Es gab einmal Zeiten, in denen man in kleinen Betrieben als Lehrling anfing, sich zum Meister hocharbeitete und vielleicht einmal selbst einen Betrieb gründete. Dasselbe gilt für größere Unternehmen oder Konzerne. Man fängt auf den unteren Ebenen, zum Beispiel als Assistent, an, macht einfachere Tätigkeiten, übernimmt zunehmend mehr Verantwortung, wird vielleicht Abteilungsleiter und mit etwas Glück steigt man mit gesetztem Alter und guten Rahmenbedingungen gar bis zum CEO auf. Am wahrscheinlichsten ist das noch in der Wirtschaft der Fall. In der Politik hat man jedoch den Eindruck, dass kultiviertes Tarnen und Täuschen ausreicht, um Positionen einzunehmen, die man kaum Kraft seines Potenzials, seiner Lebenserfahrung oder seiner Ausbildung ausfüllen kann. Beide eingangs erörterten Simulationen der Realität haben etwas gemeinsam. Ob es nun der Lehrling ist, der zum Meister und in einem weiteren Schritt zum eigenen Herrn aufsteigt oder der einfache Mitarbeiter, der sich in einem multinationalen Unternehmen durch Leistung, Fleiß und Begabung hocharbeitet, beide durchleben die Höhen und Tiefen der Arbeitswelt.

Respekt vor der Lebensrealität

Mit dieser differenzierten Entwicklung und den damit verbundenen Erfahrungen sind sie im Laufe ihrer Genese in der Lage verschiedenste Perspektiven einnehmen zu können und kennen dadurch ihren Soziokosmos von ganz oben bis ganz unten. Wer die Ochsentour absolviert hat und dabei einmal auf die Nase gefallen ist oder mit Existenzängsten zu kämpfen hatte, der hat Respekt vor der Arbeit und oft schweren Lebensrealität anderer, die nicht unbedingt auf die Butterseite gefallen sind. Viele Politiker der neuen Generation, die in nahezu messianischer Überzeugung vorgeben, die Sorgen und Ängste der Menschen zu kennen, haben in Wirklichkeit von diesen höchstens in der Theorie gehört, aber diese nie in der eigenen Lebenspraxis erfahren.

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Leistung, die sich lohnt und moderner proletarischer Klassenkampf

Derartige Politikertypen philosophieren von konservativer Seite über "Leistung", was auch immer darunter zu verstehen ist, und von sozialdemokratischer Seite von Umverteilung und sozialer Gerechtigkeit. Die Paradoxie an diesem Banalitäten-Bingo und den hohlen Floskeln liegt darin, dass ebenjene selbst nie in der freien Wildbahn Leistung über mehrere Jahre hinweg erbracht haben oder protegiert durch parteipolitische Mentoren über den proletarischen Klassenkampf sinnieren. Eben jene überspringen sehr rasch die Ebenen der Basisarbeit und steigen gleich in höheren Sphären ein. Ob man nun auf Anhieb in der absoluten Spitzenpolitik landet oder gar als Berater hochkomplexer Consulting-Dienstleistungen vom Datamining bis hin zur Entwicklung von Algorithmen, die menschliches Verhalten berechnen und beeinflussen sollen, fungiert, ist da nebensächlich. Den Algorithmus des Lebens muss man dazu anscheinend nicht wirklich selbst durchgehalten haben.

Ende der Fast-Food Politik?

Blicken wir zu unseren großen Nachbarn in Deutschland und auf die vergangene Wahl in Thüringen, so bekommen wir einen Eindruck, wohin die Banalisierung der Politik führen kann. In besagtem Bundesland in Ostdeutschland wurde die politische Mitte zwischen den extremen Polen links und rechts von ebendieser zerrieben. Die Partei "Die Linke" landete auf Platz eins und dahinter wurde die AfD Nummer zwei. Polaritäten die wenig Spielraum zur Interpretation für die einstigen Volksparteien CDU und SPD lassen. Hoffen wir, dass die Erkenntnis des griechischen Philosophen Platon, dass diejenigen, die zu klug sind, um sich in der Politik zu engagieren, dadurch bestraft werden, dass sie von Leuten regiert werden, die dümmer sind als sie selbst, am Ende nicht zu sehr zutrifft. (Daniel Witzeling, 4.11.2019)

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