Original Play ist oder war in Österreich an hunderten Einrichtungen aktiv.

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Wien – Die Vorwürfe gegen Original Play wiegen schwer: Berichten des ARD-Magazin "Kontraste" und des ORF zufolge kam es in Berlin und Hamburg im Jahr 2018 zu sechs Verdachtsfällen, die den Verein in Zusammenhang mit Missbrauchsfällen bringen. Die Ermittlungsbehörden hätten die Verfahren aber nach kurzer Zeit eingestellt, weil die Kinder zu klein waren, den Eltern nicht geglaubt worden sei oder Ermittlungsfehler gemacht worden sein sollen.

Der Verein ist auch in Österreich aktiv und bietet Schulen, Flüchtlingsunterkünften, Kindergärten oder auch Pfadfindern seine Workshops und Trainings an. Das Konzept: Die Teilnehmer – Erwachsene und Kinder – rangeln und spielen miteinander, Einrichtungen laden also externe Erwachsene ein, um mit den Kindern zu spielen. "Original Play ermöglicht allen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ein liebevolles Miteinander. Es bereichert unser Leben und erweitert unsere Handlungsmöglichkeiten", heißt es auf der Website des Vereins.

ORF

Experten kritisieren das heftig: "Für mich ist das eine Einladung zur Übergriffigkeit an Kindern", sagte etwa die Trauma-Expertin Michaela Huber dem ARD-Magazin. Der in Salzburg tätige Kinderpsychiater Karl-Heinz Brisch forderte rechtliche Konsequenzen: "Dieser Verein müsste sofort verboten werden, weil er in einer hochkritischen, undifferenzierten Weise Körperkontakt in einer geschützten Situation im Kindergarten zu Kindern sucht – und das in einer vollkommen unkontrollierten Art und Weise."

AKH, Caritas, Diakonie, Kinderfreunde

Hunderte Einrichtungen in Österreich dürften das Angebot von Original Play in Anspruch genommen haben, wie eine Analyse der Website von Original Play zeigt, darunter sind etwa der AKH-Betriebskindergarten, Einrichtungen der Caritas und der Diakonie und der Kinderfreunde. Missbrauchsfälle sind in Österreich derzeit nicht bekannt.

Der Geschäftsführer der Wiener Kinderfreunde, Christian Morawek, sagt auf STANDARD-Nachfrage, dass er am Freitag, also am Morgen nach Aufkommen der Vorwürfe, sofort die Zusammenarbeit mit dem Verein beendet hat. Man habe zehn Jahre in drei oder vier Kindergärten immer wieder zwei Menschen – eine Hortpädagogin und einen Kindergartenpädagogen – von Original Play für Kurse da gehabt, sagte Morawek. "Es ist bei uns aber wie bei allen externen Angeboten Standard, dass eine vertraute Person von uns dabei ist."

Der Direktor einer Vorarlberger Volksschule, auch dort war Original Play aktiv, gab gegenüber dem STANDARD an, Fred Donaldson, der Gründer von Original Play – er spielt nach eigenen Angaben seit 1970 mit unzähligen Menschen jeden Alters und mit freilebenden Tieren –, selbst sei vor vier, fünf Jahren an der Schule gewesen, um mit Kindern und Erwachsenen zu spielen. "Das war eine sehr positive Erfahrung", sagt der Direktor, "da waren 30 Kinder und fünf Lehrer, für uns war das damals total unbedenklich."

Die Wiener Caritas bestätigt, dass es in einer Einrichtung einen Einsatz von Original Play gab, dieser sei schon zwei Jahre her und ohne "besondere Wahrnehmungen", wie ein Sprecher sagt. In einer anderen Einrichtung der Wiener Caritas soll es laut Original Play ebenfalls Einsätze gegeben haben, wovon man bei der Caritas Wien wiederum nichts wusste. Einzelne Einrichtungen, die der STANDARD kontaktierte, weil Original Play dort aktiv gewesen sein will, bestreiten das.

Die Diakonie Österreich gab auf STANDARD-Anfrage bekannt, die Dienste von Original Play in Anspruch genommen zu haben. Es habe ein gratis Angebot des Vereins in einem Flüchtlingsheim gegeben. Negative Vorfälle seien allerdings keine bekannt. Bis zur vollständigen Klärung der Vorwürfe gegen den Verein werde das Angebot in dem Flüchtlingsheim eingestellt.

Wie der Verein agiert

Sonja Mille ist selbst eine der sogenannten "Apprentices", also jener Vereinsmitglieder, die von Einrichtungen eingeladen werden, um zu spielen. "Wir haben eine mindestens dreijährige Ausbildung", sagt sie, diese beinhalte mehrere Workshops und Seminare in Österreich und Polen – Original Play sitzt als Stiftung in Polen. Wenn Einrichtungen über den Verein eine Veranstaltung mit Original Play buchen würden, dann würde ausschließlich einer der zwölf ausgebildeten Apprentices kommen – diese müssten im Zuge ihrer Ausbildung auch einen Leumund vorweisen.

Bevor man zum Apprentice wird, müsse man Praxiserfahrung sammeln, dafür begleiten Hospitanten ausgebildete Apprentices bei deren Arbeit. "Da liegt jetzt so ein Verdacht in der Luft, dass wildfremde Menschen nach Zwei-Tages-Workshops anklopfen und sagen 'Hier bin ich', aber wenn die das machen mit dem Vorsatz, jemandem zu schaden, dann sicher nicht unter irgendeiner Erlaubnis vom Verein", sagt Mille, die die Vorwürfe in Deutschland nicht nachvollziehen kann.

Niederösterreich verbietet Verein, Kritik auch aus Wien

Die niederösterreichische Bildungslandesrätin Christiane Teschl-Hofmeister (ÖVP) ließ noch am Freitag per Aussendung vermelden, dass der Verein in Niederösterreich ab sofort nicht mehr tätig sein dürfe. Im Bildungsministerium verweist man auf derzeit in Erarbeitung befindliche einheitliche Qualitätskriterien für die Arbeit mit Kindern. "Intimität und Individualität von Kindern dürfen nicht tangiert werden – das ist ein Grundsatz, der in allen pädagogischen Einrichtungen uneingeschränkt eingehalten werden muss", betonte man im Ministerium. "Für Körpererfahrung und Gewaltprävention gibt es pädagogische Konzepte, die ohne diese Grenzüberschreitung auskommen."

Auch das Wiener Rathaus ist dagegen, den umstrittenen Verein zu engagieren. Die im Raum stehenden, schwerwiegenden und beunruhigenden Vorwürfe hätten die Wiener Kinder- und Jugendhilfe und die Bildungsdirektion veranlasst, eine Empfehlung an alle Kindergärten und Schulen auszusprechen, die Kooperation mit dem Verein einzustellen, hieß es am Freitag. Wenn ein Verdacht bestehe, dass der Verantwortung für Kinder nicht in vollem Umfang nachgekommen wurde, "werden die zuständigen Behörden dem unverzüglich und mit voller Intensität nachgehen", betonte Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ). Es liege grundsätzlich in der Verantwortung der Kindergartenbetreiber, welche pädagogischen Zusatzangebote zugekauft werden. Der jeweilige Träger habe, so betonte der Stadtrat, sicherzustellen, dass das Wohl der Kinder nicht beeinträchtigt werde.

In Österreich wussten vor den Medienberichten manche Bildungsdirektionen nichts über Original Play. Das Bildungsministerium hat keinen Überblick darüber, welche externen Vereine in Kindergärten und Schulen in Österreich zum Einsatz kommen. Der Katholische Familienverband Österreich (KFÖ) übte am Freitag scharfe Kritik und ortete in einer Aussendung eine "Lücke im System": "Vereine, die an Bildungseinrichtungen, egal ob in der Schule oder im Kindergarten tätig sind, müssen strenger geprüft werden", forderte der KFÖ.

Original Play selbst betonte am Freitag auf seiner Homepage, dass man die Kritik nicht nachvollziehen könne, "weil uns keinerlei Vorfälle bekannt sind. Seien Sie versichert, dass unser erstes Interesse immer dem Schutz der Kinder gilt", hieß es dort. Gründer Donaldson, wies im Gespräch mit dem ORF und der ARD zurück, dass seine Methode Kindesmissbrauch möglich mache. Ein Workshop vom Donaldson, der im November in Salzburg hätte stattfinden sollen, wurde laut Angaben von Original Play abgesagt. Angesichts der im Raum stehenden Vorwürfe, hat Original Play am Freitagabend seine Kritiker eingeladen, "mit uns in Dialog zu treten", um sich selbst ein Bild zu machen. "Wir erkennen ganz sicher an, dass etwas Unbekanntes oftmals Verwirrung erzeugt", hieß es in einer Aussendung. (Gabriele Scherndl, 25.10.2019)