinig. Die für das britische Mehrheitssystem ungewöhnliche, starke Aufsplitterung zwischen vier Parteien – auch die Liberaldemokraten und die Brexit-Partei sind zweistellig – deutet allerdings die Möglichkeit an, dass es auch nach der Wahl keine klaren Mehrheiten geben könnte.

Uneinigkeit in der Regierung

Vor der Ankündigung waren Meldungen über Uneinigkeit in Johnsons Kabinett nach außen gedrungen. Der frühere Fraktionsgeschäftsführer Julian Smith führte die Phalanx der Wahlskeptiker an. Die Idee sei "Wahnsinn", zitieren britische Medien den Nordirland-Minister Julian Smith. Stattdessen solle Johnson die gewährte Verlängerung für die Beratung des Austrittsgesetzes nutzen.

Insgesamt ging es um einen Richtungsstreit: Während die Propheten des britischen EU-Austritts das Land im Advent an die Wahlurnen rufen wollten, predigten Pragmatiker die rasche Verabschiedung des vorerst auf Eis liegenden Austrittsgesetzes. Zusätzliche Zeit dafür, so ihr Argument, wäre am Freitag entstanden, wenn dem Vernehmen nach die EU der von Großbritannien erbetenen Verlängerung der Austrittsperiode zustimmen will.

Bitte um Aufschub an Brüssel

Eine parteiübergreifende Allianz hatte den Premier zu dem Antrag für den Aufschub gezwungen. In dem gesetzlich festgelegten Text war vom 31. Jänner 2020 die Rede. Trotz genervter Äußerungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der einer Verlängerung um nur 14 Tage das Wort redete, dürfte dieser Termin durchgehen. Ohnehin ist stets davon die Rede, die Briten könnten selbstverständlich den Brüsseler Klub früher verlassen.

Wenn nur innenpolitisch die Einigung gelänge. Davon waren die Parteien auch am Donnerstag aber wieder weit entfernt. Zwar sprachen Unterhändler der regierenden Tories erneut mit der Opposition über den Zeitplan für die parlamentarische Beratung des Austrittsgesetzes, dessen zweiter Lesung das Unterhaus am Dienstag zugestimmt hatte. Doch gibt es nicht einmal in den Fraktionen, geschweige denn über Parteigrenzen hinweg eine klare Meinungsbildung.

Auf Corbyn angewiesen

Allerdings: Ob Labour einer Neuwahl zustimmen wird, bleibt offen. Zwei Anläufe dazu sind bereits gescheitert. Der Premierminister könnte alternativ dazu die Vertrauensfrage stellen und seine Parteifreunde zur Enthaltung animieren. Freilich entstünde dann ein Machtvakuum, in dem sich eine Allianz von Oppositionspolitikern womöglich auf einen anderen Kandidaten als Premierminister einigen könnte, der dann einen wesentlich weicheren Brexit-Kurs einschlagen könnte, als Johnson dies will.

Labours wirtschaftspolitische Sprecherin Rebecca Long-Bailey, eine ernsthafte Kandidatin für die Nachfolge Corbyns, entzückte die Brexit-Aficionados durch widersprüchliche Äußerungen in Medieninterviews. In der BBC wiederholte sie Corbyns gern wiederholte Beteuerung, man strebe eine Neuwahl an, sobald die Drohung des No-Deal-Brexits vom Tisch sei.

Kurz darauf musste sie bei Sky News schon zurückrudern. Fraktionsmanager scheinen sie unmissverständlich auf eine Rebellion aufmerksam gemacht zu haben. Offenbar wollen bis zu 140 Labour-Parlamentarier einer Wahl erst dann zustimmen, wenn entweder der Brexit-Deal beschlossene Sache oder an eine zweite Volksabstimmung überwiesen ist.

Der Premier geriet derweil auch von solchen Parlamentariern unter Druck, die dem nun vorliegenden Austrittspaket eigentlich zustimmen wollen. Dazu gehört der bereits im Frühjahr aus der konservativen Fraktion ausgetretene Nicholas Boles, ein früherer Vordenker der Parteimodernisierung. Er habe seinen Kalender über das Wochenende freigehalten, so der Abgeordnete auf Twitter, um dem Gesetz noch zuzustimmen: "Es ist Johnson, der den Brexit blockiert." (Sebastian Borger aus London, Manuel Escher, 25.10.2019)