Am Ende des gesuchtesten Terroristen der Welt, des IS-Gründers und -Chefs Abu Bakr al-Baghdadi, waren viele beteiligt, nicht nur das ausführende US-Sonderkommando oder gar dessen schwafelnder Oberkommandant im Weißen Haus. Die Operation wurde über Monate vorbereitet, eine lange, transnationale Kooperationskette war nötig, um den selbsternannten Kalifen des "Islamischen Staats" in seinem Versteck in Syrien zu stellen.

Der Ort des Geschehens, die Provinz Idlib, liefert den Hinweis auf Akteure, die Donald Trump nicht erwähnt hat, anders als den Irak, die Türkei, Russland und die syrischen Kurden: Al-Baghdadi fiel nämlich nicht zuletzt dem Wettbewerb zwischen lokalen radikalislamistischen Gruppen in der Region zum Opfer.

Die Al-Kaida zugerechnete HTS (Komitee zur Befreiung der Levante), die die Provinz Idlib dominiert, will sich vor allem der Türkei als weniger radikal andienen, damit sie in Zukunft auch politisch mitmischen kann. Und sie ist in Konkurrenz mit den Hurras al-Din (Wächtern des Glaubens), heute die eigentliche Al-Kaida-Vertretung in Syrien. Diese hat jedoch einen Flügel, der in Richtung IS abgedriftet ist und al-Baghdadi und den Seinen unterzutauchen geholfen hat – bis er verraten wurde, wie andere vor ihm.

Der IS-Gründer und -Chef Abu Bakr al-Baghdadi soll von einem US-Sonderkommando in der syrischen Provinz Idlib getötet worden sein.
Foto: APA/AFP/OMAR HAJ KADOUR

Man könnte also auch zynisch sagen: Al-Kaida hat mitgeholfen, Abu Bakr al-Baghdadi zu stellen. Das bedeutet unter anderem auch, dass Al-Kaida, deren Führer Osama bin Laden vor acht Jahren getötet wurde, keineswegs so tot ist, wie es ihre derzeitige mediale Marginalisierung vermuten ließe. Und vom "Islamischen Staat" sollte man nichts anderes erwarten, im Gegenteil.

IS als Pseudostaat

Als Osama bin Laden 2011 getötet wurde, war die Hierarchie klar und damit der nächste Chef vorbestimmt: der Al-Kaida-Ideologe Ayman al-Zawahiri. Auch al-Baghdadi hat eigentlich seit Sommer einen per IS-Agentur Amaq diskret verkündeten Nachfolger, von dem man bisher aber noch nicht viel gehört hat und der demnach vielleicht nicht in Stein gemeißelt ist. Abdullah Qardash ist ebenfalls Iraker und hat einen ähnlichen Hintergrund wie al-Baghdadi. Ob er außer der militärischen Führung auch eine spirituelle Rolle innehaben soll – sprich: "Kalif" wird -, liegt aber im Dunkeln.

Denn der Tod al-Baghdadis könnte auch das endgültige Ende der "irakischen Phase" des IS bedeuten, wie er bisher war – so wie ja der IS als Pseudostaat, der in Syrien und im Irak angesiedelt war, Vergangenheit ist. Regional ist der IS mit seinem Projekt erst einmal gescheitert, und der Tod al-Baghdadis ist eine weitere Besiegelung dessen. Daran ändert auch nichts, dass der IS als Terrororganisation in der Region weiter aktiv ist.

Die Zukunft des IS könnte jedoch in der weiteren Internationalisierung bestehen, und dementsprechend könnte sich auch die Führungsstruktur verändern. Schon unter al-Baghdadi kam es zu ethnischen und nationalen Konflikten unter IS-Mitgliedern: Es ist möglich, dass nicht alle diesem stark irakisch geprägten IS, der seine Führungsfigur verloren hat, treu bleiben.

Die IS-Ideologie ist auf alle Fälle nicht aus der Welt – die Utopie einer Ordnung, die von verblendeten Muslimen und Musliminnen gerade deshalb für "authentisch" gehalten wird, weil sie so radikal den sogenannten westlichen Werten widerspricht. Die gesamte Geschichte des IS zeigt dessen Wandelbarkeit. Das letzte Kapitel dieser Geschichte ist noch nicht geschrieben. (Gudrun Harrer, 28.10.2019)