Vor ein paar Monaten noch wäre die Nachricht, dass Ibrahim Awad al-Badri – bekannt unter seinem Aliasnamen Abu Bakr al-Baghdadi – nun wirklich tot ist, eher achselzuckend zur Kenntnis genommen worden. Schon einige Male wurde sein wahrscheinlicher Tod gemeldet, sein "Islamischer Staat", die wohl wirkungsmächtigste Terrororganisation der Gegenwart, war untergegangen. Al-Baghdadi selbst war auch nie zum Gesicht des Terrors geworden wie der Führer von Al-Kaida, Osama bin Laden. Er war uncharismatisch und trat selten öffentlich auf.

IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi ist tot, das vermeldete am Sonntagmorgen ...
Foto: AFP / video grab

Die Entwicklungen der vergangenen Wochen brachten den IS aber plötzlich wieder in die Medien: Durch die türkische Offensive in_Nordsyrien wurden die lokalen Kräfte, die den IS dort in Schach hielten – die syrisch-kurdischen YPG-Milizen –, ausgeschaltet: IS-Kämpfer und -Angehörige begannen aus Gefängnissen und Lagern zu entkommen. Auch die nie ganz verstummte IS-Medienmaschinerie schien wiederaufzuleben.

Nichtsdestoweniger trompetete US-Präsident Donald Trump, der nächstes Jahr wiedergewählt werden will, seinen Sieg über den IS in die Welt hinaus. Und nun bekommt er tatsächlich den Triumph, den Tod des Terroristenführers verkünden zu können. Ein Sonderkommando der US-Delta-Force stellte ihn in der Provinz Idlib. Zur Operation wollen der Irak, die Türkei und die YPG beigetragen haben. Erstaunlich, wie nahe an der türkischen Grenze der Einsatzort Berisha liegt.

Wahlkampfversprechen

Der Eroberungszug des IS ab 2013 – das syrische Raqqa wurde im Jänner 2014, Mossul im Irak im Juni 2014 eingenommen – war ja der Grund gewesen, warum die USA mit Kampftruppen in den Irak zurückkehrten und auch in Syrien am Boden präsent waren. Trump hatte aber schon im Wahlkampf versprochen, die US-Truppen nach Beendigung dieses Kampfes zurückzuholen: Im Wochenrhythmus bekommt die Weltöffentlichkeit dazu immer wieder neue Ankündigungen. Zuletzt meinte der US-Präsident ja, US-Soldaten könnten die syrischen Ölanlagen bewachen, gemeinsam mit den zuvor von ihm in Stich gelassenen Kurdenmilizen.

Al-Baghdadi hatte auf syrischem und irakischem Territorium eine Entität geschaffen, mit Funktionen wie ein Staat, die gleichzeitig eine Mordmaschine war und alle, die nicht ins IS-Schema passten, umbrachte. Als fundamentalistische Utopie übte der IS jahrelang zudem große Anziehungskraft auf verunsicherte, meist junge Muslime und Musliminnen weltweit aus. Der "Kampf" zu ihrer Realisierung wurde nicht nur im Nahen Osten geführt, sondern – durch Terrorismus – auch international. Auch Europa war schwer betroffen.

Geboren wurde Ibrahim Awad al-Badri 1971 in der irakischen Stadt Samarra, was ihm den Beinamen al-Samarrai bescherte. Sein Stamm, die Al Bu Badr, gilt als einer jener, die vom Propheten Muhammad abstammen.

... US-Präsident Donald Trumps Ansprache in Washington.
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Seinen großen Moment hatte Al-Baghdadi in der Großen Moschee in Mossul im Juni 2014, wo er sich zum Kalifen Ibrahim erklärte. Die Videoaufnahmen zeigen einen eher unauffälligen Mann. In seinen Kreisen galt er jedoch als Islamgelehrter: Ein Islamstudium in Bagdad erklärt das häufige Dr. vor seinen vielen Aliasnamen, etwa Dr. Abu Dua (Vater des Gebets), in den IS-Propagandamedien.

In seiner Biografie gibt es Lücken: Nach dem Sturz Saddam Husseins durch die US-Invasion im Frühling 2003 soll er sich in US-Haft zuerst in Abu Ghraib und Camp Bucca radikalisiert haben. Von dort wurde er jedoch bereits 2004 als "low level prisoner" wieder entlassen.

Die Organisation, die damals den Namen "Islamischer Staat im Irak" (ISI) trug und zu Al-Kaida gehörte, übernahm Al-Baghdadi 2010 in einem Zustand des Niedergangs: Al-Kaida galt im Irak als weitgehend besiegt. Der Aufstand im Syrien führte zur Wiedererweckung:_ISI engagierte und profilierte sich in Syrien und entwickelte sich zum ISIS – "Islamischer Staat im Irak und Syrien" – weiter. Als Al-Baghdadi die ebenfalls zu Al-Kaida gehörende "Nusra-Front" schlucken wollte, versuchte Kaida-Chef Zawahiri, der Nachfolger Osama bin Ladens, ihn zur Ordnung zu rufen. Mit dem Resultat, dass sich Al-Baghdadi von Al-Kaida lossagte.

Von Syrien schwappte ISIS wieder in den Irak zurück, wo im Juni 2014 der IS aus ihm wurde: "Islamischer Staat", ohne geografische Bezeichnung, denn den Irak und Syrien sollte es ja nicht mehr geben. Und nach dem Verständnis von Al-Baghdadi waren dem IS überhaupt keine Grenzen gesetzt.

Nachdem sich eine internationale Militärkoalition unter US-Führung eingeschalten hatte, begann Anfang 2016 der IS mit dem Verlust Ramadis im Irak wieder zu schrumpfen. Raqqa (Oktober 2017) und Mossul (Juli 2017) wurden zurückerobert. Aber es dauerte bis März 2019, bis der IS im syrischen Baghouz auch noch den letzten territorialen Halt verlor. (Gudrun Harrer, 27.10.2019)