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Kurz nach der Bekanntgabe des Chemienobelpreises im Jahr 2017 wurde Joachim Frank in seiner Wohnung in New York fotografiert.

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Joachim Frank bei der Verleihung des Chemie-Nobelpreises im Dezember 2017 in Stockholm.

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Die Funktionsweise von Kryoelektronenmikroskopen lässt sich in sieben Stationen vereinfacht darstellen.

Grafik: DER STANDARD

Um zu verstehen, wie Moleküle im Körper agieren, muss man ihre dreidimensionale Struktur kennen. Die beste Technologie, um diese zu ermitteln, sind Kryoelektronenmikroskope. 2017 wurde Joachim Frank für seine Beiträge zu deren Entwicklung mit dem Chemienobelpreis ausgezeichnet.

STANDARD: Das letzte Mal haben wir im September 2017 miteinander gesprochen, kurz bevor Ihnen der Nobelpreis zuerkannt wurde. Was hat sich seither verändert?

Frank: Der Nobelpreis hat mir die Möglichkeit gegeben, viele interessante Leute kennenzulernen, zu denen ich zuvor stets aufgeblickt hatte. Der jetzige Status erlaubt es mir, abenteuerlustiger zu sein. Es ist aber nicht so, dass man durch den Nobelpreis automatisch mehr Forschungsgelder bekommt. Es gibt sicher mehr Möglichkeiten durch private Fördergeber. Aber staatliche Mittel gehen immer durch einen Peer-Review-Prozess, und der ist sehr streng – auch für Nobelpreisträger.

STANDARD: In Ihrem Blog haben Sie einige Tage nach der Bekanntgabe des Nobelpreises geschrieben: "Ich bin jetzt eine andere Person." Teilen Sie diese Selbsteinschätzung zwei Jahre später immer noch?

Frank: Ja, man hat durch diese Auszeichnung eine andere Wahrnehmung von sich selbst. Man ist selbstsicherer in dem, was man sagt und denkt. Man wird zudem nach seiner Meinung gefragt – teils in Gebieten, die gar nicht das Spezialgebiet sind. Das kann auch unangenehm sein.

Nobelpreisrede von Joachim Frank im Dezember 2017. Video: Nobel.Prize.org
Nobel Prize

STANDARD: Sie machten ein wenig den Eindruck, als ob Sie der Nobelpreis überrascht hätte – warum?

Frank: Mir war klar, dass es irgendwann passieren könnte. Wenn es einen Preis für Kryo-EM gegeben hätte, wäre ich sehr enttäuscht gewesen, wenn ich nicht ausgezeichnet worden wäre. Aber die Tatsache, dass der Preis in diesem Jahr für Kryoelektronenmikroskopie vergeben worden ist, hat mich deswegen überrascht, weil CRISPR für mich der offensichtliche Kandidat war.

STANDARD: Es ist üblich, dass US-Nobelpreisträger ins Weiße Haus eingeladen werden. Sie sind einer Einladung von Donald Trump zuvorgekommen und sagten, Sie würden das Weiße Haus nicht betreten, solange er und sein Team dort das Sagen haben. Einige Leute meinten, Ihre Äußerung sei ein heroischer Akt gewesen – warum hat Sie diese Reaktion irritiert?

Frank: Es ist traurig, ein Held genannt zu werden, wenn man das Offensichtliche ausspricht. Ich verstehe, wenn Forscher großzügig von der Regierung unterstützt worden sind, wollen sie nicht die Zukunft ihrer Förderungen gefährden. Aber wir befinden uns nun in einer Situation, in der man seine Meinung kundtun muss. Wenn man von opportunistischen Überlegungen angetrieben wird, endet das im Hitler-Regime.

STANDARD: Sie äußern sich immer wieder kritisch über die gegenwärtige US-Regierung. Wie hat sich die Atmosphäre in der Gesellschaft und der Wissenschaft in den USA durch Donald Trump verändert?

Frank: Trump hat offensichtlich keine Ahnung von Wissenschaft. Man könnte ihn als Antiwissenschafter bezeichnen. In keiner seiner Tätigkeiten wird er von Fakten geleitet. Ich habe so jemanden noch nie getroffen, schon gar nicht in einer Führungsposition. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass jemand mit solch einer Dummheit in so ein Amt kommen kann. Meiner Meinung nach sollte das Impeachment-Verfahren vorangetrieben werden. Das ist eine verfassungsmäßige Verpflichtung. Dieser Mann ist eine Gefahr für die Welt und für alles, was wir schätzen.

STANDARD: Der US-Präsident ist nicht der Einzige, der eine Skepsis gegenüber Wissenschaft hegt. Wie kommt es, dass offenbar für viele Fakten nicht schwerer wiegen als Verschwörungstheorien?

Frank: Das ist eine Sache der Erziehung. Die wissenschaftliche Bildung müsste meiner Meinung nach früher beginnen. Die Wissenschaftsskepsis hat aber auch damit zu tun, wie sich Informationen heute verbreiten. Soziale Netzwerke haben nicht dabei geholfen, dass sich Menschen vorwiegend an Fakten orientieren. Als ich jung war, hätte ich es für unmöglich gehalten, dass einmal jeder mit jedem kommunizieren kann. Ich hätte mir auch gedacht, wenn das tatsächlich einmal der Fall ist, würde es die Welt zum Besseren verändern. Heute zeigt sich: Das Gegenteil der Fall. Gerüchte und Unwahrheiten verbreiten sich schneller denn je. Wenn die Leute nicht in der Lage sind, diese von Wahrheit zu unterscheiden, hat jeder Fetzen an Information dasselbe Gewicht.

STANDARD: Neben der Wissenschaft ist Ihnen auch das literarische Schreiben sehr wichtig. Wie hat sich Ihr Schreiben durch den Nobelpreis verändert?

Frank: Die Auszeichnung hat mir mehr Sicherheit gegeben: Wenn ich nun Zeit für das Schreiben reserviere, kann ich eher davon ausgehen, dass ich etwas produziere, was publiziert wird. Gleich von Beginn an, als der Nobelpreis bekannt wurde, haben sich Journalisten für meine literarischen Aktivitäten interessiert. Dabei ging es auch um die Anfänge meines Schreibens, und dabei spielte William Kennedy (US-Schriftsteller, Anm.) eine wichtige Rolle. Er hat mich sehr in meiner literarischen Arbeit ermutigt. Nach diesen Presseberichten bin ich vom Writers Institute, das Kennedy ins Leben gerufen hat, eingeladen worden, meine Arbeit zu präsentieren. Das war eine große Ehre für mich. Ich habe nun auch Angebote von Verlagen, die ich prüfen muss. Weiters hat mich der Dichter Michael Heller gefragt, ob ich einige seiner Gedichte ins Deutsche übersetzten würde. Ich habe widerwillig zugesagt. Widerwillig, weil ich dachte, mein deutscher Wortschatz sei zu stark geschrumpft. Es hat mir aber eine große Freude gemacht, und die Gedichte sind in der Literaturzeitschrift Signaturen erschienen, sowie einige meiner Kurzgeschichten.

STANDARD: Und woran arbeiten Sie aktuell?

Frank: Es gibt ein Wissenschaftsbuch, an dem ich schon sehr lange arbeite – über das Ribosom (Komplexe in Zellen, in denen Proteine hergestellt werden, Anm.). Ich habe seit 15 Jahren einen Vertrag dafür, aber das Buch hat sich nie weiterbewegt. Was es genau werden soll, war lange nicht klar. Der Nobelpreis macht es nun einfacher, die Darstellung des Ribosoms mit einigen Anekdoten aus meinem Leben zu verflechten – daran arbeite ich jetzt. (Tanja Traxler, 11.11.2019)