Küstennahe Windfarmen könnten den Energiebedarf der Welt locker stillen, vermeldete kürzlich die Internationale Energieagentur. Im Moment kämen 0,3 Prozent des globalen Stroms aus Windkraft – das Angebot könnte laut dem Bericht in den nächsten fünf Jahren aber um 50 Prozent steigen. In Österreich stammen rund elf Prozent der Stromproduktion aus Windkraft. Knapp die Hälfte aller Haush alte können schon heute von den 1313 Kraftwerken versorgt werden, so die IG Windkraft Österreich – Tendenz steigend.

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Doch wie sauber ist Windkraft wirklich? Eine Studie der Universität Cardiff kratzt am Image der Branche – und an dem anderer Energiesektoren. Darin ist zu lesen, dass in Großbritannien zwischen 2010 und 2016 jährlich rund 1149 Kilo des Treibhausgases Schwefelhexafluorid (SF6) ausgestoßen wurden. Das klingt nicht nach viel. Doch man muss wissen: Das Gas ist 23.500-mal so klimaschädlich wie CO2. Ein einziges Kilo SF6 heizt die Erde so stark auf wie 24 Menschen, die von London nach New York und retour fliegen. Die EU bläst so viel SF6 in die Luft wie 1,3 Millionen zusätzliche Autos auf den Straßen. Und das Gas verbleibt bis zu 3200 Jahre lang in der Atmosphäre. CO2 hält sich dort 1000 Jahre.

Die britischen Forscher machen vor allem den Ausbau erneuerbarer Energieformen für die Zunahme von SF6 verantwortlich. Doch wie groß ist das Problem wirklich? Und gibt es Alternativen zum Gas?

Unwiderstehliche Kraft

Schwefelhexafluorid wird heute in der gesamten Elektronikindustrie verwendet – in großen Kraftwerken, Windturbinen und Umspannwerken. Als Isoliergas in elektronischen Schaltanlagen soll es Kurzschlüsse und Brände vermeiden. SF6 zählt zu den fluorierten Gasen, die als Treibgas, Kühl- und Löschmittel verwendet werden. Seine chemischen Eigenschaften machen es fast unwiderstehlich: Es ist günstig, einfach herzustellen, nicht brennbar und ungiftig. Und man kann es auf kleinstem Raum einsetzen.

Darauf könne man besonders in Schaltanlagen nicht verzichten, sagt Martin Fliegenschnee, Sprecher der österreichischen Windbranche: "In großen Werken könnte man Stromleitungen auch mit normaler Luft isolieren, ohne dass sich zwei Stromflüsse beeinflussen. Doch wir haben in unseren Anlagen viel weniger Platz zur Verfügung." Er sieht keinen Zusammenhang zwischen entweichendem SF6 und dem Windsektor. Dafür würden Sicherheitsvorkehrungen sorgen. Sollte sich der Druck unerwartet erhöhen, habe die Schaltanlage eine vorgesehene Sollbruchstelle.

Untersuchungen machen hellhörig

"Jedes Gerät kann einen technischen Defekt haben. Doch selbst wenn eine Anlage bricht, fließt das Gas in einen dafür vorgesehenen Behälter", so Fliegenschnee. SF6 bleibe somit eingeschlossen und müsse dann von einer Spezialfirma abgesaugt werden. In der 25-jährigen Geschichte der österreichischen Windbranche sei es noch nie zu so einem Vorfall gekommen. Auch General Electric, eines der größten Unternehmen des erneuerbaren Energiesektors, berichtet auf Nachfrage des STANDARD, dass kein Fall eines SF6-Ausflusses in ihren Windenergieanlagen bekannt sei.

Doch der BBC liegen Untersuchungen vor, die eine zehnmal höhere SF6-Konzentration in der Atmosphäre zeigen als von Ländern und Betreibern angegeben. Und erst kürzlich meldete ein irischer Whistleblower einen Ausfluss von 1200 Kilo SF6 aus einem der größten Kraftwerke Irlands.

In Österreichs Windkraftanlagen sei das nicht denkbar, so Fliegenschnee: "Dringt etwas aus diesem Druckbehälter, wird der Schalter nicht mehr isoliert. Es würde sofort zu einem Kurzschluss und somit zum Stillstand der Anlage kommen." Da alle Anlagen fernüberwacht werden, würde man das sofort bemerken.

Wind of Change

In Österreich macht SF6 nur 0,5 Prozent der Treibhausgasemissionen aus, wie der Klimaschutzbericht des Umweltbundesamtes zeigt. Ein vergleichsweise geringer Wert. Die heimische Windbranche könne laut Fliegenschnee nicht Verursacher des SF6-Ausstoßes sein. Global ist das anders: Bis 2030 soll der Wert um 75 Prozent steigen. Und da etwa 80 Prozent des Gases im Energiesektor verwendet werden, sucht man hier nach Alternativen. Geforscht wird an umweltfreundlicheren Gasen wie Fluoronitrilen oder Hydrofluorolefinen. Und General Electric gibt an, für Hochspannungsanlagen in einen Gasmix zu investieren, der 99 Prozent weniger klimaschädlich sei als SF6.

In Berlin arbeitet das Start-up Nuventura an einer komplett SF6-freien Alternative und setzt für die Isolierung auf Luft: "Damit kein Lichtbogen entsteht, also der Strom nicht zwischen zwei Komponenten einer Schaltanlage fließt und es zu Schäden kommt, müssen die einzelnen Teile einen gewissen Abstand zueinander haben", so Sprecherin Ira Garbuz. "Wenn Luft unter größerem Druck steht, wirkt sie stärker isolierend. Unsere Schaltanlagen sind so gebaut, dass sie dem standhalten." Getestet wird ein erstes Modell bereits in einem Werk bei Duisburg.

Umstieg scheitert an den Kosten

SF6 nur in Windkraftanlagen zu thematisieren sei laut Garbuz ohnehin zu wenig: "Statistiken zeigen, dass in einem SF6-Zyklus – Produktion, Transport, Umfüllen und Gebrauch – bis zu 20 Prozent ausgestoßen werden." Im Moment scheitere der Umstieg auf Alternativen meist an den Kosten. Schaltanlagen laufen oft 40 Jahre, einen Betreiber zum Einbau einer neuen, SF6-freien Anlage zu bewegen sei schwer. Es braucht laut Nuventura verpflichtende Regulierungen.

Eine EU-Verordnung über fluorierte Treibhausgase gibt es indes seit 2014. Ein SF6-Verbot wurde diskutiert, aber wegen des großen Widerstands der Industrie wieder verworfen. Für 2020 ist eine neuerliche Verordnung geplant: Bis dahin will man herausfinden, ob es zuverlässige Alternativen für SF6 gibt. Ira Garbuz: "Es wäre unfair, die Schuld auf die Windindustrie zu schieben. Denn SF6 ist keinesfalls ein Problem, das nur den erneuerbaren Energiesektor betrifft. Doch wir können Energieerzeuger sehr wohl auffordern, auf Alternativen zu setzen." Denn die gebe es bereits. (Katharina Kropshofer, xy, 11.2019)