Eine synästhetische Welt der Zersetzung und der Hinfälligkeit: Mit Geduld und Hingabe an das Einzelschicksal erarbeitet Harald Köck seine Bilder.

Foto: Fleck

Harald Köck: "Es geht mir nicht um das Porträtieren."

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Der Künstler Harald Köck enttabuisiert seit 1987 den toten menschlichen Körper. Er ist Leichenmaler, der Tod sein künstlerisches Leitmotiv. Den Verstorbenen begegnet er in der Pathologie, wenn Ärzte die Leiche öffnen, um sich der Todesursache zu vergewissern.

STANDARD: Welche Farbe hat der Tod?

Köck: Viele Farben. So vielfältig wie der Körper sind auch seine Farben. Allein die Organlandschaft ergibt abstrakte Farbmischungen. Die Galle ist grün, die Leber ist dunkelbraun, der Darm gelblich und das Blut ist dunkelrot.

STANDARD: Und die Zersetzung?

Köck: Ob die Leiche gelb, grün oder schwarz ist, hängt vom Kampf gegen die Erkrankung ab. Nur verstorbene Babys und Kinder sehen fast so aus, als würden sie leben. Jeder stirbt seinen eigenen Tod.

STANDARD: Wie lässt sich das festhalten?

Köck: Meine Bilder bestehen aus zehn Schichten Acryl und Pastell, die sich immer wieder verändern, bis ich zum Teint komme, der dem gewonnenen Eindruck entspricht. Im Seziersaal Gesehenes, Gehörtes und Gerochenes versuche ich umzusetzen.

STANDARD: Ist es in der Pathologie laut?

Köck: Ich verfolge den Obduktionsvorgang (die Leichenöffnung, Anm.). Laut ist es, wenn die Assistenten das Brustbein herausschneiden, um das Herz-Lungen-Paket freizulegen oder die Schädeldecke mit der oszillierenden Säge zu öffnen. Verbrannt riecht der Knochen. Die Organuntersuchung selbst ist ruhig und dient der Feststellung der Todesursache.

STANDARD: Erkennen Sie die Todesursache mittels des Geruchs?

Köck: Mittlerweile schon. Seit 31 Jahren bin ich in dem Bereich tätig. Ein Darmkrebs riecht nach ätzenden Fäkalien. Ein Lungenkrebs ist differenzierter. Das kann ich in meinen Bildern natürlich nicht umsetzen.

STANDARD: Der Medizinhistoriker Hans Bankl nahm Sie mit in die Pathologie. Warum?

Köck: Im Rahmen meiner Ausbildung in der Meisterschule Hundertwasser an der Akademie der bildenden Künste Wien zeichnete ich ab und zu Leichen im Anatomieinstitut. Die erste Begegnung mit dem Tod erfuhr ich als 17-Jähriger, als mein Vater an Leukämie starb. Auch der Zivildienst im Rettungswagen konfrontierte mich mit dem Übergang zum Tod. Meine Arbeiten zeigte ich ihm. Er bot mir an, im Landesklinikum St. Pölten vorbeizuschauen und diese weiterzuentwickeln. So malte ich fortan, wenn Leichen geöffnet wurden.

STANDARD: Wie alt war er zu dem Zeitpunkt?

Köck: Etwa 52 Jahre alt. 2004 ist er verstorben. Wir haben von 1987 bis 1992 gemeinsam in St. Pölten gearbeitet. Dann ging ich nach New York ans Mount Sinai Medical Center und von dort nach Minsk an die Kinderkrebsstation. Aktuell bin ich einmal die Woche am Jakob-Erdheim-Institut für Pathologie bei Walter Ulrich in Wien.

STANDARD: Durften Sie den Verstorbenen zeichnen?

Köck: Nein. Ich habe auch erst im Nachhinein von seinem Tod erfahren. Es geht mir nicht darum, Leute zu porträtieren. Die einzigen Personen, von denen ich ein Porträt gemalt habe, sind meine Mutter und mein Bruder. Auf ihn warf ich in der Gerichtsmedizin einen letzten Blick. Meine Mutter begleitete ich beim Sterbeprozess. Man sieht das Hinweggehen schon.

STANDARD: Woran erkennt man es?

Köck: Man muss etwas darstellen, was der Lebende hat und dem Toten fehlt: die Energie, die Seele. Es ist dem Körper etwas entwichen, so präsentiert er sich auch.

STANDARD: Verwundert Ihre Anwesenheit neu hinzukommende Ärzte?

Köck: Nein. Anatomie ist über die bildende Kunst entstanden. Da Vinci zeichnete Leichen. Viele Ärzte malen oder musizieren.

STANDARD: Haben Sie schon Mordopfer gesehen?

Köck: Die sind eigentlich auf der Gerichtsmedizin. Es kann allerdings sein, dass am Wochenende Leichen von der Sanitätspolizei in die Pathologie gebracht werden. Der Pathologe erstattet Anzeige, die Staatsanwaltschaft entscheidet aufgrund der Gegebenheiten, wie der Fall weitergeführt wird.

STANDARD: Hängen Ihre Bilder in Spitälern?

Köck: Am Tag der offenen Tür des pathologischen Instituts sind meine Werke und Lehrfilme zu sehen. Ein Auftragswerk hängt im Eingangsbereich des New Yorker Mount Sinai Medical Center und zeigt einen obduzierten Körper als Triptychon. Für gewöhnlich sind meine Werke im Rahmen von Ausstellungen zu sehen.

STANDARD: Sie sind 62 Jahre und unterrichten zudem an einer AHS. Was kommt in der Pension?

Köck: Ob ich im anatomisch-pathologischen Bereich bleibe, weiß ich nicht. Mit Kaufhauskunst möchte ich nicht assoziiert werden. Aktuell produziere ich Filmbeiträge für Okto und arbeite an einer Fotocollage zerfallener KZs in Polen. (Sandra Fleck, 31.10.2019)