Eva-Maria Brem: "Manchmal würde ich mir wünschen, dass ich einfach fahren und alles gleich sein würde. Nichts spüren, einfach tuschen lassen und fertig. So ist es aber nicht und damit muss ich umgehen."

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Sölden – Eva-Maria Brem findet es "witzig", sagt sie, dass sie immer wieder zu ihren Verletzungen befragt wird. Für sie ist dieses Thema erledigt, abgehakt. "Ich denke nicht mehr daran. Ich bin 31, mir tut nichts weh und ich bin fitter, gesünder und austrainierter als ich es mit 20 war." Das zweimal gebrochene Bein sei wieder in ursprünglichem Zustand, ideal. Es brauche – wie auch das andere Bein und andere Körperteile – natürlich etwas Liebe und Massagen.

Im Sommer sei es ihr heuer besonders leicht gefallen, sich zu quälen. Die bevorstehende Saison mit neuem Material vom früheren Hirscher-Ausrüster Atomic und die damit verbundene Herausforderung riefen eine riesen Freude in ihr hervor und bescherten ihr die nötige Motivation. Zudem kann die Riesentorlaufspezialistin noch von ihren vergangenen Erfolgen zehren. "Es ist gut für meinen Charakter, zu wissen, dass ich es kann, dass ich die beste sein kann. Es gibt Leute, die haben Selbstvertrauen ohne Ende, aber der Mensch bin ich nicht. Ich bin sehr selbstkritisch." Sie verfügt über einen enormen Erfahrungsschatz, den sie auf dem Weg zur Kristallkugel und auch danach angereichert hat. Richtige und falsche Entscheidungen haben ihr dabei gleichermaßen geholfen und sie weiß, an welchen Schrauben zu drehen ist. Dabei helfen ihr ihre Erfahrungen, auch wenn sie nach dem Prinzip Versuch und Irrtum immer wieder neue machen müsse.

Fluch und Segen

Manchmal würde sich die Tirolerin wünschen, nicht ganz so viel zu spüren. Sensibilität beim Skifahren sei eine Eigenschaft, die Fluch und Segen zugleich sein kann. "Manchmal würde ich mir wünschen, dass ich einfach fahren und alles gleich sein würde. Nichts spüren, einfach tuschen lassen und fertig. So ist es aber nicht und damit muss ich umgehen." Die Feinfühligkeit habe ihr aber auch am Weg zu den Erfolgen geholfen.

Ihre Karriere wurde erstmals 2010 länger unterbrochen, als sie sich einen Schien- und Wadenbeinbruch zuzog und danach die Heim-WM 2013 in Schladming und auch Olympia 2014 in Sotschi verpasste. Dann aber begann es zu laufen, ihren ersten Podestplatz holte sie im März 2014 als Dritte des Riesentorlaufs in Aare. Nach Platz zwei beim Weltcupfinale in Lenzerheide und Platz drei beim folgenden Saisonauftakt in Sölden schaffte sie im November in Aspen den ersten Weltcupsieg. 2015/16 feierte sie mit dem Gewinn der Riesentorlaufkugel ihren bislang größten Erfolg und wurde zur Sportlerin des Jahres gewählt. Mit einem neuerlichen Schien- und Wadenbeinbruch musste sie die komplette Saison 2016/17 auslassen.

Tendenz nach oben

Danach begann ein beschwerlicher Weg zurück. Optimistisch stimmt sie, dass sie trotz allen Unheils in der Vergangenheit weiter in der Weltspitze mitmischen kann. "Ich habe nicht so viel gewonnen wie andere, aber ich kenne auch niemanden, der sich zweimal dasselbe Bein gebrochen hat und immer noch Weltklasse ist." Jeder habe seinen Weg, den es zu meistern gebe. Sie ist noch nicht satt, will noch einmal ganz nach vorne kommen und mehr gewinnen. "Wenn du dich als Nummer eins verletzt, dann hast du nicht selbst entschieden, dass es vorbei ist. Bislang stand sie neben Aspen 2014 nur noch in Courchevel 2015 und Jasná 2016 ganz oben. Diese Saison will sie das ändern, nachdem sie am Ende der vergangenen Saison als Sechste in Spindlermühle und Siebente beim Weltcupfinale in Soldeu bereits wieder ordentlich aufzeigte.

Nach dem neuerlichen verletzungsbedingten Fehlen der Nummer eins im Riesentorlauf, Stephanie Brunner, in Abwesenheit der noch nicht bereiten Anna Veith und dem Hickhack um Katharina Liensberger, die wegen ihrer leidigen, noch nicht gelösten Ausrüsterproblematik vor dem Weltcupstart aus dem Kader flog, ist Brem neben Ricarda Haaser wohl die aussichtsreichste ÖSV-Starterin am Samstag (10 und 13 Uhr) am Rettenbachferner weit oberhalb Söldens. Zugleich ist sie die bislang letzte ÖSV-Läuferin, die einen Weltcup-Riesentorlauf, eben jenen in Jasná 2016, gewinnen konnte. (Thomas Hirner, 25.10.2019)

ÖSV-Aufgebot für den Damen-Riesentorlauf in Sölden: Eva-Maria Brem, Nadine Fest, Franziska Gritsch, Ricarda Haaser, Elisa Mörzinger, Bernadette Schild, Rosina Schneeberger, Ramona Siebenhofer und Katharina Truppe