Im Vordergrund ist eine Raubmilbe (orange) zu sehen, darunter befindet sich eine Spinnmilbe (milchig-weiß mit zwei schwarzen Pigmentflecken).

Foto: Andreas Walzer

Hitzewellen, die im Zuge der Erderwärmung immer häufiger auftreten, bedrohen nicht nur einzelne Arten. Sie können auch eingespielte Nahrungsbeziehungen beeinträchtigen. Forscher der Universität für Bodenkultur (Boku) in Wien untersuchen derzeit eine wirtschaftlich wichtige Räuber-Beute-Beziehung auf ihre Temperatur-Festigkeit.

Fressen und Gefressenwerden spielt sich nicht nur zwischen Löwen und Gnus oder Füchsen und Hasen ab, sondern in allen Größenordnungen: In der biologischen Schädlingsbekämpfung jagen meist winzig kleine Prädatoren noch kleinere Beutetiere und halten sie im Zaum. Eine dieser Arten ist die Gemeine Spinnmilbe (Tetranychus urticae).

Sie ist nur rund einen halben Millimeter groß, aber ein gefürchteter Schädling: Weltweit befällt sie mehr als 200 Kulturpflanzen, darunter so bedeutende wie Soja oder Baumwolle. Allein in Mitteleuropa saugt sie an rund 90 Pflanzenarten, wie zahlreichen Obst- und Gemüselieferanten, Sonnenblumen und Wein.

Hitzwellen

Die Schädigung der Pflanzen entsteht, indem die Spinnmilben die Blattunterseiten anstechen und den zuckerhaltigen Saft aus deren Zellen saugen. In der Folge treten erst helle Flecken auf, dann können die Blätter grau oder braun werden und schließlich abfallen.

Ihren Namen hat die Art von den feinen Gespinsten, die sie an den Blattunterseiten bildet. Erfolgreich bekämpft wird sie unter anderem durch biologische Gegenspieler. Einer der wichtigsten davon ist die aus Chile stammende Raubmilbenart Phytoseiulus persimilis.

Die Raubmilbe, die 1968 nach Europa gelangte, ernährt sich ausschließlich von Spinnmilben der Gattung Tetranychus und wird schon seit langem sehr erfolgreich gegen sie eingesetzt. Bei moderat warmen Temperaturen zwischen 25 und 30 Grad legen die Raubmilben nicht nur mehr Eier als ihre Beute, sie entwickeln sich auch rascher, wodurch sie bald in der Überzahl sind und in der Folge exponentiell mehr werden.

Wie sieht es aber aus, wenn im Zuge einer Hitzewelle tagelang lebensbedrohende 35 Grad und mehr herrschen? Theoretisch haben Organismen zwei Möglichkeiten, sich an Umweltstress bis zu einem gewissen Grad anzupassen: zum einen genetisch, also durch Änderungen im Erbgut, zum anderen durch sogenannte plastische Modifikationen.

So kann zum Beispiel eine Pflanze je nach Umweltbedingungen unterschiedliche Wuchsformen entwickeln, ohne dass es dabei zu einer Änderung des Erbgutes kommt.

Genetische Anpassung

Um wirksame genetische Anpassungen zu entwickeln, dauern Hitzewellen zu kurz. Plastische Modifikationen hingegen können kurzfristig sehr wohl zu vorteilhaften Anpassungen führen. Dabei können diese sowohl innerhalb einer Generation wirksam sein als auch auf die nächste Generation übertragen werden. Was passiert aber, wenn ein Räuber und seine Beute, die gewöhnlich in einer fein abgestimmten Beziehung zueinander stehen, unterschiedliche plastische Anpassungspotenziale haben?

Andreas Walzer vom Institut für Pflanzenschutz der Boku in Wien und seine Mitarbeiter beschäftigen sich derzeit mit finanzieller Förderung des Wissenschaftsfonds FWF mit diesen Fragen, die für Räuber-Beute-Beziehungen weitestgehend ungeklärt sind.

Um etwaige Anpassungen bei der juvenilen Entwicklung und der Fortpflanzung zu untersuchen, halten die Boku-Forscher die Raub- und die Spinnmilben in mehreren Gruppen jeweils bei normalen Sommertemperaturen von maximal 30 Grad und bei Hitzewelle-Bedingungen mit maximal 35 Grad. Die Entwicklung der Elterngeneration vom Ei bis zum adulten Individuum läuft entweder bei gemäßigten oder bei Hitzewelle-Temperaturen ab. Ihre Eier werden in der Folge wieder aufgeteilt und entwickeln sich ihrerseits bei Maximaltemperaturen von 30 bzw. 35 Grad.

Gleiche Umweltbedingungen

Auf diese Weise wächst eine Hälfte der Filialgeneration unter denselben Umweltbedingungen auf wie die Eltern, die andere nicht. Zu erwarten ist, dass sich die Milben der Elterngeneration bei höheren Temperaturen schneller entwickeln, aber eine geringere Körpergröße erreichen.

Dieser Nachteil könnte durch generationenübergreifende plastische Effekte kompensiert werden, wenn beide Arten bei großer Hitze weniger, dafür aber größere Eier produzieren, aus denen größere Erwachsene hervorgehen, die nicht so hitzeempfindlich sind.

Um weiters zu sehen, ob die Spinnmilben ihr Verhalten an die Anwesenheit der Raubmilben anpassen, lässt Walzer einen Teil der Weibchen mit Hinweisen auf die Räuber aufwachsen, wie etwa deren Eier oder Duftspuren, während andere diesbezüglich ahnungslos bleiben. Auch hier macht in der Folge die eine Hälfte der beiden Filialgenerationen Erfahrungen mit Raubmilben, die andere nicht.

In der Folge soll es zu Begegnungen zwischen den unterschiedlich aufgewachsenen Spinnmilben und den Raubmilben kommen, wobei das Verhalten der Räuber gegenüber ihrer Beute auf Video aufgenommen wird.

Sensible Räuber

Dabei soll sich zeigen, ob die unterschiedlich aufgewachsenen Individuen Unterschiede im Verhalten aufweisen. "Wir wollen zuerst einmal sehen, ob die Milben überhaupt imstande sind, plastisch auf unterschiedliche Umweltbedingungen zu reagieren – in diesem Fall auf Hitze und Raubdruck", erklärt Walzer. So ist denkbar, dass die Raubmilben ihre Beute bei sehr hohen Temperaturen aggressiver verfolgen oder dass Spinnmilben mit Räuber-Erfahrung Blätter mit deren Spuren meiden.

Bei bisherigen Untersuchungen an verschiedenen Räuber-Beute-Systemen wirbelloser Tiere haben sich die Räuber zumeist sensibler gegenüber hohen Temperaturen gezeigt als ihre Beute.

Eine Erklärung dafür könnte laut Walzer sein, dass sie ihrer Nahrung aktiv nachstellen müssen, was mehr Energie braucht und sie daher eher ans Limit bringt als ihre pflanzenfressende, eher sesshafte Beute.

Sind die Spinnmilben jedoch in der Lage, Hitzewellen besser "wegzustecken" als ihre Jäger, könnte das die biologische Schädlingsbekämpfung massiv beeinträchtigen. "Die Raubmilben könnten aber auch ihr Verhalten ändern", gibt Walzer zu bedenken, "zum Beispiel, indem sie nachts jagen, wenn es nicht so heiß ist." Ob sie dazu imstande sind, wird sich zeigen. (Susanne Strnadl, 12.11.2019)