Don Karlos wirft sich dem brillant-rätselhaften Marquis Posa an die Brust.

Foto: APA/BURGTHEATER/MATTHIAS HORN

Finsterer, als es Martin Kušej in seiner Inszenierung von Don Karlos am Burgtheater zeichnet, ist Spanien nie gewesen. Kein Tageslicht wärmt den sich zwischen politischer Pflicht und persönlichen Mesalliancen aufreibenden Hof König Philipp II, der damals, im 16. Jahrhundert, einer Weltmacht glich. Erhellt ein schwacher Lichtstrahl aus dem Schnürboden die randlose Dunkelheit dieses Reiches, so ist es kalt und unheilvoll. Dann leuchten die Gesichter dramatisch – von leichenblass bis übel-grün. Oder sie bleiben im Schatten und sprechen dann wie unerlöste Geister.

Das dämmersüchtige Lichtspiel ist denn auch das zentrale Stilmittel dieser wuchtigen Sprechtheateraufführung von Regisseur Martin Kušej – nach Faust und Virginia Woolf nun die dritte nach Wien verpflanzte Münchner Arbeit des Intendanten (Premiere war im Mai 2018; DER STANDARD berichtete). Viereinhalb Stunden mutet dieser seinem Publikum zu – sie erzeugen, geleitet von Bert Wredes dumpf hämmerndem Soundtrack, im besten Fall einen Sog hinein in die todverheißende Schwärze dieser mit sich selbst überforderten Welt. Ein Vater-Sohn-Konflikt, bedingungsloser Machterhalt, verhinderte Liebe und Intrigen behandelt Friedrich Schiller in seinem 1787 uraufgeführten grandiosen Blankversdrama, das von Zeit zu Zeit klirrende Sätze wie Eissplitter von sich wirft: "Jede Tugend ist fleckenfrei / bis auf den Moment der Probe".

Im Religionskrieg wird geopfert

Es wird nie hell werden in diesem "größten Reich der Christenheit" – dafür sind auch die von Anfang an als Mafia-Witwen gekleideten Damen des Hofes, die nun aus dem Wiener Ensemble neu besetzt wurden, ein untrügliches Zeichen: Marie-Luise Stockinger als Elisabeth, Katharina Lorenz als Prinzessin Eboli und Marta Kizyma als Marquisin Mondekar. Und am Ende erhebt sich wie aus dem Totenreich Martin Schwab als Großinquisitor, schüttelt sich den humanistischen Staub vom Revers, bringt das Goldkreuz seiner Kette in Stellung und zementiert gottgleich die Macht der hier bedingungslos herrschenden Kirche. Diese Finsterwelt mit Herrschaftsansprüchen nicht nur in Übersee, sondern auch in Italien, Teilen Frankreichs und den Niederlanden, ist das Zentrum des damaligen Europas. Nicht ohne Probleme: Die protestantischen Provinzen Flanderns begehren gegen die katholische Besatzungsmacht Spanien auf. Im Religionskrieg wird geopfert. Namenlose werden auf der Bühne von Zeit zu Zeit in den Tod gestoßen.

Als zu weich verachtet

Hier die Macht zu wahren reißt auch den König (Thomas Loibl) immer wieder aus den Angeln seiner Menschlichkeit. Seinen Sohn Don Karlos verachtet er als zu "weich". Nils Strunk zeichnet diesen als jungen, ungeschliffenen Mann, der wie keiner hier "menschelt", weil er sich ungehemmt eben dann kratzt, wenn es ihn juckt, und der sich seinem Freund, dem brillant-rätselhaften Marquis Posa (Franz Pätzold), heftig an die Brust wirft. Ihre Zuneigung füreinander ist ein Glutkern dieser hochkonzentrierten, puristischen Inszenierung, deren Flüsterpolitik die Akustik des Burgtheaters aber zu schaffen machte. Einiges blieb da ungehört.

Die berüchtigte Regiepranke Kušejs ist also wieder da. Sie wurde am Premierenabend mit freundlichem Applaus quittiert. Schon bald gibt es aber neue Gelegenheit, dann mit der ersten Neuinszenierung des Direktors: Kleists Hermannsschlacht mit zwei Dutzend Schauspielern am 28. November. (Margarete Affenzeller, 1.11.19)