In die Höhe geschraubt: das einstige Kurhotel Seeber, heute Parkhotel, in Hall bei Innsbruck.

Filmstill: Lukas Schaller

Betont landschaftsbezogen: Haus Heyrovsky in Zell am See, das am "Internationalen Stil" orientiert ist.

Filmstill: Lukas Schaller

"Meine Burschen" soll er seine Türme genannt haben, das erzählt man sich über Lois Welzenbacher vielleicht auch gern, weil sich der Rustikalcharme, der daraus spricht, so schön konträr zu diesen Türmen verhält. Gerade sie gehören ja zu den Visitenkarten für Welzenbachers Ruf als führender Vertreter der Moderne in Tirol und seine Affinität zum "International Style", der ihm 1932 mit der Einladung zur gleichnamigen Ausstellung von Philip C. Johnson und Henry-Russell Hitchcock im New Yorker MoMA attestiert wurde.

Hochhäuser spielten in Welzenbachers städtebaulichen Überlegungen eine wichtige Rolle. Innsbruck, wo sich der 1889 in München geborene Architekt nach dem Ersten Weltkrieg niederge lassen hatte, verpasste er 1926/27 mit dem Verwaltungsgebäude der Stadtwerke (heute IKB) und dem Adambräu-Sudhaus erste Mini-Wolkenkratzer. Im nahegelegenen Hall setzte er mit dem achtgeschoßigen Kurhotel Seeber (heute Parkhotel) ein vertikales Ausrufezeichen an den Rand des historischen Stadtkerns.

Erweiterung der Perspektive

Die Funktion dieser Gebäude war so unterschiedlich wie ihr späteres Schicksal. Zwar ist Welzenbachers Ruhm in Tirol längst fest zementiert, von den Projekten, die er hier realisiert hat, blieben jedoch nur wenige unverändert erhalten. Man rufe sich in Erinnerung, dass auch das Adambräu-Sudhaus nach der Einstellung des Brauereibetriebes in den 1990er-Jahren vom Abriss bedroht war. 2004 wurde der ikonische Industriebau dann von Rainer Köberl, Erich Wucherer und Thomas Giner sanft in ein Architekturhaus transformiert, in dem heute neben dem Aut. Architektur und Tirol auch das Archiv für Baukunst der Uni Innsbruck untergebracht ist.

Ausgerechnet hier also soll nun an Welzenbachers Image gerüttelt werden? Man könnte den Versuch, ihn aus der "rein modernistischen Ecke" (Aut.-Chef Arno Ritter) herauszuholen, auch eine Erweiterung der Perspektive nennen. Denn die Frage, mit welchen Mitteln Welzenbacher auch für nachfolgende Architektengenerationen in Tirol Türen zu einem neuen Bauen geöffnet hat, das im Fahrwasser von gnadenlos missinterpretierten Kategorien wie Tradition und regionale Identität am Ende nicht doch wieder in modern angestrichene Heimattümelei mündet, lässt sich keineswegs so einfach beantworten, wie man vielleicht denkt.

Perfekt inszeniert

Architekt Köberl, Initiator des Ausstellungsprojekts "Über Lois Welzenbacher", besuchte gemeinsam mit dem Architekturfoto grafen und Filmemacher Lukas Schaller 16 noch erhaltene Welzenbacher-Bauten. In langen, ruhigen Kameraeinstellungen wird von außen und von innen umkreist, durchschritten und erforscht, was Welzenbacher selbst am liebsten in bildhafte Ikonen übersetzt gesehen hatte. Er inszenierte seine Bauten in perfekten, oft von ihm höchstpersönlich retuschierten Fotografien.

Damit haben Schallers stille visuelle Annäherungen naturgemäß nichts zu tun, aber sie bergen zwei Stufen der Erkenntnis. Zum einen: Welzenbacher, dessen Geburtstag sich dieses Jahr zum 130. Mal jährte, war als Architekt erstaunlich undoktrinär und wandlungsfähig. Und er hatte im Übrigen auch keinerlei Berührungsängste mit regionalen Elementen.

Zeichenhafter Industriebau, organische Raumorganisationen wie beim Haus Heyrovsky in Zell am See, dessen Grundriss keinen einzigen rechten Winkel aufweist, die klassizistischen Elemente der Villa Arnold in Wien liegen auch auf der Ebene ihrer Entstehungszeit frappierend nahe beieinander. Zum anderen zeugen kon stante Gestaltungsprinzipien von einer eben doch sehr entschiedenen Haltung: Man nehme etwa jene Dreh- und Spiralbewegungen, mit denen Welzenbacher seine Türme in die Höhe geschraubt oder Häuser gleichsam in die Landschaft "hineingedreht" hat.

Regionales Bauen

Dieses Reagieren auf den und Interagieren mit dem landschaftlichen Kontext ist es schließlich auch, das den Bezug herstellt zu den Fragen des regionalen Bauens der Gegenwart, in der, so Köberl, "überall die gleiche Wohnanlage hingestellt wird". Nicht zufällig findet sich auf der von ihm eingerichteten Welzenbacher-Website (www.loiswelzenbacher.at) deshalb Jean Nouvels wutschnaubendes Plädoyer für eine Architektur des Ortes ("Louisiana-Manifest").

Als situationselastisch erwies sich Welzenbacher allerdings nicht nur in Bezug auf die Landschaften, in denen er baute, sondern im weniger positiv gemeinten Wortsinn auch während der NS-Zeit. Bereits 1933, nur ein Jahr nach dem Auftritt in New York, wurde er Mitglied der Reichskulturkammer und übernahm später öffentliche Aufträge des NS-Regimes. Dieser Aspekt seiner Biografie ist bis heute unterbelichtet geblieben, worauf man im Archiv für Baukunst, das den wichtigen architekturhistorischen Part der Ausstellung übernommen hat, immerhin pflichtschuldig hingewiesen wird.

Erwähnt sei auch der hier ge hütete Schatz an Entwurfsplänen und Zeichnungen, etwa für die Bebauung des Donaukanals. Als Anschauungsobjekt empfiehlt sich vor all diesen Hintergründen auch das Welzenbacher-Haus in Absam bei Innsbruck: erbaut 1945, Welzenbacher war aus München zurückgekehrt, auf einer noch kriegsbedingt auf 6_x_6 limitierten Grundfläche. Noch kein "Bursch", trotzdem ein Turm, gesetzt als Punkt in die Landschaft. (Ivona Jelcic, 27.10.2019)