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Wer Cannabisspuren im Blut hat, muss nicht fahruntauglich sein. Experten plädieren daher für Grenzwerte.

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161 Führerscheine waren Mitte Oktober rund um die Hanfmesse Cultiva in Wien entzogen worden. Die Messebetreiber sprachen von einer "Jagd auf die Besucher" durch die Polizei.

Nun fordern Experten eine Änderung der Straßenverkehrsordnung (StVO) und des Führerscheingesetzes. Für Suchtmittel abseits von Alkohol, speziell für Cannabis, sollten konkrete Grenzwerte festgelegt werden, ab denen ein Autofahrer nicht mehr verkehrstauglich ist, fordern sie. Seitens der Politik will man darüber diskutieren, zumindest bei ÖVP, FPÖ und Neos.

Derzeit regelt das Gesetz, dass man kein Auto lenken darf, wenn man sich in einem durch "Suchtgift beeinträchtigten Zustand" befindet. Weil aber nicht jeder, der Spuren von Drogen im Blut hat, auch akut high, also fahruntauglich ist, trifft die aktuelle Regelung auch Menschen, die schon vor Tagen Cannabis geraucht haben – sowie jene, die medizinisches Cannabis oder CBD konsumiert haben. Mögliche Folgen: Führerscheinentzug und ein Strafverfahren wegen Fahrens unter Drogeneinfluss.

Trotzdem verkehrstauglich

"Die Gefahr ist groß, dass Leute als nicht verkehrstauglich eingestuft werden, die es eigentlich sind", sagt Ewald Lochner; er wurde 2018 vom damaligen Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) zum Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen bestellt. "Bei Alkohol weiß man: Wenn ich am Vortag getrunken habe, ist es wahrscheinlich, dass ich am nächsten Tag nicht ganz nüchtern bin." Aber deshalb gelte man im Verkehr nicht automatisch als beeinträchtigt.

Alkoholgrenzwerte wie die derzeit geltenden, nach denen man erst ab 0,8 Promille den Führerschein verliert, hätten sich bewährt – und würden auch bei Drogen Sinn ergeben. "Derzeit wird über die Straßenverkehrsordnung Drogenpolitik gemacht", sagt Lochner. Rainer Schmid, wissenschaftlicher Leiter der Drogenberatungsstelle Check it!, sagt dazu: "Grenzwerte sind die einzig vernünftige Lösung." Denn Spuren von Suchtgift seien im Blut auch noch Tage nach dem letzten Konsum zu finden. "Wer regelmäßig Cannabis raucht, baut im Fettgewebe Depots auf." Bei einem Wert von fünf Nanogramm THC pro Milliliter Blut sei, so Schmid, die Beeinträchtigung mit jener bei 0,5 bis 0,8 Promille Alkohol vergleichbar. In Deutschland gilt nach einem Gerichtsurteil ein Nanogramm THC im Blut als Grenze für Verkehrstüchtigkeit.

Umstrittene Novelle neu betrachten

In Österreich wurden 2018 laut Innenministerium 16.277 Führerscheine vorläufig abgenommen – warum, geht aus den Daten nicht hervor. Im selben Jahr wurde gegen 3.011 Lenker Anzeige wegen des Verdachts des Lenkens von Fahrzeugen in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand an die Behörden erstattet. Und Hochrechnungen des Kuratoriums für Verkehrssicherheit zeigen: In zwölf Untersuchungsmonaten dürften 177.000 Drogenlenker auf Österreichs Straßen unterwegs gewesen sein, ihnen stehen 722.000 Alkohollenker gegenüber.

Noch im Frühling gab es rund um das Thema eine hitzige Diskussion. Damals versuchten Norbert Hofer und Herbert Kickl (beide FPÖ) die Regelungen für Drogenlenker massiv zu verschärfen. Der Änderungsvorschlag für die 32. StVO-Novelle sah etwa vor, dass nicht nur Amtsärzte, sondern auch bestimmte Beamte Blut abnehmen dürften und dass Suchtgift mit Suchtmitteln, also Drogen mit potenziell süchtigmachenden Medikamenten, gleichgesetzt würde. Die Novelle ging nicht durch, einerseits weil es massive Kritik von Experten hagelte, andererseits weil die Regierung zerbrach.

Im heurigen Juli dann brachten Türkis und Blau einen Entschließungsantrag ein, der den Novellenvorschlag erneut thematisiert. Darin ist davon die Rede, dass Grenzwerte "das Risiko von Fehlbeurteilungen verringern" könnten. Der Antrag wurde zusammen mit den Stimmen der Neos beschlossen.

Damit ist, zumindest was aktuelle parlamentarische Mehrheiten angeht, der Weg frei für eine Einführung von Grenzwerten. Zumindest die SPÖ aber ist mit der aktuellen Regelung zufrieden. Ex-Gesundheitsminister Alois Stöger sagt auf STANDARD-Anfrage, man könne falsche Bescheide ja bekämpfen: "Ja, das ist mühselig, aber das ist der Rechtsstaat." Darüber hinaus brauche es bei dem Thema Sachverständige, die vom Fach etwas verstünden und nicht mit Vorurteilen arbeiteten. (Gabriele Scherndl, 11.11.2019)