Nicht nur "Listenhunde" beißen. Der Verein Große schützen Kleine hat gemeinsam mit der Grazer Kinderchirurgie und dem Land Steiermark 300 Unfälle von Hunden mit Kindern untersucht. Das Ergebnis zeigt, dass Mischlinge, Schäferhunde und Golden Retriever an der vordersten Stelle der beißenden Hunde zu finden sind. "Die Einstufung bestimmter Rassen als gefährlich beziehungsweise Rassenlisten sind aus Tierschutzsicht kein geeignetes Instrument, um Unfälle mit Hundebeteiligung zu reduzieren", sagt die steirische Tierschutzombudsfrau Barbara Fiala-Köck. Stattdessen setzt sich die Tierschutzombudsstelle Steiermark dafür ein, mehr Augenmerk auf die Bewusstseinsbildung bei Eltern, Kindern und im familiären Umfeld zu legen.

Kleine Kinder können die Sprache der Hunde (Verhalten und Mimik) noch nicht richtig interpretieren.
Foto: www.corn.at , Heribert CORN

Meist beißt der Hund von Großeltern, Tante oder Onkel

Die Studie zeigt, dass in nur 23 Prozent der Fälle der eigene Hund zugebissen hat. Fast jeder zweite Biss wurde durch einen "bekannten" Hund, also zumeist durch den Hund von Großeltern, Onkeln und Tanten oder Nachbarn, verursacht. Die Kinder, die vom Hund der Großeltern oder vom Hund von Tante oder Onkel gebissen wurden, waren meist sehr jung. Peter Spitzer vom Forschungszentrum für Kinderunfälle des Vereins Große schützen Kleine dazu: "Anscheinend gibt es im erweiterten familiären Umfeld der Kinder großen Aufholbedarf an Wissen im Umgang mit Kindern und Hunden."

Jüngere Kinder werden oft in den Kopf gebissen

Aufgrund der Körpergröße des Kindes im Vergleich zum Hund war bei jedem zweiten Vorfall der Kopf betroffen. "Je jünger das Kind, desto höher die Wahrscheinlichkeit für eine schwere Bissverletzung und eine Verletzung des Kopf- oder Halsbereichs. Jedes zehnte Kind wurde infolge des Hundebisses stationär aufgenommen. Die Wunden mussten wir hier zumeist operativ versorgen", sagt Johannes Schalamon von der Abteilung für Kinder- und Jugendchirurgie am LKH Graz.

Im Durchschnitt war das verletzte Kind sechseinhalb Jahre alt. Genauso viele Mädchen wie Buben waren in Unfälle mit einem Hund verwickelt. Zumeist wurden die Kinder beim Spielen mit dem Hund gebissen, gefolgt vom Vorbeilaufen, Vorbeikrabbeln und Streicheln. 15 Prozent der in der Studie befragten Eltern gaben an, dass ihr Kind gesundheitliche Folgen des Bisses (meist Narben) hatte. Etwa jedes zweite Kind leidet beziehungsweise litt nach dem Unfall an Angst vor Hunden.

Beißrisiko höher, wenn der Hund vor dem Kind in der Familie war

Sehr eindrücklich zeigt die Studie, dass Hunde eher beißbereit sind, wenn sie bereits vor der Geburt des Kindes in der Familie waren. Das Kind war zum Zeitpunkt des Bisses also das jüngste "Rudelmitglied". "Daraus kann man ableiten, dass man mit der Anschaffung eines Hundes idealerweise warten soll, bis das jüngste Kind das Schulalter erreicht hat", so Spitzer. Grundsätzlich ist man natürlich bei keiner Hunderasse vor einem Biss gefeit, aber natürlich geht von kleineren Hunden weniger Risiko für schwere Verletzungen aus.

Kinder können Warnsignale des Hundes erst mit acht bis zehn Jahren erkennen. Bei Kleinkindern und Kindergartenkindern liegt es also komplett an den Erwachsenen, das Kind vor Verletzungen durch Hunde zu schützen. Gerade jüngere Kinder sehen den Hund zudem oft als "Kuscheltier". Diese falsche Einschätzung wird durch Filme mit vermenschlichten, sprechenden Hunden et cetera noch verstärkt.

Maulkorbzwang und Rassenlisten sinnvoll?

Die vieldiskutierten Rassenlisten oder ein Maulkorbzwang hätten die meisten Unfälle aus der Studie nicht verhindern können, denn im eigenen Haushalt trägt der Hund in der Regel keinen Maulkorb. Die Studie belegt auch eindeutig, dass sich Beißattacken am häufigsten im privaten Bereich ereignen. Der steirische Landesrat Anton Lang (SPÖ) stellt sich hier auf die Seite der Tierschutzombudsstelle: "Vor allem ein verantwortungsbewusster Umgang mit Hunden kann Beißunfälle verhindern. Aufklärung und umfangreiche Schulung von Hundebesitzern sind dabei oberstes Gebot."

Ein Beispiel wäre das Projekt "Pet Buddy" des Vereins Tierschutz macht Schule. Dieses ermöglicht es Kindern, in der Gemeinschaft ihrer Schulkameraden den sicheren Umgang mit Heimtieren zu erlernen und die Bedürfnisse der Tiere zu erkennen. "Durch das direkte Erleben und Umsetzen vor Ort ergibt sich ein hoher Lerneffekt, der auch nachhaltig wirkt", so Lang.

Empfehlungen zur Vermeidung von Hundebissen

Als Zusammenfassung aus dem Fokusreport des Vereins Große schützen Kleine und anderen internationalen Studien ergeben sich folgende Empfehlungen:

Verhaltenskodex für den richtigen Umgang mit Hunden

  • Riechen ist für Hunde ein wichtiges Kommunikationsmittel, deshalb vor dem Streicheln erst beschnuppern lassen
  • Hunde jagen gerne alles, was läuft, deshalb niemals an Hunden vorbeilaufen
  • Nicht versuchen davonzulaufen
  • Schreien kann aggressives Verhalten hervorrufen, besser ruhig bleiben
  • Ein Hund ist kein Stofftier oder Spielzeug, deswegen Hunde nicht umarmen oder küssen
  • Direkter Augenkontakt könnte als Aggression gedeutet werden
  • Hunde beißen meist in Arme, Beine und Kopf oder Hals. Bei Angriff ruhig stehen bleiben (Beine zusammen), Kopf und Hals mit Armen und Händen schützen
  • Am Boden liegen kann Angriffe provozieren, deshalb aufstehen; bei Angriff im Liegen Gesicht zu Boden, Ohren mit Händen bedecken und nicht bewegen
  • Kämpfende Hunde beißen alles in ihrer Nähe, deswegen sich niemals in einen Kampf zwischen Hunden einmischen

Anschaffung eines Hundes

  • Vorab informieren, ob die Rasse zu den persönlichen Möglichkeiten passt
  • Kauf einer bestimmten Hunderasse nicht nur aufgrund eines aktuellen Modetrends
  • Anschaffung eines Hundes nicht vor einem Kind (Rangfolge – Eifersucht)

Hunde in der Öffentlichkeit

  • Verwenden Sie für Ihren Hund in der Öffentlichkeit konsequent Leine und Beißkorb
  • Abstand zu liegenden fremden Hunden halten (in der Öffentlichkeit, im Lokal)
  • Schaukelnde Kinder sind eine sehr interessante "Beute"
  • Vorsicht bei altersmäßig jungen Hundehaltern – diese sind oft mit der Aufsicht überfordert
  • Größte Vorsicht bei mehreren Hunden (fühlen sich im Rudel noch stärker)
  • Fremde Hunde sind in der Öffentlichkeit eher gereizt und "beißfreudig" (Stress)

Kinder im Umgang mit Hunden

  • Informieren Sie Ihr Kind über den richtigen Umgang mit dem Hund. Weisen Sie auf die natürlichen und "wilden" Verhaltensmuster des Tieres hin. Vermeiden Sie falsches Zutrauen oder Verniedlichung. Gefahr lauert nicht nur bei großen, "gefährlich aussehenden" Hunden, auch beim eigentlich vertrauten, friedliebenden Haustier ist generell Vorsicht geboten
  • Verbieten Sie dem Kind, ein fressendes oder schlafendes Tier zu stören
  • Kinder unter fünf Jahren nicht mit einem Hund alleine lassen
  • "Training" bei Kindern bis zum Volksschulalter nur bedingt erfolgreich
  • Risikobewusstsein entwickelt sich erst am Ende des Volksschulalters
  • Hundesprache wird bis zum Volksschulalter nur ungenau erkannt und interpretiert
  • Gesichtsmimik des Hundes täuscht Kindern oftmals (ungewollt!) Traurigkeit und Kuschelbedürfnis vor
  • Hundefilme, vor allem mit sprechenden Hunden, vermitteln jüngeren Kindern ein falsches Tierbild
  • Kindern gegenüber dem eigenen Hund die Grenzen klar aufzeigen und abstecken
  • Verhalten gegenüber bekanntem Hund genau definieren
  • Striktes Verbot, fremde Hunde anzufassen
  • Familieneigene Hunde möchten mit Babys und Kleinstkindern unter Umständen nur spielen und sie ziehen oder weitertragen. Ihre Beißkraft kann dabei jedoch – vom Hund ungewollt – zu schwerwiegenden Verletzungen führen