Wien – Vor dem Eingang zu dem Haus, in dem der Verein Autonomer Frauenhäuser (AÖF) in Wien residiert, wurde am Montag eine schwarze Fahne aufgestellt. Sie soll an die bereits 18. Frau erinnern, die heuer in Österreich ermordet wurde – im jüngsten Fall zusammen mit ihren beiden kleinen Kindern in jenem Haus im niederösterreichischen Kottingbrunn, das sie mit ihrem Ehemann, dem mutmaßlichen Täter, bewohnte.

Über ihn wurde am Dienstag die U-Haft verhängt, teilte Birgit Borns, die Sprecherin des Landesgerichts Wiener Neustadt, mit. Am Montag sei es "nicht möglich" gewesen, den Mann der Haft- und Rechtsschutzrichterin vorzuführen, sagte Borns: "Aufgrund seines Verhaltens." Medienberichten zufolge soll der 31-Jährige zudem in der Früh einen Mitinsassen attackiert und verletzt haben. Er sei von Justizwachebeamten überwältigt worden.

Die Staatsanwalt ermittelt wegen Verdachts des dreifachen Mordes gegen den Familienvater, der bereits in die Justizanstalt eingeliefert wurde.
DER STANDARD/APA

Die Tat des 31-jährigen österreichischen HTL-Ingenieurs mit türkischen Wurzeln hat die Diskussion über Maßnahmen gegen die in Österreich seit Jahren zunehmende Zahl von Morden und Mordversuchen an Frauen (siehe Artikel unten) wieder aufleben lassen. "Die schwarze Fahne steht für alle ermordeten Frauen und deren Kinder und Angehörige", heißt es in einer AÖF-Aussendung. Und: "Das politische Schweigen und Nichtstun muss ein Ende haben – es muss dringend gehandelt werden".

Infoblätter über Hilfsangebote

Konkret dürfe man sich in Österreich nicht länger auf den Lorbeeren ausruhen, die das Land durch das international vorbildliche Gewaltschutzgesetz aus dem Jahr 1997 eingeheimst habe, sagt AÖF-Geschäftsführerin Maria Rösslhumer im Gespräch mit dem STANDARD. Es brauche "flächendeckende Information" für Frauen und Kinder über die bestehenden Hilfsangebote (siehe "Wer kann helfen" unten). Entsprechende mehrsprachige Infoblätter sollten laut der AÖF-Chefin "in Supermärkten, Gemeindeeinrichtungen, Schulen und bestenfalls in jedem Haushalt" aufliegen".

Parallel dazu sei eine "großangelegte Bewusstseinskampagne gegen Männergewalt" vonnöten. Dazu bräuchten es männliche Role-Models, die sich öffentlich und laut gegen Gewalt an Frauen und Kindern und für gewaltfreie Konfliktbewältigung aussprechen. Insgesamt würden "effektive und wirksame Präventionsmaßnahmen" laut Rösslhumer "jährlich mindestens 210 Millionen Euro Kosten".

Gewalt, die Dritte mitreißt

Das Aufbringen einer solchen Summe wäre über den Schutz von Frauen allein von Nutzen, erläutert Rosa Logar, Geschäftsführerin der Interventionsstellen gegen Gewalt. Diese werden bei allen in Österreich von der Polizei ausgesprochenen Betretungsverboten sozialarbeiterisch tätig. "In rund 50 Prozent aller Morde und Mordversuche an Frauen sind Dritte direkt mitbetroffen", sagt Logar.

Sie erinnert an den Fall der Morde von Kitzbühel vor drei Wochen, wo ein junger Mann aus Eifersucht seine Exfreundin, deren neuen Freund, deren Eltern und den Bruder umgebracht haben soll.

Rückschritte unter Innenminister Kickl

Leider, so Logar, gebe es in Sachen Gewaltschutzprävention seit mehreren Jahren Rückschritte. Die Zahl von Wegweisungen sinke, in Wien etwa von 3237 im Jahr 2016 auf 2710 im Jahr 2018. Zudem müssten Frauen- und Gewaltschutzeinrichtungsexperten seit Abdrehen der multiprofessionellen Opferschutzkonferenz (Marac) durch Exinnenminister Herbert Kickl (FPÖ) im Sommer 2018 immer wieder feststellen: "Wir finden nirgends Gehör".

Zwar verfügten Interventionsstellen, Frauenhäuser und andere NGOs in Fällen mit hohem Eskalationsrisiko vielfach über wichtiges Wissen, doch bei der Polizei gebe es keine Ansprechpersonen.

Das entspreche nicht den Tatsachen, widerspricht hier das Innenministerium. Das novellierte Gewaltschutzgesetz, das im Jänner 2020 in Kraft treten wird, räume die Möglichkeit für derlei fallbezogenen Austausch wieder ein – wenn auch im Unterschied zu früher, nur auf Initiative der Polizei.

Angeblich Ehestreit als Auslöser

Keine rechtzeitigen und effektiven Hilfsangebote waren jedenfalls bei jener 29-jährige Frau und ihren beiden kleinen Kindern angekommen, die Sonntagmorgen in Kottingbrunn bei Wien vom 31-jährigen Ehemann und Kindesvater getötet worden sein sollen. Am Sonntagvormittag eskalierte ein, wie es in Medienberichten unter Bezugnahme auf Ermittleraussagen heißt, "Ehestreit um eine im Raum stehende Scheidung" zu mörderischer Gewalt.

Auf seine Ehefrau und die 23-monatige Tochter dürfte der Mann dabei so stark eingestochen haben, sodass sie sofort starben. Den elfmonatigen Buben dürfte er gewürgt haben – oder versucht haben, ihn zu ersticken. Das Kind wurde lebend, aber mit schweren Hirnschädigungen im Haus gefunden. Montagmorgen starb es im Spital.

Kein "Blackout" vor der Tat?

Der mutmaßliche Täter habe von einem "Blackout" und "psychischer Überforderung" als Auslöser der Tötungen gesprochen, sagte dessen Rechtsvertreter Mirsad Musliu am Montag. Beim Landeskriminalamt Niederösterreich hatte man einen anderen Eindruck: Der Verdächtige habe im Kontakt mit der Polizei keine Verstörung merken lassen, sagt Pressesprecher Karl Schwarzenecker im STANDARD-Gespräch.

Als der Mann um neun Uhr Vormittag die Polizei angerufen habe, seien seine Angaben "klar" gewesen. Beim Eintreffen der Beamten sei er auf deren telefonische Aufforderung sofort aus seinem Haus, dem Tatort, herausgekommen – um anschließend "ein umfassendes Geständnis" abzulegen.

Meist "gewisse Planung"

Bei Taten wie dieser läge vielfach eine gewisse Planung vor, sagt dazu AÖF-Obfrau Rösslhumer: "So etwa geschieht nicht aus dem reinen Affekt heraus und nicht von einem Tag auf dem anderen". Rösslhumer vermutet eine längere Konflikt-Vorgeschichte. Dafür sprächen etwa die Berichte über eine von der 29-Jährigen angekündigte Trennung: "Man trennt sich nicht so einfach von einem Mann, wenn die Kinder noch so klein sind". Polizeilich aufgefallen war die Familie in Kottingbrunn bisher nicht.

In einzelnen Medienberichten war die Kottingbrunner Bluttat als "Mord aus Ehre" bezeichnet worden. Das wäre dann der Fall, wenn es in den beteiligten türkischstämmigen Familien Absprachen gegeben hätte, etwa weil man die kolportierten Trennungswünsche der Ehefrau ächtete, sagt der Soziologe und Integrationsexperte Kenan Güngör.

Wenn es um die "Ehre" geht

Die in solchen Fällen beleidigte "Ehre" eines Mannes, sei als Scham wegen Vorwürfen in der Familie zu verstehen. Einstellungen wie diese würden sich "im städtischen Milieu zwar tendenziell auflösen", aber: "Sie verfügen doch über eine erstaunliche Haltbarkeit". (Irene Brickner, 29.10.2019)