"Nibelungentreue zu den Parteien gibt's net mehr": Leobens roter Bürgermeister Kurt Wallner hofft dennoch auf ein gutes Ergebnis.

Foto: Alexander Danner

SPÖ-Chef Michael Schickhofer verzichtet auf die Präsenz der Bundesparteivorsitzenden.

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Was vor Jahren im Grunde undenkbar, aus parteihistorischer Perspektive direkt unlogisch erschien, offenbarte sich im Abstimmungsergebnis der Nationalratswahl Ende September: Im erzroten steirischen Kerngebiet brach die ÖVP in die alten SPÖ-Bastionen ein. Rote wählten schwarz oder, korrekter, die türkis umgefärbte Volkspartei. Den Klassenfeind zu wählen: jahrzehntelang ein absolutes No-Go für Rote. Da ist einiges in Bewegung geraten, und die SPÖ kann nicht damit rechnen, dass der Umfärbeprozess bei den Landtagswahlen am 24. November gestoppt wird.

Wie dramatisch die Situation für die steirischen Roten tatsächlich ist, illustrieren Detailergebnisse in den ehemaligen Hochburgen. In der roten Hochburg Trofaiach etwa legte die ÖVP 10,6 Prozentpunkte auf 33 Prozent zu und überholte dort erstmals die SPÖ, die nur noch auf knapp 29 Prozent kamen. Oder Köflach im weststeirischen ehemaligen Kohlerevier: Die Türkisen verzeichneten ein Plus von 11,9 Prozentpunkten auf 31,4 Prozent und überholten die SPÖ, die fast fünf Prozentpunkte verlor und auf 27,4 Prozent absank. Detto Voitsberg im weststeirischen Industriegürtel.

Ins Mark getroffen

Ins Mark getroffen hat die SPÖ natürlich die flächendeckende Niederlage im obersteirischen Kerngebiet der ehemals verstaatlichten Stahlindustrie, Leoben. In Summe lagen die Türkisen im Bezirk nach der Auszählung der Stimmen nach einem Plus von 9,5 mit 33 Prozent deutlich vor der SPÖ mit 29,2 Prozent. Sogar im Zentrum, der roten "Festung", der Montanstadt Leoben verloren die Sozialdemokraten erstmals die Mehrheit an die ÖVP, die hier knapp zehn Prozentpunkte zulegte und 29,4 Prozent erreichte.

Leobens Bürgermeister Kurt Wallner (SPÖ) kommt bei der Frage nach den Ursachen ins Grübeln und sucht nach Erklärungen: "Na ja, die Roten sind halt nicht mehr so rot und die Schwarzen nicht mehr so schwarz. Nibelungentreue zu den Parteien gibt's net mehr. Und bei der SPÖ hat jetzt noch mitgespielt: Die soziale Karte sticht nicht mehr." Natürlich habe der werbetechnisch bestens aufgestellte Sebastian Kurz über die Parteigrenzen hinweg gewirkt.

Was ihm für die Landtagswahlen im November Hoffnung mache, seien die nach wie vor starken SPÖ-Bürgermeister. Hier sei die eigentliche Macht der Partei zu Hause. "Daher wird sich das Nationalratswahlergebnis auch nicht auf die Landeswahl umlegen lassen", sagt Wallner und fügt noch ein leises "Hoffentlich" an.

Auf der Straße in der Leobner Innenstadt wollen hier Ansässige eher nicht darüber reden, warum so viele Rote plötzlich schwarz gewählt haben. Ein älteres Ehepaar bleibt stehen, der Mann flieht aber vor einer Antwort, er muss plötzlich auf die Post, seine Frau flüstert, dass es an den Personen an der Spitze, auch an jener des SPÖ-Bürgermeisters liege. "Aber ich hab nix gesagt", lacht sie und eilt ihrem Mann nach.

Unzufriedene Rote

Eine Frau mit Rucksack meint nur kurz, die SPÖ habe schon längst den Draht zur Basis verloren, eine Jüngere mit schulterlangem Haar sagt nur kurz: "Ich sag nix dazu." Hermine Forsthuber, eine pensionierte Näherin und Kellnerin ist da gesprächiger: "Ich war immer eine Rote und werd immer rot wählen. Aber ich bin schon lange net mehr zufrieden."

Die "Leut" an der Spitze draußen in Wien seien unnahbar, "oberflächlich", mit Parteichefin Pamela Rendi-Wagner könne sie überhaupt nicht warmwerden. "Die strahlt keine Ruhe aus. Ich werd ganz nervös, wenn ich sie seh, wie sie so fuchtelt. Sagt ihr das keiner? Sie mag ja ganz sympathisch sein, aber das wird nix."

Dass Rote jedoch Sebastian Kurz gewählt haben, "versteh ich überhaupt net. Der käme nie infrage. Als Mann." Warum er gewählt wurde, dafür hat Hermine Forsthuber eine klare Erklärung: "Den Leitn geht's afoch zu guat. Die denken sich: Probieren wir halt den amol aus."

Der Politikwissenschafter und Parteienexperte Matthias Kaltenegger vom Institut für Staatswissenschaft an der Uni Wien erinnert daran, dass sich seit den 2000er-Jahren hier immer mehr SPÖ-Wähler von ihrer alten Partei verabschiedet haben. "50 Prozent waren in dieser Region für die SPÖ früher die Regel", sagt Kaltenegger. Der Sprung von der Nationalratswahl 2017 auf 2019 war dann gar nicht mehr so groß. "Frappant ist natürlich, dass die ÖVP die SPÖ überholt hat." Dies sei allerdings auch den ganz speziellen Umständen des Wahlkampfes mitgeschuldet, sagt Kaltenegger. Die ÖVP habe natürlich wesentlich vom Spesenskandal der FPÖ profitiert. Ansonsten wären wohl viele bei den Freiheitlichen geblieben. Das Ergebnis hätte anders ausgesehen. Und natürlich hätten das türkise Marketing und die Person Kurz auch tief ins SPÖ-Lager hineingewirkt. Hält dieser Trend einigermaßen stabil an, könnte die SPÖ auch bei den Landtagswahlen in ihren "Heimatregionen" einbrechen, sagt Kaltenegger.

"Es wäre natürlich schön, wenn die Nationalratswahlergebnisse so einfach auf die Landtagswahlen übertragbar wären", sagt ein entspannter ÖVP-Landesparteigeschäftsführer Detlev Eisel-Eiselsberg. Aber so einfach spiele die Welt halt nicht. Die letzten Wahlgänge hätten eindeutig gezeigt, dass Wähler sehr genau zwischen Landtagswahlen und Bundeswahlen unterscheiden. Wiewohl, das müsse er zugestehen: "Eine gewisse Grundstimmung für die ÖVP, aber auch die Grünen ist natürlich schon da."

Genug vom Streit

Eisel-Eiselsberg glaubt, die Motive für den Schwenk der Roten zu Türkis zu kennen: "Die Leute hatten, glaube ich, wirklich genug vom politischen Streit. Alle haben auf Kurz eingedroschen, und er hat nicht zurückgeschlagen, das wurde sicher goutiert. Die FPÖ war auch keine Alternative, weil viele von den Blauen wegen der Spesengeschichte schwer enttäuscht waren. Und schließlich denke ich, dass das Thema der sozialen Gerechtigkeit neu geschrieben werden muss, das hat die SPÖ verabsäumt. Es ist die Leistungsgerechtigkeit, die verlangt wird, der Vollkasko-Staat ist out, die Menschen wollen für ihre Leistung gerecht honoriert werden, und sie wollen nicht mehr, dass der Staat alles verteilt." Das Hauptargument: "Natürlich hat Sebastian Kurz wie ein Superstar über die Parteigrenzen hinweg gestrahlt." Das will die steirische ÖVP natürlich weiter nutzen und Kurz als punktebringendes Zugpferd im Wahlkampf einspannen.

Während SPÖ-Chef Michael Schickhofer tapfer sein Soloprogramm abspult und auf die Präsenz von Parteichefin Pamela Rendi-Wagner im Wahlkampf demonstrativ verzichtet. (Walter Müller, 6.11.2019)