Georgia Sagri klebt Bilder von Fleischwunden an die Wände der Kunsthalle. Wir müssen unsere Umwelt heilen, um uns als Gesellschaft zu kurieren, meint die Künstlerin.

Foto: Timo Ohler

Felix Gonzalez-Torres' Plakat mit der Aufschrift "Es ist nur eine Frage der Zeit" entstand 1992 in Reaktion auf Aids und weckt hier und heute wegen der gotischen Lettern eher politische Assoziationen

Foto: Felix Gonzalez-Torres Stiftung

Eigentlich ist alles bereit für die Party: Das Deckenlicht ist schummerig, die Musik wummert und die Einmachgläser, in denen man sein Ecstasy im Klospülkasten versteckt, sind an die Wand gerückt (Jason Dodge). Platz zum Tanzen! Aber die Gäste kommen in der Wiener Kunsthalle nicht so recht in die Gänge. Vielleicht liegt das daran, dass der Gastgeber ihnen nicht ganz sagen kann, was denn der Anlass des kleinen Zusammenkommens ist.

Das Motto lautet Time Is Thirsty. Erst hätte es um 1992 gehen sollen, das Jahr der Eröffnung der Kunsthalle am Karlsplatz. Aber das wäre zu langweilig gewesen. Nun geht es darum, wie sehr dieser historische Zeitpunkt und das Heute zusammenpassen. Denn in den 90ern begann der in die Zukunft zielende Zeitstrahl ein Ringerl zu ziehen, so die These: Wirklich neues entsteht nicht mehr. Werke von damals und solche der letzten paar Jahre hängen also nebeneinander an den Wänden.

Stinkende Fleißaufgabe

Was von wann ist, kann man tatsächlich kaum sagen. Nicht bloß, weil Infoschilder fehlen, damit man störungslos zwischen den Jahrzehnten verloren gehen kann. Georgia Sagris Wandtattoos von Fleischwunden sind von letztem Jahr, könnten aber genauso gut 1992 einem Bravo-Heft als Sticker beigelegt worden sein. Von Künstlern (Maurizio Cattelan u. a.) designte Tattoos, die anlässlich einer Schau in Paris 1992 keiner auf der Haut wollte, kann man sich nun als Reenactment stechen lassen. Xavier Aballí lässt On Kawaras Date Paintings konzeptuell ziemlich verwässert wieder aufleben.

Der heuer im Unfrieden geschiedene Kunsthallenchef Nicolaus Schafhausen hat die Schau hinterlassen. Lustvolles hat man ihm selten nachgesagt, auch Time Is Thirsty wirkt verkopft. Trotz vieler Ankünpfungspunkte für die Sinne: Musiker Peter Rehberg und das Duo Vipra beschallen den Raum alternierend sehr laut. Das Licht wechselt je nach Tageszeit. Dass Duftkünstlerin Sissel Tolaas Wiens Geruch von 1992 nachgebraut hat, ist eine manchen in der Nase beißende Fleißaufgabe.

Ratlos machende Einzelstücke

Ein aufwendiger Rahmen für hie und da nette Einzelstücke, die aber im Gesamten ratlos machen. Franco Mazzucchellis aufblasbare Bilder aus schwarzem Gummi führen uns etwa ästhetisch definitiv zurück in eine vorklimabewusste Epoche. Auch wenn die gezeigten Stücke von 2017 stammen, macht Mazzucchelli solche Arbeiten allerdings schon seit den 1970ern. Was bedeutet das nun?

Die Schau wirkt weniger anregend denn nostalgisch. Das Konzept wirkt erzwungen. Ein Brückenschlag gelingt höchstens mit einem in ganz Wien affichierten Plakat von Felix Gonzalez-Torres mit der Aufschrift "Es ist nur eine Frage der Zeit". 1992 in Reaktion auf Aids entstanden, weckt es nun wegen der gotischen Lettern aber politische Assoziationen.

Unser Internet geht inzwischen schneller, Handys sind kleiner, Frisuren schauen besser aus. Sollte die Kunst hingegen gar nichts dazugelernt haben? Insofern wäre die Teilnahme aller aktuellen Künstler an der Schau als Versagen zu werten. Das muss ja auf die Partystimmung schlagen. (Michael Wurmitzer, 5.11.2019)