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Da zeichnet sich eine Entwicklung ab: Vom Romanerstling "Unsterblich" (Thema: die virtuelle "Wiederauferstehung" Verstorbener) über "Neanderthal" (Gesundheitsdiktatur und rückgezüchtete Urmenschen) zum jetzigen "Transfusion" hat sich der deutsche Autor Jens Lubbadeh sukzessive von der Science Fiction zum Wissenschaftsthriller bewegt. Ein Genre mit deutlich weniger Gestaltungsspielraum, was den Plotverlauf betrifft – Lubbadeh nutzt "Transfusion" allerdings dafür, wenigstens ein paar Konventionen dieses Genres zu umgehen.

Erneut stehen ethische Aspekte des Themas Gesundheit im Mittelpunkt. Diesmal geht es um ein aus Blutplasma gewonnenes Medikament namens Bimini, das Alzheimer-Patienten ihr Gedächtnis zurückgibt. Das Pharmaunternehmen Astrada, das diese medizinische Revolution ein paar Jahre vor der Handlungszeit auf den Markt gebracht hat, sitzt in Hamburg, zugleich der Hauptschauplatz des Romans. Der Zeithorizont wird nie genannt, die verwendete Technologie spricht aber dafür, dass wir uns fast noch in der Gegenwart befinden.

Die Personen

Als im Klappentext Astradas charismatischer CEO Erik Freimuth genannt wurde, dachte ich mir noch: Nachtigall, ick hör dir trapsen. Das wäre nämlich gleich die erste Genrekonvention – der innovative Unternehmer, der eine mitreißende Persönlichkeit, jede Menge visionäre Ideen und salbungsvolle Worte, aber nicht einen einzigen Skrupel hat. Doch siehe da, es kommt anders. Freimuth spielt eine kleinere Rolle, als man zunächst annehmen würde, und die ist auch noch ambivalenter angelegt als der Schurke, zu dem solche Figuren in der Regel prädestiniert sind. Zumindest darf man lange rätseln, wo Freimuth nun steht.

Die positiv besetzte Hauptfigur des Romans, schon etwas konventioneller, ist Iliana Kornblum, die stellvertretende Forschungsleiterin von Astrada. Dass ihr eigener Vater durch Bimini von Alzheimer geheilt wurde, macht es für sie zu einer persönlichen Angelegenheit. Und stürzt sie in ein schweres moralisches Dilemma, als sich abzuzeichnen beginnt, dass die Herstellungsmethode von Bimini gelinde gesagt bedenkliche Seiten hat.

Weitere Protagonisten sind Ilianas Ex-Mann Phillip, mit dem sie eine gemeinsame Tochter hat, der Enthüllungsjournalist Klaus Merten (die Genrekonvention würde nahelegen, dass das Ilianas Love Interest werden sollte) und schließlich der eigentliche Entwickler von Bimini, Mark Jacobs. Der war bislang Astradas Forschungsleiter, hat aber – behauptet zumindest Freimuth – überraschend gekündigt und ist abgetaucht.

Der Plot

"Transfusion" beginnt damit, dass ein Frachtschiff aus Indien im Hamburger Hafen einläuft und in einem der Container die ausgemergelten Leichen von fünf Mädchen gefunden werden; alle halten ein Plüschtier mit Astrada-Logo im Arm. Mit dem oben geschilderten Kontext im Hinterkopf braucht man nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was den Mädchen zugestoßen ist. Aber das ist auch noch nicht der Punkt. Damit, dass der De-facto-Vampirismus der Bimini-Produktion offen ausgesprochen wird, setzt die eigentliche Handlung nämlich erst ein. Weitere Medikamente sind in Entwicklung, und die würden noch ganz andere Effekte bewirken.

Lubbadeh gelingt es recht gut, das Grunddilemma herauszuarbeiten: Was tun mit Medikamenten, deren Herstellung ethisch verwerflich ist – die aber auf der anderen Seite enormes Leid verhindern? (Gleich viel Leid? Und wie könnte man das abwägen?) Und dieses Dilemma äußert sich nicht nur in Diskussionen, sondern auch in Taten: Alle erliegen zumindest zeitweise der Verführung durch Astradas neue Möglichkeiten. Selbst Iliana wird sich in der Not einmal zu etwas hinreißen lassen, das für sie eigentlich unvorstellbar sein müsste.

Unterm Strich

Geschmälert wird die Wirkkraft des Diskursteils etwas dadurch, dass "Transfusion" im letzten Drittel gar zu grell überzeichnet wird. Auf Iliana wird ein Anschlag verübt, dessen Methode ... unterm Strich eigentlich nur unfassbar umständlich ist. Warum er auf diese Weise ausgeführt wird, ist schon klar: wegen des Show-Effekts. Aber das ist ein Motiv des Autors und nicht eines des Täters. Der sollte eigentlich nur an einer zweckmäßigen Methode interessiert sein, die lästige Mitwisserin diskret zu entfernen. Nicht plausibel also (wenn auch interessant zu lesen).

Die Ereignisse kurz vor Schluss wirken dann so, als hätte Lubbadeh kurz mit dem Gedanken gespielt, mit einer weiteren Konvention von Wissenschaftsthrillern zu brechen ... und dann im letzten Moment doch noch gekniffen. So weicht das Ende nur formal, aber nicht inhaltlich von dem ab, was sich jeder erwartet, wenn er einen Roman aus diesem Genre aufschlägt. Ein bisschen schade – aber eben typisch.