Immer wenn in Europa rechtsextreme Parteien bei Wahlen massiv zulegen, heißt es, man müsse "den Menschen", die das gewählt haben, "besser zuhören" und "ihre Ängste und Sorgen ernst nehmen". So auch jetzt wieder bei den Wahlen in Thüringen, wo die rechtsextreme AfD sich auf 23,4 Prozent verdoppelte und auf Platz zwei noch vor der CDU landete.

Diese Forderung, die auch bei Wahlerfolgen der FPÖ, der italienischen Lega und all den anderen rechtsextremen europäischen Parteien erhoben wurde, hat etwas Patriarchalisches und Bevormundendes an sich. Die Leute, die da die völkischen Schreihälse, Ausländerhasser und generellen Herumpöbler wählen, täten dies doch nur, weil sie ihren Protest ausdrücken wollten – gegen die gefühlte Verschlechterung ihrer Lage, gegen die Zumutungen der Globalisierung, Migration inklusive, gegen die "Arroganz der liberalen Eliten". Und so weiter.

Die rechtsextreme AfD verdoppelte sich in Thüringen auf 23,4 Prozent.
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Das Problem dabei ist, dass von der materiellen Lage der allermeisten Bürger her kein Anlass besteht, rechtsextreme Parteien zu wählen. Es ist nicht 1930, es herrscht keine Weltwirtschaftskrise mit 30 Prozent Arbeitslosigkeit, es gibt keinen charismatischen Führer, der verspricht, mit Aufrüstung und Enteignung der Juden alle Arbeitslosen wieder ins Brot zu setzen. Deutschland und Österreich sind immens reiche Staaten, das soziale Netz ist dicht geknüpft. Der ehemalige Kanzler Wolfgang Schüssel hat in einem "Presse"-Interview behauptet, die "einfachen Leute leben wie die Fürsten". Leicht übertrieben, aber ein wahrer Kern: Von manchen Fällen abgesehen, kann jeder Österreicher sicher sein, dass ihn sein Staat nicht vor die Hunde gehen lässt.

Symbolpolitik

Die liberale deutsche "Zeit" schrieb in einem Kommentar zu Thüringen, man solle den fast 25 Prozent, die eine offen rassistische und antidemokratische Partei wie die AfD wählen, nicht die Fähigkeit absprechen, eine bewusste Wahl zu treffen. Was ist, wenn sie die AfD und ihren Führer Bernd Höcke nicht wählen, obwohl, sondern weil sie Rechtsextremisten sind?

Nicht alle, aber ein gewisser Prozentsatz ist autoritär, antidemokratisch, antisemitisch und rassistisch eingestellt. Etwa zehn bis 15 Prozent. In ganz Europa ist das so.

Der Rest auf die 25 oder 26 Prozent der AfD oder der FPÖ findet nichts Besonderes dabei, eine rechtsextreme Partei zu wählen, auch wenn er selbst gemäßigter eingestellt ist. Wankend in seinem Glauben wird er nur, wenn er völlig überraschend feststellen muss, dass der ehrliche und anständige Vertreter des "kleinen Mannes" sich einen Mietenzuschuss von 2500 für die Klosterneuburger Villa zahlen lässt. Das ist nicht antidemokratisch, aber unreif.

Es ist schon okay, auch diesen Leuten "zuzuhören". Gleichzeitig muss man aber ihr antidemokratisches und fremdenfeindliches Gerede nicht beschönigen oder akzeptieren. Aber man muss ihnen gleichzeitig zwei, drei durchdachte echte Lösungen anbieten, nicht Symbolpolitik.

Man muss im Europa von heute nicht rechtsextrem wählen, weil man irgendwie unzufrieden ist. Wer protestieren will, kann das auf demokratische Weise tun. Und wer unbeirrt rechtsextrem wählt, weil er rechtsextrem denkt, den muss man nicht "verstehen". (Hans Rauscher, 29.10.2019)