Die neue Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, kann ein wichtiges programmatisches Versprechen nicht einhalten: Ausgewogenheit zwischen weiblichen und männlichen Kommissaren.

Gleichberechtigung müsse an der Spitze gelebt werden, hatte sie dem Plenum in ihrer Bewerbungsrede versprochen – und dies dann bei ihrem Vorschlag der 26 Kandidaten berücksichtigt: Zwölf weibliche und vierzehn männliche Kandidaten traten bei Anhörungen vor den Parlamentsausschüssen an. Da Großbritannien (mit der Aussicht auf baldigen EU-Austritt) keinen Kommissarskandidaten aufstellte, konnte sie auf ein nahezu ausgeglichenes Geschlechterverhältnis von 14:13 hoffen.

Das Team von Jean-Claude Juncker sollte am 1. November übergeben. Inzwischen sieht die Lage anders aus. Zwei Kandidatinnen, die Französin Sylvie Goulard und die Rumänin Rovana Plumb, fielen bei den Anhörungen (neben László Trócsányi, Ungarn) durch.

Der Brexit wurde wegen Neuwahlen auf 2020 verschoben, was bedeutet, dass Großbritannien als EU-Mitglied gemäß EU-Vertrag einen Kommissar stellen muss. Folge für von der Leyen: Die betroffenen Länder bzw. Regierungen nominier(t)en nur männliche Kandidaten nach – Ungarn den Botschafter Olivér Várhelyi, Frankreich den Ex-Finanzminister Thierry Breton. Am Dienstag brachte die erst tags zuvor gewählte rumänische Regierung den EU-Abgeordneten Siegfried Muresan ins Spiel, einen Christdemokraten (EVP). London will den bisherigen Kommissar Julian King behalten.

Doppeltes Problem

Das alles wird für von der Leyen zum doppelten Problem: Kämen alle vier bei den EP-Anhörungen durch, stünde es bei den EU-Kommissaren 17:11 zugunsten der Männer – nicht viel besser als im Juncker-Team, das 2014 mit neun Frauen begonnen hatte. Zudem wird wahrscheinlicher, dass der Amtsantritt sich neuerlich verschiebt: auf 1. Jänner 2020, weil die EU-Abgeordneten dieses Team nicht husch, pfusch durchwinken. Auch wegen Muresan: Der war einst Sprecher der EVP und ersetzte eine Kandidatin der Sozialdemokraten, auf deren Stimmen von der S&D-Fraktion von der Leyen bei der Endabstimmung über die gesamte Kommission abhängig ist. (Thomas Mayer aus Brüssel, 6.11.2019)