Vor einigen Jahren wandte sich ein deutscher Verleger bei der Frankfurter Buchmesse an den rumänischen Schriftsteller Mircea Cărtărescu. Er sagte, er sei an osteuropäischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern interessiert. Cărtărescu antwortete prompt, dass er sich nicht als osteuropäischen Schriftsteller sehe. "Natürlich", sagte der Verleger, "als Rumäne bist du Südosteuropäer." Diese simple Einordnung hatte für Cărtărescu folgende direkte Botschaft: "Bleib, wo du bist", wollte der Verleger freundlich ausdrücken. "Bleib in deinem Ghetto. Schilder dein kleines Stück (süd)osteuropäische Geschichte. Schreib über deine Securitate, über deinen Ceaușescu, über deinen Volkspalast. Über deine Hunde, deine Straßenkinder, deine Zigeuner. Sei stolz auf euren Widerstand während des Kommunismus und überlass es uns, über Liebe, Tod, Freude, Leid und Ekstase zu schreiben. Überlass uns die Avantgarde, Innovationen und kulturelle Normalität. Hier kannst du nur deine kleine exotische Welt beschreiben, sollte dich ein kleines Verlagshaus akzeptierten ... Entscheide: Entweder du bestätigst unsere Klischees, oder du verschwindest."

Cărtărescu war wütend. Er konnte die Dreiteilung Europas in West, Zentral und Ost nicht akzeptieren. Schon gar nicht die südosteuropäische Unterteilung der Unterteilung. "Westeuropa, Zentraleuropa, Osteuropa. Zivilisation, Neurose, Chaos. Wohlstand, Kultur, Chaos. Bewusstsein, Unterbewusstsein, Chaos." Cărtărescu hatte Musil gelesen, in dem er nicht Kakanien sah, sondern einen Fürsten des europäischen Geistes. Ihm war es egal, woher André Breton kam. Er suchte Bulgakows Kiew nicht auf einer Karte. Er schrieb: "Ich habe [die Werke von] Catalus, Rabelais, Cantemir und Virginia Woolf nicht von irgendeiner Landkarte, sondern von der Bibliothek, wo ihre Bücher nebeneinander stehen." Und schlussfolgerte: "Es gibt viele Europas in Raum und Zeit, in Träumen und Erinnerungen, in Wirklichkeit und in der Vorstellung. Eines davon, mein Europa, ist leicht zu erkennen, denn es hat die Form meines Gehirns. Es hat diese Form, weil mein Gehirn es von Anfang an nach sich selbst erschaffen hat." Wie "europäisieren" wir jemanden wie Cărtărescu, der aus der "Peripherie" stammt? Die Peripherie von was? Und was ist eine Peripherie?

Zentrum & Peripherie

Die Begriffe Zentrum und Peripherie führten die Vereinten Nationen in den 1950ern in ihren Wortschatz ein. Später thematisierte der im Sommer 2019 verstorbene Historiker Immanuel Wallerstein die Begriffe in der Weltsystem-Theorie, die den prozessualen Charakter dieser Konzepte hervorhebt: "In der Weltsystem-Theorie stehen Zentrum und Peripherie in einem Verhältnis zueinander, sie sind kein reifiziertes Begriffspaar, sie haben also keine separaten wesentlichen Bedeutungen." Auf dieser Grundlage haben andere eine vergleichende Theorie der Semi-Peripherie entwickelt, die eine "strukturelle Position, die oft entwicklungspolitische (oder evolutionäre) Bedeutung hat", einnehme. Osteuropa wird oft in diesem Zusammenhang genannt. Obwohl sie wegen exzessiven Ökonomismus und des Nichtbeachtens von Gesellschaftsschichten und Kulturen kritisiert wird, ist der Einfluss der Weltsystem-Theorie unbestritten.

Die Begriffe Zentrum und Peripherie wurden so in den Alltag integriert, dass ein "peripherer" Status gleich allen Aspekten des Lebens in der wirtschaftlichen Peripherie zugeschrieben wird. Aber, wie auch Jürgen Osterhammel in "Die Verwandlung der Welt" schrieb, "die politische Geographie deckt sich nicht mit der ökonomischen, und die Verteilung kultureller Zentren über den Globus gibt ein anderes Bild als diejenige der Konzentrationspunkte militärischer Macht". Zentrum–Peripherie ist nicht nur ein Verhältnis, sondern auch immer ein asymmetrisches Verhältnis. So argumentierte Henrik Stenius: "Entscheidend ist das Selbstverständnis der Akteurinnen und Akteure: Denken sie, ihre Ansichten haben noch Aufholbedarf, oder sind sie Teil einer aufsteigenden oder sogar dominanten Kultur?" Obwohl auch ich zugebe, dass die Kategorie "Peripherie" weiterhin einen Stellenwert als "sowohl wichtiges Konzept als auch Medienkürzel für (relative) Rückständigkeit" hat, will ich aufzeigen, dass sie in anderen sozialen und kulturellen Sphären auch einfach Wohlstand bedeutet. Und so ist das auch mit Europa.

Was ist überhaupt europäisch?

Europa hat, wie auch die Dreifaltigkeit, drei: den Namen, den Ort und die Idee. Und sie alle haben göttliche Ansprüche. Sie haben auch alle Räumlichkeit als einer ihrer zentralen Eigenschaften. Der Name gehörte ursprünglich einer Geliebten Zeus, auf dessen Rücken (in seiner Inkarnation als Stier) sie von Kleinasien nach Kreta ritt. Den Ort identifizierten als erstes die Griechinnen und Griechen auf den Inseln. Sie nannten das Festland nördlich des Peloponnes "Europa", heute bekannt als der "Balkan". Es war das Zentrum ihrer Welt und für eine gewisse Zeit das Zentrum der antiken Welt. Im Laufe der Jahrhunderte expandierte es Richtung Westen, bis es die gesamte west-eurasische Halbinsel einnahm. Dann begann es zu schrumpfen, bis es schließlich von seinem westlichsten Teil enteignet wurde. Zu dieser Zeit, vor allem nach dem Großen Schisma des 11. Jahrhunderts und dem Herannahen der Osmanen, wurde der Name schließlich von seinem nahöstlichen Ursprung getrennt. Das Christentum sollte die definitive und wirkliche Eigenschaft europäischer Kultur werden und ist heutzutage die zentrale Säule der Festung Europa. Doch ihr Schwerpunkt liegt nicht in Rom oder Konstantinopel, sondern im Nahen Osten.

Als Teil der Trilogie westasiatischer Religionen gibt es nichts speziell Europäisches. Das geschrumpfte Westeuropa wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als Europäische Union bekannt und begann vor 20 Jahren seine langsame Ostexpansion. Schlussendlich hat die Idee von Europa oder, besser gesagt, einem idealen Europa ihre göttlichen Ansprüche unweigerlich als Wertesystem; es hat sich erfolgreich als das erschaffen, was es nicht ist, oder, um es mit Edward Saids Charakterisierung von Kultur auszudrücken: Es differenziert sich ständig von dem, was es glaubt, nicht zu sein. Dieses Ideal ist weit verbreitet, obwohl nicht völlig unbestritten. Es gibt bekanntermaßen keinen Konsens darüber, was wir unter Europa verstehen, und es kann uns auch nicht vorgeschrieben werden.

Europa lässt sich nicht auf einen Nenner bringen. Im Bild: "Die Vergewaltigung Europas" von Gillis Coignet (zwischen 1592 und 1599).
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Der Westen

Eine kürzlich erschienene Studie, die sich mit dem Unterricht über europäische Geschichte in Schulen auseinandersetzt, zeigt, dass das Lehrpersonal "Europa hauptsächlich als geografisches Konzept und europäische Geschichte als die Geschichte von ein paar großen westeuropäischen Ländern inklusive Russland versteht". Skandinavier, Kelten und Osteuropäer jeder Herkunft beklagen, dass ihre Geschichte unsichtbar bleibt. Studierende hingegen behandeln Europa nicht als bloße Geografie, sondern sind gleichermaßen verteilt unter jenen, die es als Geburtsort der Demokratie, der Aufklärung und des Fortschritts sehen, und jenen, die es als Klub reicher weißer Länder sehen, die die Schuld an wirtschaftlicher und ökologischer Ausbeutung tragen; als Lösung der europäischen Uneinigkeit oder als Gefahr für souveräne Nationen. Die Wahrnehmung der europäischen Vergangenheit beinhaltet christliche Tradition, wenig kulturelle Diversität und permanenten Konflikt. Die Wahrnehmung der europäischen Gegenwart hingegen ist Frieden, Modernität, Staatsangehörigkeit und kulturelle Diversität.

Wie Europa kann auch das Konzept von Europäisierung als Triade angesehen werden, es ist jedoch weniger heilig als die Dreifaltigkeit. Es sieht eher aus wie der dreiköpfige Zerberus, der Hund, der die Tore zur Unterwelt bewacht, oder vielleicht die vielköpfige Hydra (jegliche Analogie ist unbeabsichtigt). Der erste, traditionelle, neutrale und unschuldigste Sinn war es, die Modernisierungsbestrebungen vom 18. bis zum 19. Jahrhundert zu beschreiben: die Reformen in Russland, die osmanische Tanzimat-Periode, die Meiji-Zeit in Japan. Im Osmanischen Reich nannte man die Reformen Avrupalilaşma beziehungsweise Europäisierung, ohne jegliche abschätzende Konnotation. Es bezog sich auf das Ausborgen von Institutionen wie von Werkzeugen aus einem Werkzeugkasten, hauptsächlich weil sie im Wettkampf der Großmächte geopolitisch notwendig waren.

Ein zentrales Konzept ist die Imitation von Institutionen, die als "organisch" für den Westen gelten und auf ihrem Weg in den Osten transformiert und deformiert wurden, um dort schließlich auf unfruchtbaren Boden zu stoßen. Was uns zur Frage der Authentizität führt. Prozesse wie Industrialisierung, Demokratisierung, Republikanismus et cetera vollzogen sich auch erst allmählich, bis sie im Westen fruchteten. Wir neigen dazu zu vergessen, dass es sich dabei um durchaus junge Prozesse handelt; stattdessen beschäftigen wir uns mit dem endgültigen Ergebnis, das wir als authentisch bezeichnen. Die Reformen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert waren keine Imitation.

Osteuropa. Ein Mutant

Ivan Krastev und Stephen Holmes erörtern in einem kürzlich erschienenen Aufsatz im "Journal of Democracy" das Dilemma Osteuropas als "illiberaler Mutant ..., der eine clevere Politik stückweiser Imitation einführt". 1989 hat laut ihnen die Politik der Imitation legitimiert als kürzesten Weg zu Freiheit und Wohlstand. Aber interessanterweise sind sie sich über die Mechanismen dieser Imitation unklar. Einerseits schreiben sie über freiwillig gewählte Imitation, andererseits bestehen sie auf einem auferlegten Imitationsimperativ, der sich "wie ein Verlust der Souveränität anfühlt".

Die Tatsache, dass eine Vision oder Strategie akzeptiert oder auferlegt wurde und warum, muss weiter analysiert werden. Wenn ich auferlegt sage, meine ich nicht nur von außen, als Bedingung für Beitritte, sondern auch von innen, von den neoliberalen Eliten, die an die Macht kamen. Es gab keine Referenden über den weiteren Weg in Osteuropa, die ersten freien Wahlen haben nur die alten Eliten gestürzt. Die Schocktherapie war das neue Heilmittel, erlebt von und getestet an Osteuropa, imitierten tatsächlich nicht irgendeine existierende westliche Praxis oder Institution. Somit muss jedenfalls das Konzept von "Imitation" als Weg der Europäisierung ernsthaft hinterfragt werden.

Die und die anderen

Es gab eine zusätzliche Dimension dieses Typs der Europäisierung, und die hatte etwas mit dem Schaffen einer stabilen Gesellschaft zu tun. Es wurde versucht, die Staatenbildung westlicher Gesellschaften nachzuahmen, die aufgrund ihrer ethnischen Homogenität und homogenisierenden Politik (vor allem in Frankreich) als stabil betrachtet wurden. Bismarck lehnte die großdeutsche Version seines Reiches wegen der exzessiven ethnischen Vielfalt der Habsburger-Monarchie ab. Ironischerweise war Osteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg relativ homogen, während Westeuropa durch die Konsequenzen der Dekolonialisierung beträchtlich an Farbe gewann. Die meisten Menschen muslimischen Glaubens in Europa (neben den hauptsächlich muslimischen Albanien und Bosnien) leben in Bulgarien, Montenegro und Zypern (zwischen zehn und 20 Prozent). Dennoch kommt die wirkliche antimuslimische Hysterie nicht von ihnen, sondern aus Frankreich, Deutschland, Österreich, den Niederlanden, Belgien und dem Vereinigten Königreich, wo es weniger als zehn Prozent gibt. Und es ist wahr, dass die fremdenfeindlichsten Länder jene sind, in denen weniger als ein Prozent leben (Tschechien, Ungarn, Polen, das Baltikum). Aber das ist ja nicht der Balkan, sondern zivilisierte Zentraleuropäerinnen und -europäer, die es verdient haben, zuerst nach Europa "zurückzukehren".

Nach dem Zweiten Weltkrieg und den folgenden Prozessen der Dekolonialisierung erlangte Europäisierung eine negative Konnotation. Das ging mit dem Versagen der Entwicklungspolitik und der Modernisierungstheorie der 1960er einher, als der richtige Begriff noch "Verwestlichung" war, angesichts der führenden Großmacht, der USA. Europa nachzuahmen wurde als ethnozentrisch angesehen, und so wird Eurozentrismus zum zweiten Kopf der Bestie. Ganz abgesehen von dem echten Vermächtnis Europas gibt es die schlechte Angewohnheit, eine universalistische Terminologie, die sich einzig auf Europa bezieht, auf die gesamte Welt anzuwenden.

Mythos Zentraleuropa

Hier sollten wir eine weitere Dimension der Subcharakteristika nennen: Europäisierung als Teil des europäischen Imperialismus und Kolonialismus. Es ist symptomatisch für den Balkan, die einzigen zwei kolonialen (oder quasikolonialen) Gebiete in Europa zu haben, zusammen mit Irland, wo sich die mission civilisatrice abspielte: Albanien als italienische Kolonie und Bosnien als österreichische. Es ist ironisch, dass Osteuropa (mit dem Balkan) die "Schuld des weißen Mannes", die Westeuropa gegenüber der Welt trägt, mitträgt. Selbst dann noch, wenn ihre westlichen Nachbarn sie als nicht authentisch ansehen. Man muss aber zugeben, dass sie nicht nur Opfer sind, sondern selbst erstaunlich voreingenommen gegenüber ihren dunkleren Mitmenschen. Kolonialismus und Postkolonialismus sind Kategorien, die man sich genauer anschauen sollte, da sie willkürlich auf Osteuropa und vor allem den Balkan angewendet werden.

Ich bin überzeugt, dass weder das Osmanische Reich, noch die Habsburger oder Romanows in Osteuropa als späte Kolonialmächte behandelt werden können (mit Ausnahme der letzten Jahrzehnte, aber andere Gebiete betreffend, wie Afrika und Zentralasien). Ich denke auch nicht, dass man die Beziehung der Sowjetunion zu Osteuropa als solche bezeichnen kann. Aber es ist modisch geworden, das "osmanische Joch" oder das "sowjetische Joch" mit osmanischen und sowjetischen Kolonialismus zu ersetzen und den Balkan als erstes globales Modell der Dekolonialisierung zu bezeichnen. Warum ausgerechnet "Dekolonialisierung" für so viele Analogien genutzt wird, hat damit zu tun, dass es eine metaphorische und emanzipatorische Kraft hat, die die Geister Mahatma Gandhis und Frantz Fanons wiederauferstehen lässt. Der emanzipatorische Mantel von "Dekolonialisierung" dient allzu oft als Tarnung des immerwährenden Selbstmitleids. Man hört ähnliche Untertöne im altmodischem Nationalismus wie im modischen Postkolonialismus, wenn der koloniale Status des Balkans unter den Osmanen oder Osteuropas unter den Sowjets beklagt wird. Ironischerweise haben sich die Habsburger als hilfreich herausgestellt, den Mythos Zentraleuropa zu bewerben.

Fernes Ziel

Europäisierung durch Rationalität und Aufklärung ist ein ehrenwertes Ideal, aber es wurde nicht einmal von den aufgeklärten Mittlern selbst erfüllt. Edi Rama, der Premierminister Albaniens, sagte kürzlich in einem Interview mit dem "Guardian": "Was in Großbritannien passiert, ist sehr balkantypisch. Deal oder keinen Deal. Offene Grenzen, geschlossene Grenzen, keine Übereinkünfte. Es ist der Balkan! Es ist wie im bosnischen Parlament! Während wir versuchen, uns zu europäisieren, sieht es so aus, als würden die sich balkanisieren!" Was uns zur letzten und vielleicht einzigen eindeutigen noblen und positiven Essenz von Europäisierung bringt: seiner Quintessenz als Ideal. Und das ist völlig in Ordnung. Nur, dass diese bestimmte Dimension der Europäisierung mit der gesamten Dimension Europas übereinstimmen sollte und möglicherweise ein fernes Ziel für den gesamten Kontinent wird, und nicht nur für das Südosteuropa-Eck. (Maria Todorova, 11.11.2019)