Wer hat das Flugzeug abstürzen lassen? Terroristen? Anbeter der verdrängten Götter Wotan und Freia? Der Besuch von Salzburgs "Lohengrin" liefert dazu interessante Ideen.

Foto: Landestheater

Der zerborstene Rumpf eines abgestürzten Passagierflugzeugs füllt die monumentale Bühne: Bühnenbildner Piero Vinciguerra schuf ein apokalyptisches, ein befremdliches und zugleich erstaunlich stimmiges Setting für eine ruinöse Endzeit-Story, deren zum "Heil" verführte Protagonisten einen brutalen Crash erleiden. Erzählt wird vom Absturz aus himmlisch-sektiererischen Höhen hinab in die Tiefen der politischen, ebenfalls religiös grundierten Intrige.

Auch Lohengrin, "Lichtbringer/Luzifer", hat dunkle Seiten: Er trägt über dem glitzernden Panzerhemd einen von Kostümbildnerin Gabriele Rupprecht als Spiel von Licht und Schatten entworfenen schwarz-weißen Anzug. Und er schickt sich in der Regie von Roland Schwab kurzerhand an, die naive und doch so hellsichtig zweifelnde Elsa im Brautgemach (auf der abgebrochenen Tragfläche) zu vergewaltigen.

Es ist ein musikalisch, sängerisch, darstellerisch und szenisch spannender Lohengrin, mit dem sich das Salzburger Landestheater in der Felsenreitschule eingemietet hat. Am Pult des Mozarteumorchesters gab Leslie Suganandarajah sein überzeugendes Debüt als Musikdirektor des Landestheaters. Die Streicher des Mozarteumorchesters entfalten die Lichtklänge Richard Wagners als Bögen, die wie Schleifen der Unendlichkeit ineinandergreifen.

Wagner swingt plötzlich

Die Bläser geben den düstern Umtrieben bedrohliche wohl ausgelotete Schärfe bei perfekt gerundetem Gesamtsound. Also: Suganandarajah und das Orchester betören mit einer Wagner-Lesart, in der man sich durchaus träumend verlierend möchte, gäbe es nicht in praktisch jedem Moment spannungsvolle Details zu erleben. Die höfischen Festfanfaren etwa bringt Suganandarajah geradezu zum Swingen.

Die Sänger sind hervorragend: Benjamin Bruns ist ein idealer Lohengrin, seine Stimme geschmeidig und strahlend. "Spitzentöne" werden von ihm nicht angesteuert, sondern wie selbstverständlich eingebettet in die großen Linien. Stupend zudem seine Textverständlichkeit. Die nämlichen Qualitäten im Sopranfach entfaltet Jacquelyn Wagner als Elsa.

Auf der dunklen Seite der Macht überzeugen Alexander Krasnov als Friedrich von Telramund und besonders Miina-Liisa Värelä als dämonische Ortrud. Pavel Kudinov als Heinrich der Vogler ist ebenso überzeugend, wie Raimundas Juzuitis als Heerrufer des Königs und der Chor.

Irritierend und inspirierend

Der abgestürzte Flieger irritiert und inspiriert. Wer hat das Flugzeug abstürzen lassen? Heidnische Terroristen? Anbeter der verdrängten Götter Wotan und Freia, denen Ortrud anhängt, die Gatten Telramund in die Intrige gegen Elsa hetzt? Spielt die ganz schräge Story sich überhaupt im Kopf der Passagiere ab – im Augenblick der Explosion?

War die aufstrahlende "Lichterscheinung" im Vorspiel doch nur der Anfang vom Ende? Der Schwan? Eine Lichtvision. Oder vielleicht auch alles nur Einbildung. (Heidemarie Klabacher, 4.11.2019)