Bis 2050 wird der Bedarf an Pflegekräften um 127 Prozent steigen – doch schon jetzt gibt es einen Engpass.

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Wien – Die Alten werden ständig mehr: Weil die Menschen nicht nur immer später sterben, sondern auch besonders geburtenstarke Generationen in die Jahre kommen, wird die Bevölkerung über 65 Jahren bis 2060 um eine Million auf 2,64 Millionen anwachsen. Die Zahl der über 85-Jährigen soll sich laut Statistik Austria sogar nahezu verdreifachen.

Längeres Leben ist an sich erfreulich, stellt den Staat aber vor Probleme. Denn gleichzeitig wird die Gruppe der 20- bis 65-Jährigen schrumpfen: Immer weniger Bürger im Erwerbsalter sollen mit ihren Steuern und Abgaben also jene Leistungen bezahlen, die gerade den immer zahlreicheren Alten zugute kommen.

Zweifel am Pensionssystem

Für die künftige Regierung wirft das die Frage auf, wie das Pensionssystem zu erhalten ist. Weil es bereits Reformen – etwa die Abschaffung der hoch dotierten Beamtenpensionen – gab, sind die Prognosen gar nicht so dramatisch: Laut Ageing-Report der EU-Kommission wird der Zuschuss aus Steuergeld zu den Pensionen von derzeit 4,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes bis 2040 auf 5,2 Prozent steigen, um dann wieder auf 4,7 Prozent zu sinken. Doch es gibt Unsicherheitsfaktoren: So ist noch nicht absehbar, ob jene Programme greifen, die angeschlagene Arbeitnehmer durch Rehabilitation und Umschulung vor der vorzeitigen Invaliditätspension bewahren sollen.

Außerdem ist es generell ein lohnendes Ziel, die Menschen länger als bisher im Job zu halten. Schließlich gilt es nicht nur die Pensionen zu finanzieren, sondern auch die Pflege – und das wird in Zukunft keine Kleinigkeit. Laut Prognose des Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) werden die öffentlichen Ausgaben für Pflegedienstleistungen ab 2016 gerechnet bis 2050 um 335 Prozent steigen, das sind 4,4 Prozent pro Jahr.

Fehlendes Pflegepersonal

Bisher habe sich Österreich durchlaviert, sagt Ulrike Famira-Mühlberger vom Wifo: Weil hierzulande Angehörige einen Großteil der Arbeit übernehmen, konnte es sich der Staat leisten, für Pflegedienstleistungen verhältnismäßig weniger auszugeben als die Schweiz oder die skandinavischen Länder. Doch dieses Modell habe eine Ablaufdatum, warnt die Expertin. Die Kinder – sofern es überhaupt welche gibt – leben seltener als früher am Ort der Eltern, geschweige denn unter dem selben Dach. Immer mehr Frauen stehen voll im Berufsleben. Soll Pflege nicht noch mehr zum privaten Problem werden, müsse der Staat einspringen.

Dafür braucht es nicht nur Investitionen in maßgeschneiderte Dienstleistungen abseits des klassischen Heims, sondern auch bessere Bedingungen, um überhaupt Personal zu finden. Bis 2050 wird der Bedarf an Pflegekräften um 127 Prozent oder 79.000 Personen steigen. Doch schon jetzt gibt es einen Engpass. So manches Pflegebett bleibt nur deshalb leer, weil sich niemand für die Arbeit findet. Was tun, um die Lücke zu schließen? Abgesehen von höherer Bezahlung und besseren Arbeitsbedingungen, sagt Famira-Mühlberger, könnten mehr Möglichkeiten für Karriere und Fortbildung den Job attraktiver machen.

Noch eine Empfehlung der Expertin: Wolle der Staat den Bürgern Verlässlichkeit bieten, brauche es einen Rechtsanspruch auf klar definierte Leistungen. Derzeit hängen Umfang, Qualität und Zusatzkosten der Pflege vom Wohnort des Betroffenen ab. Ein Wildwuchs, der Ungerechtigkeit schafft – schließlich sind die Steuern für alle Bürger gleich.

Gesundheitsversorgung wird teurer

Anderes System, gleiches Problem: Zwar seien 60-Jährige heute ungleich gesünder als vor 20 Jahren, sagt Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS), dennoch treibe die Alterung auch die Kosten der Gesundheitsversorgung in die Höhe. Krankheiten, an denen betagte Menschen früher rasch starben, werden als chronische Leiden angehäuft. Selbst ältere Krebspatienten können dank guter Behandlung zehn, 15 Jahre weiterleben.

Um knappes Geld besser einzusetzen, lohnt es sich, begonnene Reformen weiterzutreiben: Immer noch leistet sich Österreich laut Experten viele teure Spitalsbetten, wo ambulante Versorgung Gleichwertiges billiger bieten könnte.

Auch hier werde die Suche nach Personal zur großen Challenge, analysiert Czypionka, wobei die Not bei den Ärzten weniger dramatisch sei als bei Pflegekräften, die für die laufende Betreuung von chronisch Kranken benötigt werden. Es sei eine gute Idee, mehr Leute auszubilden, denn die bisherige Strategie habe eine Kehrseite: Derzeit kommt neues Personal vor allem aus Osteuropa – und fehlt dann zur Betreuung der dortigen Alten. (Gerald John, 3.11.2019)