Geld verlangen fürs Geldverborgen: Die Idee ist so kreativ, dass in fünf Millennien noch keiner darauf kam. Bis heute: Mit Negativzinsen haben die Notenbanken infolge der globalen Finanzkrise eine Weltpremiere aufgeführt, wie Nachforschungen der Bank of England zeigen (siehe Grafik). Auch konnten heuer erstmals alle Euroländer negativ verzinste Anleihen begeben.

Ein einzigartiges Vermächtnis, das in Europa die Handschrift des scheidenden Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, trägt. Die Niedrigzinspolitik und Anleihenkäufe gelten als gelungener Rettungsakt für Krisenstaaten, heute stößt das Festhalten daran auf wachsende Kritik; insbesondere aus Ländern wie Österreich. Denn für den heimischen Standort wäre ein Zinssatz von rund drei Prozent angemessener als die von der EZB neuerlich einzementierte Null, wie eine Analyse der wirtschaftsliberalen Denkfabrik Agenda Austria ergibt, die am Dienstag in Wien vorgestellt wurde. Natürlich kann sich Frankfurt nicht allein nach Wien richten. Umso wichtiger wäre es, die Gunst der Stunde zu nutzen, wo es geht.

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Sogar Staatspapiere ehemaliger Euro-Krisenländer sind heute negativ verzinst. Für Sparer ist die historisch einzigartige Situation eine Herausforderung.
Foto: Reuters / Kai Pfaffenbach

Denn in kaum einem Land spielen Spareinlagen und Barreserven so eine große Rolle wie in Österreich. Fast die Hälfte der heimischen Vermögen wirft somit keine Renditen ab.

In den meisten Ländern der Eurozone schlagen sich Sparer besser als in Österreich. In den Niederlanden etwa machen Spareinlagen weniger als 20 Prozent der Vermögen aus. Dort steckt der Großteil in der privaten Pensionsvorsorge und wirft entsprechend Renditen ab. Hätten die Österreicher zwischen 2003 und 2017 so veranlagt wie die Niederländer, wären die hiesigen Vermögen um 110 Milliarden größer, rechnen die Ökonomen vor.

Zeit wird knapp

Beim Thinktank sieht man die Politik gefragt, den heimischen Sparern ertragreichere Anlageformen schmackhafter zu machen – vor allem mit Blick auf die alternde Gesellschaft. "Wir haben noch ein Zeitfenster von etwa 15 Jahren, bis der Babyboomer-Effekt voll greift", schätzt der Vizedirektor der Agenda Austria, Lukas Sustala. Dann gehen besonders geburtenreiche Jahrgänge in Pension und wechseln in Österreichs Umlagesystem von der Einzahler- auf die Bezieherseite.

Grafik: STANDARD

Für mehr private und betriebliche Altersvorsorge müsse man nicht das Umlagesystem stutzen. Immerhin haben die Österreicher im Vorjahr 14 Milliarden gespart. Allerdings gibt es schlechte Anreize: Spareinlagen werden steuerlich gegenüber anderen Anlageformen begünstigt. Die Agenda Austria plädiert daher für eine Angleichung der Kapitalertragsteuer für alle Anlageklassen nach unten auf 25 Prozent.

Eine weitere Idee: endbesteuerte Depots für die Altersvorsorge. Damit könnten Anleger über Jahrzehnte vom Zinseszinseffekt profitieren und würden Erträge erst bei Pensionsantritt versteuern.

Negative Folgen der EZB-Politik betreffen nicht nur Sparer. Dass die Notenbank ihr Inflationsziel von knapp zwei Prozent verpasst, ist selektive Wahrnehmung, lautet die Kritik. "Wir haben ja Inflation", sagt Sustala, "nur nicht bei den klassischen Konsumentenpreisen, sondern bei den Vermögenswerten." Seit 2008 sind die Immobilienpreise in Österreich inflationsbereinigt um 41 Prozent gestiegen. Dadurch wächst die Einkommensschere, weil vor allem Reichere in Aktien und Betongold anlegen.

Die Politik hätte derzeit den Spielraum zu helfen: Seit 2009 hat sich der Fiskus dank niedriger Zinsen 35 Milliarden Euro erspart. Damit könnte man mittlere Einkommen entlasten und ertragreiche Sparformen begünstigen, schlagen die Ökonomen vor.

Sinngemäß: Die Schicksalsgemeinschaft der Eurozone hat neben Vorteilen einen Preis. Aber man muss nicht wie Österreich den vollen zahlen. (Leopold Stefan, 29.10.2019)