Nimmt ein Hartz-IV-Empfänger eine zumutbare Arbeit nicht an oder bricht sie ab, werden Leistungen laut Gesetz gekürzt.

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Wenn Leistungen von Hartz-IV-Beziehern gekürzt werden, bleibt kaum Geld mehr für die Grundversorgung. Das war dem Gericht ein Dorn im Auge.

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"Hartz IV muss weg!" Diese Parole ist mal mehr, mal weniger laut seit eineinhalb Jahrzehnten in Deutschland zu hören. Die Kritik bezieht sich auf jene Leistung, die eigentlich "Arbeitslosengeld II" heißt, im Volksmund aber "Hartz IV" genannt wird. Langzeitarbeitslose bekommen sie, es ist bloß eine finanzielle Sicherung auf Höhe des Existenzminimums.

Für eine einzelne Person gibt es im Monat derzeit 424 Euro, zudem werden Kosten für die Wohnung übernommen. Wer nicht kooperiert, wird sanktioniert. Das ist dann der Fall, wenn die Betroffenen Weiterbildungen oder zumutbare Jobs verweigern oder Terminen in der Behörde nicht nachkommen.

So mancher Gegner hatte daher gehofft, dass am Dienstag, dem 5. November, die Bestrafung generell ein Ende finden würde. In Karlsruhe nämlich, am Bundesverfassungsgericht, stand die Urteilsverkündung über "Sanktionen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten" auf der Tagesordnung. Die Richter aber stellten fest, dass der deutsche Staat sehr wohl Langzeitarbeitslosen, die sich nicht kooperativ verhalten, die ohnehin knappen finanziellen Leistungen kürzen darf.

Nur noch 30 Prozent minus

Doch dann folgte das große Aber des Gerichts. Dieses lautet: So hart wie derzeit dürfen die Jobcenter nicht sanktionieren. So viel Geld wie bisher können sie Langzeitarbeitslosen nicht wegnehmen. Nur noch maximal 30 Prozent der Leistungen dürfen einbehalten werden, sagt das Gericht. Kürzungen von 60 oder sogar 100 Prozent (stattdessen gibt es nur noch Sachleistungen) seien hingegen mit dem Grundgesetz unvereinbar.

Nimmt ein Hartz-IV-Empfänger eine zumutbare Arbeit nicht an oder bricht sie ab, werden Leistungen laut Gesetz gekürzt.
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Denn, so Vizegerichtspräsident Stephan Harbarth in seiner Urteilsbegründung: "Der Gesetzgeber schafft hier für die betroffenen Menschen, denen dann ein Teil des Existenzminimums fehlt, eine außerordentliche Belastung."

Frage der Motivation

Das Gericht aber sieht einen "Schutzauftrags des Staates" und stellt klar: "Die zentralen Anforderungen für die Ausgestaltung der Grundsicherungsleistungen ergeben sich aus der grundrechtlichen Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums." Bemängelt wird außerdem, dass es keine Erkenntnis gebe, dass solch starke Eingriffe zur Motivation eines Erwerbslosen beitrügen.

In Gang gekommen war das Verfahren durch eine Klage eines Mannes aus Erfurt (Thüringen). Der Lagerarbeiter hatte sich bei einer Firma als Verkäufer beworben. Eine Stelle im Lager wollte er nicht, daraufhin wurde ihm das ALG II um 30 Prozent – um 117,30 Euro monatlich – gekürzt.

Als der Mann auch eine Probetätigkeit beim potenziellen Arbeitgeber ablehnte, sank die Leistung um weitere 30 Prozent, insgesamt also um 234,60 Euro im Monat. Dagegen reichte der Hartz-IV-Bezieher Klage ein.

Viele Meldeversäumnisse

Derlei gravierende Verstöße sind aber nur in den selteneren Fällen der Grund für Sanktionen. 2018 waren laut Bundesagentur für Arbeit rund 4,14 Millionen Menschen sogenannte "erwerbsfähige Leistungsempfänger". Das sind 49.000 weniger als im Jahr davor. Es wurden 904.000 Sanktionen verhängt, in 77 Prozent der Fälle aufgrund von Meldeversäumnissen, wenn also jemand einen Termin im Jobcenter ohne Angaben eines wichtigen Grundes nicht wahrnahm.

Ab sofort sind nach dem Urteil nur noch Kürzungen von 30 Prozent der Leistung möglich. Der Gesetzgeber muss sich also schnell an eine Reparatur machen.

Applaus für das Urteil gibt es von der SPD, Linken, Grünen und Sozialverbänden. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagt: "Es ist ein weises und ausgewogenes Urteil." Nun biete sich eine "Riesenchance", den gesellschaftlichen Konflikt um die Arbeitsmarktreformen zu befrieden.

Die Sanktionen gänzlich abschaffen will Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes: "Sie entspringen einer längst überwundenen Rohrstockpädagogik des vergangenen Jahrhunderts." In der CSU hingegen weist man darauf hin: Wer steuerfinanzierte Sozialleistungen bezieht, muss auch Gegenleistung erbringen. (Birgit Baumann aus Berlin, 5.11.2019)