Im Gastkommentar warnt Bildungswissenschafter Stefan Thomas Hopmann, in der Bildungspolitik nicht erneut im "hektischen Stillstand" stecken zu bleiben. Karl Heinz Gruber appellierte zuvor an die Grünen, die Bildungspolitik zur unabdingbaren Voraussetzung für eine türkis-grüne Koalition zu machen.

Kaum zeichnet sich die Möglichkeit aussichtsreicher Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und Grünen ab, kommen von der Seitenlinie allerlei Forderungen, was denn die Grünen vorschlagen, fordern, ja zur Koalitionsbedingung machen sollten.

Das ist in einer Demokratie völlig legitim. Auffällig ist nur, wenn nicht zuletzt aus dem geschrumpften sozialdemokratischen Reichsfünftel Erwartungen kommen, die Grünen mögen bitte schön dort weitermachen, wo die Sozialdemokraten seit Jahrzehnten gescheitert sind.

Bildung ist ein Thema der türkis-grünen Sondierungen. Deutschförderklassen etwa stehen die Grünen kritisch gegenüber.
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Im Bildungsbereich ist da gebetsmühlenartig von Ganztags- und Gesamtschulen bis hin zur Inklusion und Sonderpädagogik alles vertreten. Besonders Gewiefte wie Karl Heinz Gruber (siehe "Für einen bildungspolitischen Klimawandel") empfehlen gar, sich von der OECD und deren Konsorten sagen zu lassen, was zu tun sei, wohl wissend, dass dabei die üblichen Verdächtigen mit den schon hundert Mal durchgekauten Vorschlägen zu Worte kommen würden, und völlig ignorierend, dass von Bologna bis Pisa deren Politik in keinem einzigen Fall nachhaltig hat einlösen können, was vollmundig versprochen wurde. Natürlich gibt es auch von der "Gegenseite" Zwischenrufe, was die ÖVP auf keinen Fall aufgeben oder vergessen dürfe.

Frische Ideen ...

Solche Ratschläge übersehen mindestens zweierlei: Warum sollte zum einen eine fast dreimal stärkere ÖVP mit mindestens drei Koalitionsoptionen dem kleineren Gegenüber mit genau einer Koalitionschance zubilligen, was sie wesentlich stärkeren Partnern in den letzten Jahren nicht einräumen konnte?

Zum anderen wäre auch den Grünen selbst nicht damit gedient, sich an eine Politik zu binden, die den einen auf jeden Fall zu weit geht, den anderen immer noch zu wenig ist und in keinem Fall ein Neuanfang wäre, der sich seine eigenen Erfolgsmaßstäbe setzt.

Wäre es nicht sinnvoller, die möglichen Koalitionäre würden sich ohne Einflüsterungen der immer schon Eingeweihten ein blankes Blatt Papier nehmen und auf wirklich neue Überschriften und Inhalte einigen, bei denen Bewegung möglich ist, ohne dass sich einer von beiden unziemlich verbiegen muss?

Von der Weiterentwicklung der Berufsbildung über Investitionen in einen ökologischeren Schulbetrieb bis hin zu besonders belasteten Zielgruppen gäbe es da mehr als genug, was zu tun wäre. Sollte man sich dabei erwartungsgemäß nicht auf die eine große Reform verständigen können, der man alles zutraut, könnte man sich stattdessen darauf konzentrieren, die jeweiligen Handlungsspielräume der Beteiligten so zu erweitern, dass frische Ideen ausprobiert und neue Wege gegangen werden können.

Der Erfolgsmaßstab wäre dann nicht die Evidenz für schlichte Gemüter, also irgendwelche kurzschlüssigen Schulleistungsstatistiken, sondern die konkrete Erfahrung vor Ort, dass dort, wo Handlungsbedarf besteht, gehandelt werden kann und wird.

... statt hektischer Stillstand

In einem Land, das schon immer seine Stärke daraus bezieht, dass jenseits der Vorschriften gemeinsam gute Lösungen gefunden werden, wäre ein solch optimistischer Zugang allemal vielversprechender, als wieder im hektischen Stillstand der letzten Jahre steckenzubleiben, bei dem unablässiges Schrauben an den immer gleichen Stellschrauben nichts wirklich vorangebracht hat. (Stefan Thomas Hopmann, 5.11.2019)