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In Thurrock in Südengland, einem Industriegebiet 25 Kilometer östlich von London, ist am vergangenen Mittwoch der Kühlcontainer mit 39 Toten entdeckt worden.

Foto: AP / Alastair Grant

Herzzerreißende Details über zerstörte Hoffnungen, Textnachrichten aus dem stählernen Massengrab – die britischen Medien haben auch am Wochenende breit über die Tragödie von Thurrock berichtet. In einem Industriegebiet 25 Kilometer östlich von London ist am Mittwoch ein Kühlcontainer mit 39 Toten entdeckt worden. Obwohl die Behörden die Leichen offiziell noch nicht identifizieren konnten, scheint festzustehen, dass der Großteil der Verstorbenen aus Vietnam stammte. Der Lastwagenfahrer befindet sich in Haft.

Zu den Toten – 31 Männer und acht Frauen – gehört den Befürchtungen ihrer Angehörigen zufolge die 19-jährige Bui Thi Nhung. Sie hatte in Brüssel Touristenorte besucht und auf Facebook von einem "so schönen Tag" geschwärmt. Am Dienstagnachmittag oder Abend muss sie nahe des belgischen Hafens Zeebrügge ihre letzte Reise angetreten haben, mit vielen anderen aus dem Norden Vietnams, wo viele Familien einen Ausweg aus der Armut suchen, indem sie ihre jungen Leute Schleppern anvertrauen.

Textnachrichten in die Heimat

Gewissheit über den Tod ihrer Tochter hat die Familie von Pham Thi Tra My. Die 26-Jährige hatte in der Nacht zum Mittwoch Textnachrichten in die Heimat geschickt. "Ich sterbe, weil ich nicht atmen kann", beschrieb sie ihre Todesnot. "Es tut mir leid, Mama. Meine Reise ins Ausland war nicht erfolgreich. Mama, ich liebe dich so sehr!" Aus den Nachrichten geht nicht eindeutig hervor, wo sich die junge Frau befand.

Rund 25 vietnamesische Familien haben die Sonderkommission der Kripo Essex kontaktiert, der am Samstag Vietnams Botschafter, Tran Ngoc An, einen Besuch abstattete. Die Polizeibehörde hatte vergangene Woche noch von jungen Chinesen gesprochen und Erinnerungen an einen grausigen Fund vor beinahe zwei Jahrzehnten geweckt. Im Jahr 2000 entdeckten in Dover in der Grafschaft Kent zwei Zollbeamte im Kühlcontainer eines Lastwagens zwei noch lebende junge Männer und 58 Leichen, allesamt Chinesen. Sie waren in der Junihitze erstickt, nachdem der später zu 14 Jahren Haft verurteilte Fahrer aus Holland die Kühlung des Containers abgeschaltet hatte.

Die irrtümlich angegebene Nationalität dürfte der Tatsache geschuldet sein, dass viele der Vietnamesen über China nach Europa gereist waren. Wie bei illegalen Einwanderern üblich hatten die Menschen im Container zwar Mobiltelefone, aber keine Papiere bei sich. Die Identifizierung muss deshalb anhand von DNA-Proben sowie Kleidungsstücken erfolgen.

Fahrer ist des Totschlags sowie des Menschenhandels beschuldigt

Die Kripo hat den Fahrer, einen 25-jährigen Nordiren, des Totschlags sowie des Menschenhandels beschuldigt. Er soll am Montag dem Haftrichter von Chelmsford vorgeführt werden. Im dortigen Spital finden indes die Obduktionen der Leichen statt.

Drei mögliche Mittäter saßen vorläufig in Polizeigewahrsam, darunter die beiden irischen Eigentümer des Sattelschleppers. Am Sonntag wurden eine 38-Jährige und ihr gleichaltriger Ehemann sowie ein weiterer Mann gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt. Eine fünfte Person, die in Verbindung mit dem Verbrechen stehen könnte, wurde in Irland festgenommen.

Trotz des Unglücks ist von einer Änderung der restriktiven Asylpolitik weder bei der Regierung noch bei der Opposition die Rede. Experten wiesen aber auf negative Folgen des Brexits für die Zusammenarbeit gegen Menschenhandel und illegale Einwanderung hin. Ungeklärt ist, ob Großbritannien nach der bis Ende 2020 anberaumten Übergangsfrist Zugang zu den Daten der europäischen Polizeibehörde Europol erhält. Sie sei "zutiefst alarmiert" über die fehlenden Pläne für die zukünftige Zusammenarbeit, teilte die Vorsitzende des Innenausschusses im Unterhaus, Yvette Cooper (Labour), der Sonntagszeitung Observer mit. (Sebastian Borger aus London, 28.10.2019)