Wenn es langsam Herbst wird in Süditalien und die Sonne nicht mehr heiß, sondern nur mehr warm scheint, beginnt nicht nur die schönste, sondern auch eine der köstlichsten Zeiten des Jahres: die Artischocken-Saison. Ab Ende Oktober, Anfang November tauchen die ersten Distelblüten auf Neapels Märkten auf, bis Dezember werden die Haufen immer höher werden und erst im April verschwinden sie langsam wieder – den ganzen Winter über gehört die Artischocke hier zum Grundnahrungsmittel.

Mir als bekennendem Artischocken-Verehrer ist das äußerst recht. Gute, frische Artischocken schmecken zart-süß und angenehm bitter, komplex, aufregend, schwer mit etwas anderem vergleichbar – wer doch nach Ähnlichem sucht, kann vielleicht an frisches Bergheu mit etwas Minze denken. Roh sind sie zart und knackig, gegart haben ihre fleischigen Böden und Stiele eine samtig-weiche Konsistenz, in der es großen Spaß macht, seine Zähne zu versenken. Und auch an den harten Blättern wartet unten ein kleiner Bissen köstliches Artischockenfleisch.

Foto: Tobias Müller

In Österreich sind vor allem die mächtigen, französischen Sorten aus der Bretagne bekannt, die von Mai bis Oktober reifen. In etwas Sud gekocht und mit etwas Mayonnaise ist es eine große Freude, sie ganz langsam, Bissen für Bissen, zu entblättern, bis man ihr saftiges Herz erobert hat (Siehe auch hier!)

Im heißen Süditalien hingegeben werden vor allem kleine, selten mehr als faustgroße Arten angebaut, für die sich andere Behandlungen besser eignen. Beim ersten kühlen Wetter stellen in den Dörfern rund um den Vesuv die Carciofi-Griller ihre Stände am Straßenrand auf: Die ganze, ungeputzte Artischocke wird mit einer Mischung aus Olivenöl, Knoblauch und reichlich Petersilie beträufelt und dann aufrecht auf ein glühendes Kohlenbett gestellt, bis sie außen verkohlt ist. Man kann sie zum Mitnehmen kaufen, oder, noch besser, ihr noch vor Ort und Stelle die schwarzen, äußeren Blätter von der Blüte reißen und ihr heißed, rauchig-süß-würziges Herz verspeisen.

Foto: Tobias Müller

Wenn sie noch ganz frisch ist, kann (und wird) sie in den Beisln der Stadt gern roh serviert: mit ein paar gekonnten Messerschlägen entblättert, in feine Scheiben aufgeschnitten, mit Olivenöl und viel Zitrone (die auch grad reift) mariniert und mit Salz und etwas grob gehobeltem Schafskäse abgeschmeckt.

Am allerliebsten ist sie mir aber derzeit als Carciofi e Patate, einem ganz simplen Eintopf, der in Neapel meist als Contorni, als Beilage, serviert wird. Mehlige Kartoffel, Artischocken, ein bissl Knoblauch, ein paar Oliven und reichlich Olivenöl werden geschmort, bis sie ein weich-cremiges Ganzes ergeben, das herrlich nach Distel schmeckt, sich aber fast so gut anfühlt wie ein (bitter-saures) Erdäpfelpüree. Ein ordentlicher Schuss Zitronensaft und frisch gehackte Petersilie runden das Erlebnis ab.

Das Gericht ist ein wunderbares Beispiel für die süditalienische Kunst, aus wenig viel zu machen: Die teuren Artischocken geben ihren köstlichen Geschmack an die hier sonst eher verschmähten Erdäpfel ab, aus zwei, drei Blüten wird damit eine füllende, befriedigende Mahlzeit. Und lassen Sie sich ja nicht vom Artischocken putzen schrecken. Das geht viel leichter, als Ihnen Kochbücher so einreden wollen!

Foto: Tobias Müller

Wer jetzt schreit, dass man bei uns keine Artischocken kriegt: der Biomartin am Yppenplatz in Wien hat fast immer italienische Ware, und wenn das für Sie schlecht liegt, reden Sie mit dem Gemüsehändler Ihres Vertrauens, er kann ihnen leicht vom Großmarkt welche besorgen (Sie haben keinen? Höchste Zeit, das zu ändern!). Die großen französischen hat der Gerald König in der Servitengasse im Programm – wenn Sie sie sehen, unbedingt zuschlagen! Unbedingt zuschlagen! Achten Sie darauf, dass sie sich fest anfühlen und ihre Blätter noch geschlossen sind, und dass am besten die Stiele noch dran sind – die schmecken nämlich fast so gut wie die Böden.

Als heimische Alternative eignet sich übrigens ganz wunderbar die Kardone, eine Schwägerin der Artischocke. Bei ihr isst man nicht die Blüten, sondern die mächtig-fleischigen Blätter. Die wunderbare Bioschanze hat eigentlich den ganzen Winter welche. Aber die sind so gut, dass sie eine eigene Geschichte wert sind.

Carciofi e Patate (Für zwei bis vier)

2 oder 3 Artischocken, nicht zu groß

4 mehlige Erdäpfel

1 Handvoll schwarze Oliven

2 Knoblauchzehen

Saft einer Zitrone

Ein bissl frischer Petersilie

Reichlich gutes Olivenöl

Salz

Zuerst die Artischocken putzen: die obere Hälfte bis zu zwei Drittel mit einem guten Messer abschneiden. Dann die äußeren harten Blätter abschälen, bis das gelbgrüne Innere frei liegt. Mit einem kleinen Messer nun die Ansätze der harten Blätter entfernen.

Foto: Tobias Müller

Die Artischocke je nach Größe halbieren oder vierteln, eventuell darin befindliches Heu entfernen. Voila, fertig. War keine Hexerei. Aus den ganzen Abschnitten können Sie übrigens Artischockenöl machen.

Aja, und einmal geputzt in gesäuertes Wasser legen. Sonst läuft die Distel braun an. Ist zwar geschmacklich auch egal, sieht aber unschön aus.

Wer Stiele hat: mit einem kleinen Messer großzügig schälen, bissl zurecht schneiden und ebenfalls ins Zitronen- oder Essigwasser legen.

Foto: Tobias Müller

Die Kartoffel schälen und ebenfalls vierteln. Den Knoblauch fein hacken. In einem Schmortopf jede Menge Olivenöl mittelheiß werden lassen. Den Knoblauch kurz darin anbraten (aber nicht verbrennen lassen. Außer sie mögen das so, wie die Neapolitaner), dann die Artischocken zugeben und kurz mitbraten.

Foto: Tobias Müller

Kartoffel und Oliven dazu werfen mit ein wenig Wasser aufgießen (grad so, dass es den Kartoffeln bis zum imaginierten Hals steht).

Foto: Tobias Müller

Zum Köcheln bringen, zudecken, auf niedrige Hitze schalten, und garen, bis die Kartoffeln weich, aber noch nicht ganz zerfallen sind und sich eine sämige Sauce gebildet hat. Mit frisch gepresstem Zitronensaft und frisch gehackter Petersilie abschmecken und lauwarm servieren.

Foto: Tobias Müller

Mit viel jungem, noch blubbernden Wein und eventuell einer gebratenen Salsiccia oder einem geschmorten Oktopus genießen.

Foto: Tobias Müller

(Tobias Müller, 3.11.2019)