2012 gab es in Österreich 82 vollendete Morde, 2015 waren es 39 und im Vorjahr 60.

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Ob der 31-jährige Familienvater, der in Kottingbrunn seine Frau (29) und die beiden gemeinsamen Kinder (im Alter von zwei Jahren bzw. elf Monaten) getötet hat, wegen Mordes angeklagt wird, steht noch nicht fest. Auch wenn der Beschuldigte in ersten Einvernahmen die Taten zugegeben hat, müssen die Strafverfolgungsbehörden klären, ob er zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig war oder ob etwa ein anderes Tötungsdelikt, wie zum Beispiel Totschlag, für die juristische Aufarbeitung des Falles infrage kommt. Die Ermittlungen gehen jedenfalls von einem dringenden Mordverdacht aus, also einem vorsätzlichen Verbrechen, das mit bis zu lebenslanger Haft bestraft wird. Solange der Beschuldigte nicht rechtskräftig wegen Mordes verurteilt ist, darf er in Medien auch nicht als Mörder bezeichnet werden.

Heuer wieder Abwärtstrend

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Bei der Anzahl von Morden in Österreich gibt es jährliche Schwankungen. In den vergangenen zehn Jahren markierte das Jahr 2012 mit 82 vollendeten Morden einen traurigen Höhepunkt. Ein Jahr davor waren es laut Kriminalstatistik des Innenministeriums 73, im Jahr 2008 45. Die wenigsten Morde in der vergangenen Dekade wurden 2015, im Jahr der großen Migrationsbewegungen, verzeichnet, nämlich 39. Seither gab es einen kontinuierlichen Anstieg auf 54 im Jahr 2017 und 60 im Vorjahr. Heuer zeichnet sich wieder ein Abwärtstrend ab: Seit Jänner gab es 35 Anzeigen wegen Mordes, in 18 Fällen davon waren die Opfer weiblich.

Mehr Morde an Frauen

Die Zahlen von Morden und Mordopfern divergieren, weil ein Mord mit mehreren Opfern als ein Mordfall erfasst wird. Bei den 60 Mordfällen im Vorjahr wurden insgesamt 73 Menschen – 41 Frauen und 32 Männer – getötet. Die hohe Anzahl an Frauenmorden und eine Häufung von Gewaltdelikten mit ausländischen Tatverdächtigen Anfang 2019 wurden zum Anlass genommen, eine Screening-Gruppe im Bundeskriminalamt einzurichten. Durch das Aufrollen aktueller und früherer Mordfälle sollen Muster erkannt, Gefährdungsszenarien ermittelt und entsprechende Präventionsmaßnahmen abgeleitet werden.

Der damalige Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) erinnerte sich nun angesichts der Bluttat von Kottingbrunn, wo der Beschuldigte türkische Wurzeln hat, an diese Screening-Gruppe. Er behauptet, dass die Ergebnisse längst vorlägen und von seinem Nachfolger Wolfgang Peschorn zurückgehalten werden, was in Peschorns Büro auf Anfrage des STANDARD zurückgewiesen wird. Die Veröffentlichung der Auswertung sei am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November geplant gewesen.

Migrationshintergrund

Konkrete Ergebnisse werden bis dahin nicht bekanntgegeben. Aber die Methodik unterscheidet sich dahingehend von üblichen Statistiken, dass bei Tätern, auch wenn es sich um Österreicher handelt, ein möglicher Migrationshintergrund berücksichtigt wird. Ausländische Tatverdächtige und zugewanderte Österreicher der ersten Generation gemeinsam sollen demnach deutlich mehr als die Hälfte aller Tatverdächtigen bei Ermordungen von Frauen ausmachen.

In bisherigen Statistiken werden ausschließlich Staatsbürgerschaften angeführt. Demnach kamen im Vorjahr die meisten Tatverdächtigen bei vollendetem Mord aus Österreich (41), gefolgt von kosovarischen (7) und serbischen Staatsbürgern (7). 43 der 73 Mordopfer stammten aus Österreich, sechs aus Serbien und drei aus Afghanistan.

U-Haft verhängt

Über den mutmaßlichen Täter von Kottingbrunn wurde am Dienstag die U-Haft verhängt – einen Tag später als vorgesehen. "Aufgrund seines Verhaltens" sei das vorher nicht möglich gewesen, hieß es im Landesgericht Wiener Neustadt. Der 31-Jährige soll hinter Gittern einen Mitinsassen attackiert haben. (Michael Simoner, 30.10.2019)