Olga Esina und Jakob Feyferlik als "Diamanten" im dritten Teil des Ballettklassikers "Jewels" an der Oper.

Staatsoper

Marilyn Monroes Liedchen, dem zufolge Diamanten eines Mädchens beste Freunde seien, klingt heute echt traurig. Vier Jahre nach dem Musical Gentlemen Prefer Blondes, das vor 70 Jahren das Licht des Broadway erblickt hatte, kam der berühmte Film heraus, in dem Monroe den Versicherungswert der harten Steine besingt. Und obwohl Audrey Hepburn 1961 bei Tiffany's gefrühstückt hat, wurde George Balanchine von einem anderen New Yorker Juwelier dazu gebracht, ein Stück über Smaragde, Rubine und Diamanten zu zaubern.

Claude Arpels soll den Ballettstar in seiner Boutique an der Fifth Avenue, nur einen Katzensprung von Tiffany entfernt, vom Diskurswert der feinen Steine überzeugt haben. Das Ergebnis Jewels wurde im April 1967 uraufgeführt, und nur ein halbes Jahr später prunkte die persische Schahgemahlin Farah Diba mit einer von Van Cleef & Arpels gefertigten Krone.

Brillante Protagonisten

Jewels gilt als erstes "abstraktes" Ballett überhaupt. Seit dem Wochenende zeigt das Wiener Staatsballett im Haus am Ring es erstmals in komplettem Umfang. Teile davon waren bereits vorher zu sehen: Ballettfans erinnern sich sicher etwa an das Gastspiel des Balletts der Pariser Oper beim Festival tanz2000.at. Darin tanzte vor rund 19 Jahren der heutige Staatsballett-Leiter Manuel Legris in Capriccio, wie der Jewels-Mittelteil Rubies alternativ genannt wurde. In der aktuellen Premiere am Samstag ließ Legris nun Davide Dato, Nikisha Fogo und Ketevan Papava in rubinroten Kostümen zur Musik von Igor Strawinskys Capriccio für Klavier und Orchester funkeln.

Als grüne Emeralds (Smaragde) schimmerten im ersten Teil unter anderen Natascha Mair und Robert Gabdullin, und das brillante Protagonistenpaar von Teil drei, Diamonds, bildete Olga Esina gemeinsam mit Jakob Feyferlik. Emeralds wird zu Gabriel Faurés Pelléas et Mélisande (op. 80) getanzt, das ursprünglich für Maurice Maeterlincks gleichnamiges Theaterstück komponiert wurde. Eine tragische Liebesgeschichte, die in Balanchines Choreografie in Anspielungen ebenfalls zu lesen ist: vor allem im letzten Teil, La Mort de Mélisande. So ganz abstrakt ist Jewels, an dessen Ausdeutung sich Tanzexperten seit Jahrzehnten die Zähne ausbeißen, also nicht.

George Balanchine gehörte zu jenen Künstlern, die sich standhaft weigerten, ihre Werke zu erklären. Auf die Frage, worum es in Rubies geht, antwortete er ironisch: "Um zwanzig Minuten." So lange dauert Strawinskys Musik. Im Tanz tauchen komische Showelemente und sogar Reminiszenzen an Charlie Chaplin auf. Das Bühnenbild zeigt außerdem rote Streifen – ein Schelm, wer da an amerikanisches Entertainment denkt. Strawinsky hatte die Musik bewusst witzig komponiert, um damit Geld zu verdienen, und Balanchine nutzte den Spaß, um in Rubies mit etlichen Balletttraditionen zu brechen.

Stilisierte Leidenschaft

Dieser Bruch beeinflusste später William Forsythe, der dem Spitzentanz eine postmoderne Form verlieh und damit zahllose andere Choreografen beeinflusste. Das Wiener Programm des Pariser Balletts im Jahr 2000 führte das vor: An diesem Abend konnte das Publikum selbst Balanchines Stück mit Forsythes The Virginious Thrill of Exactitude (1996) vergleichen. In Diamonds, dem dritten Jewels-Teil, bezieht sich Balanchine zu Peter Iljitsch Tschaikowskys 3. Symphonie in D-Dur (op. 29) auf den russischen Ballett-Großmeister Marius Petipa. Hier wird sozusagen das klassische Ballett selbst getanzt, in all seiner Ambivalenz zwischen distanzierter Modellierung und stilisierter Leidenschaft. (Helmut Ploebst, 4.11.2019)