"Wien hat die besten Voraussetzungen, die Probleme rund um nachhaltige Verkehrspolitik in den Griff zu kriegen", sagt Rammler.

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Im Gespräch mit dem STANDARD möchte der Mobilitäts- und Zukunftsforscher Stephan Rammler etwas Wichtiges vorausschicken: Wie eine Prognose ausfällt, hänge immer davon ab, welche Annahmen über die Zukunft getroffen werden und was schon heute politisch möglich ist – oder eben nicht. Er sei keiner jener Forscher, die sagen, "so wird es kommen", sondern betone immer, "unter diesen Bedingungen kommt es so", sagt Rammler. Das gilt insbesondere für nachhaltige Verkehrslösungen. Hier sieht der Mobilitätsexperte staatliche Regulierung als notwendig an und nennt die Autofrage den "Kulturkampf der Zukunft".

STANDARD: Die Wurzeln dessen, was wir in der Zukunft vermuten, liegen in der Gegenwart. Das gilt auch für die Gestaltung der Verkehrspolitik. Wie sieht der Verkehr in einer Großstadt wie Wien aus der heutigen Perspektive in der Zukunft aus?

Rammler: Wien muss mit nachholender Urbanisierung und wachsender Bevölkerung umgehen. Wir wissen aus der Forschung, dass dicht bebaute Städte kaum mehr den wachsenden Autoverkehr ertragen können. Die Zukunft der urbanen Mobilität kann also nicht ohne Ausbau des öffentlichen Verkehrs nachhaltig werden. Da ist die Straßenbahn in Wien ein hohes Gut, denn das Netz ist gut in den restlichen öffentlichen Verkehr integriert. Das 365-Euro-Ticket ist richtungsweisend, da schauen Verkehrspolitiker aus der ganzen Welt drauf. Wien hat die besten Voraussetzungen, die Probleme rund um nachhaltige Verkehrspolitik in den Griff zu kriegen.

STANDARD: Was bedeutet Nachhaltigkeit im öffentlichen Verkehr?

Rammler: Darunter fallen Verbraucherschutz, Gesundheitsschutz, Klimaschutz, aber auch die gerechte Raumbelegung durch Fahrzeuge im öffentlichen Raum. Warum hat ein Fahrradfahrer weniger Raum als ein Autofahrer, warum müssen sich Straßenbahnen an den Autoverkehr anpassen und nicht andersrum?

STANDARD: Wo sehen Sie das Auto im Szenario einer nachhaltigen urbanen Mobilität?

Rammler: Das Auto wird, zumindest als Fahrzeug mit einem Verbrennungsmotor, keine Zukunft haben. Sein Verbrauch an fossiler Energie und die CO2-Emissionen sind mit unseren CO2-Zielen nicht kompatibel. Dicht bebaute Städte wie Wien müssen das Netz des öffentlichen Verkehrs und das Radnetz im Sinn der Klimagerechtigkeit stärken. Wenn man allen Bewohnern hohe Luftqualität und eine gute Lebensqualität garantieren will, muss man den Autoverkehr so weit reduzieren, dass er nicht so hohe Schadeffekte wie bisher hat.

STANDARD: Bedeutet das, dass Autos irgendwann gar keinen Platz mehr haben?

Rammler: Das bedeutet nicht, dass Autos vollkommen aus der Stadt verschwinden. Meine Vision einer Automobilkultur der Zukunft ist – in einem ersten Schritt – eine Umstellung von Verbrennungsmotor auf den elektrischen Antrieb. Für eine Stadt wie Wien wird sich die batterieelektrische Variante anbieten. Es gibt natürlich auch andere Antriebe, etwa den hybriden oder den mit der Brennstoffzelle. Wir wissen nicht, welche Technologie sich durchsetzen wird. Wir wissen nur, dass in den Städten ab 2025 oder noch früherer emissionsfrei gefahren werden sollte.

STANDARD: Das heißt aber nicht, dass jetzt einfach jeder ein Elektroauto kaufen soll, oder?

Rammler: Nein, diese Autos sollten am besten im Modus der Sharing Economy genutzt werden. Momentan gibt es in Städten immer mehr hochmobile, gut gebildete Eliten, die meistens gar kein Auto haben. Diese Menschen nutzen die Mobilitätsangebote als Serviceangebote, sie nutzen den öffentlichen Verkehr und das Fahrrad, aber das Auto nutzen sie im Ridesharing oder als Carsharing. Das Auto brauchen sie nur für die sogenannte erste oder letzte Meile als Ergänzung zum öffentlichen Verkehr oder für besondere Transporte. Dieses Verhalten ist zukunftsweisend.

"Die Autofrage ist politisch noch immer wirksam – das wird der Kulturkampf der nächsten Jahre."

STANDARD: Was heißt das aber fürs Auto als Statussymbol? Und was passiert mit den jungen Landbewohnern, für die das Autofahren zum Erwachsenwerden gehört und eine praktische Notwendigkeit ist?

Rammler: Die zukünftige Verkehrspolitik am Land wird sich auch von der in der Stadt unterscheiden müssen. Am Land brauchen wir mehr Behutsamkeit und soziale Gerechtigkeit, hier muss es andere Konzepte geben, aber Sharing Economy kann auch hier funktionieren. Ein Beispiel: In der Gegend in Südostniedersachen, aus der ich komme, sind die Arbeiter aus dem Dorf in den frühen 1980er-Jahren in Fahrgemeinschaften ins VW-Werk gefahren, einfach weil es ökonomischer war. Wieso sollte das heute nicht funktionieren?

STANDARD: Wird man das Auto vollkommen aus dem Verkehr der Zukunft verdrängen können?

Rammler: Die Frage "Welches Auto fahre ich, was zeige ich damit?", der sogenannte symbolische Konsum, ist in Deutschland und Österreich noch immer wichtig, löst sich aber gerade auf. Das Smartphone hat das Auto als Statussymbol abgelöst, aber die Autofrage ist politisch noch immer wirksam – das wird der Kulturkampf der nächsten Jahre. In Zeiten der Klimagerechtigkeit ist der Bereich Mobilität wohl am schwierigsten zu gestalten, weil Mobilität so stark mit unserem Selbstbild verbunden ist. Das ist ein Bereich, mit dem die Politik sehr behutsam umgehen muss.

STANDARD: Die Verbreitung des Autos wurde in den letzten Jahrzehnten durch die Politik sehr unterstützt. Was muss politisch jetzt geschehen, damit wir eine nachhaltige Verkehrswende schaffen?

Rammler: In Österreich ist es noch selbstverständlicher als in Deutschland, dass es ohne ein Primat der Politik nicht funktionieren wird. Die Transformation wird nicht ohne starke politische Intervention möglich sein. Politik hat die Aufgabe, eine Gesellschaft zu regulieren und Rahmenbedingungen und Ziel zu setzen, die für eine Gesellschaft insgesamt wichtig sind. Politik darf und soll Bereiche wie den Verkehr oder Energie regulieren, das ist nicht das Ende der Demokratie. Es wird oft so getan, als wäre es das Ende des Abendlandes, wenn Politik ihre Aufgabe wahrnimmt, Probleme zu lösen.

STANDARD: Es ist nicht das Ende der Demokratie, aber einige sehen den Angriff auf die Marktwirtschaft.

Rammler: Da wird sehr viel Blödsinn seitens der Autoindustrielobby, aber auch seitens der Rechtsparteien wie der AfD oder der Freiheitlichen in Österreich verbreitet. Das ist sehr leicht zu entzaubern, denn da wird Machtpolitik und Missbrauch gewisser Bevölkerungsgruppen mit sachpolitischen Themen betrieben.

STANDARD: Also, die Politik soll und muss eingreifen – aber was ist wahrscheinlich und in Zukunft überhaupt konkret möglich?

Rammler: In Deutschland brauchen wir eine Verkehrswende von unten, denn von oben ist wenig zu erwarten. In Deutschland war die Offenheit gegenüber der Industrielobby und den Gewerkschaften riesig in den letzten Jahrzehnten, und sie ist es heute noch. Auf nationaler Ebene ist von der Politik nicht viel zu erwarten, aber die kommunale Ebene kann regulieren, investieren und Rahmen setzen. Die Kommunalpolitik kennt die spezifischen Probleme jeder Gemeinde genau und kann maßgeschneiderte Konzepte und Verkehrslösungen entwickeln. Sie kann zum Bespiel den öffentlichen Verkehr und den Radwegeausbau fördern und über das Parkraummanagement den Autoverkehr regulieren.

Mobilitäts- und Zukunftsforscher Stephan Rammler: "Die Transformation braucht starke politische Intervention."
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STANDARD: Ist auf nationaler Ebene eine Klimasteuer denkbar, die jetzt allerorts diskutiert wird?

Rammler: Ich gehe nicht davon aus, dass wir bald eine wirksame Klimasteuer bekommen, die diesen Namen auch verdient. Citymaut oder ähnliche Mautsysteme sind der Goldstandard zur Regulierung der Mobilität, damit kann man fossilen Autoverkehr aus der Stadt verbannen. Damit hat die Stadt auch Einnahmen, um den öffentlichen Verkehr zu fördern, die Digitalisierung voranzubringen oder auch, um die Vernetzung der verschieden Verkehrsträger zu verbessern. Damit wäre auch der Autoverkehr durch die Einpendler eingebremst. Und dann gilt es natürlich, die Bahn zu ertüchtigen, damit sie in Konkurrenz mit den Kurzstreckenflügen treten kann. (Olivera Stajić, 6.11.2019)