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Also sprach Siya Kolisi nach dem dritten WM-Titel der Springboks: "Wir haben für unsere Leute zu Hause gespielt."

Foto: AP/ Christophe Ena

Südafrika hat einen neuen Helden. Er hat dieselbe Hautfarbe wie Nelson Mandela, spricht dieselbe Muttersprache, nämlich Xhosa, und ist mit 1,88 Metern genauso groß wie das weltweit bekannte politische Idol war. Siya Kolisi wird auch von derselben Vision wie sein vor sechs Jahren verstorbenes Vorbild angetrieben: Der traumatisierten Nation am Kap der Guten Hoffnung eine neue Grundlage zu verschaffen. "Wir haben für unsere Leute zu Hause gespielt", sagte der 28-jährige Kapitän der südafrikanischen Rugbynationalmannschaft, nachdem die Springboks am Samstag das WM-Finale gegen England im japanischen Yokohama-Stadion souverän für sich entschieden: "Wir können alles erreichen. Wir müssen nur zusammenstehen."

Auftrieb für traumatisierte Nation

In einer spätestens durch Clint Eastwoods Film Invictus weltberühmt gemachten Anstrengung hatte Mandela vor 24 Jahren bei der Rugby-WM in Südafrika die einst vor allem unter den weißen Buren beliebte Sportart zum Zement eines nationalen Selbstbewusstseins zu machen versucht – mit bewundernswertem Geschick, aber eingeschränktem Erfolg. Kolisi gelang jetzt die Verkörperung einer Neuauflage des Traums: Mit sportlichem Können und umwerfendem Charme hat er der noch immer traumatisierten Nation einen womöglich entscheidenden Auftrieb verpasst. "Dieser Sieg ist viel größer als der von 1995", ist Ex-Springbok-Kapitän John Smit überzeugt: "Er wird Südafrika in eine neue Umlaufbahn befördern."

Das haben die Kapländer auch dringend nötig. Von einer raffgierigen Führung zugrunde gerichtet, schleppt sich ihr Land von einer Hiobsbotschaft zur anderen: Leere Kassen, astronomisch hohe Arbeitslosenzahlen, eine zunehmend zerfallende Gesellschaft, die kaum noch gemeinsame Ziele und Werte kennt.

Aus armen Verhältnissen

Siya Kolisi erhob sich wie Phoenix aus der Asche: Er ist der Sohn bettelarmer Eltern aus einem Township bei Port Elizabeth, musste als Kind hungrig ins Bett gehen und absolvierte seine ersten Rugbyspiele in löchrigen Halbschuhen auf einem Kiesplatz. Dort wurde er entdeckt und erhielt ein Stipendium in einer Privatschule – alles andere ist heute Geschichte. Der Flanker, der mit einer Weißen verheiratet ist und vier Kinder hat, wurde vor eineinhalb Jahren zum ersten dunkelhäutigen Springbok-Kapitän: Ein Beispiel dafür, dass am Kap der Guten Hoffnung inzwischen, wenn nicht alles, so doch Überraschendes möglich ist. (Johannes Dieterich, 3.11.2019)