Die Zusammenarbeit zwischen den großen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen und der Regierung, gefasst in den Begriffen "Sozialpartnerschaft" beziehungsweise "Austrokorporatismus", wurde nach 1945 in Österreich zu einem herausragenden Kennzeichen der Interessenpolitik. International betrachtet handelte es sich dabei zwar um keine singuläre Ausprägung. Was Sozialpartnerschaft allerdings wesentlich von anderen Formen korporatistischer Interessenpolitik unterschied, war deren große Bedeutung für die politische und wirtschaftliche Entwicklung und ihre über Jahrzehnte andauernde Stabilität.

Politischer Mitgestaltungsfaktor

Sozialpartnerschaft wurde in der Zweiten Republik zu einem zentralen politischen Mitgestaltungsfaktor in so wichtigen Politikbereichen wie der Sozial-, Arbeitsmarkt- und der Wirtschaftspolitik. Das kooperative Muster kam auch in der gesamtwirtschaftlich ausgerichteten Lohnpolitik zum Tragen. In der Literatur besteht daher weitgehend Konsens, dass Sozialpartnerschaft somit wesentlich zur vergleichsweise günstigen wirtschaftlichen und sozialen Performance Österreichs beigetragen hat: Die Nachkriegsjahrzehnte waren durch langfristig höheres Wirtschaftswachstum sowie niedrige Arbeitslosen- und Inflationsraten gekennzeichnet. Sozialpartnerschaft trug zum Schutz gegen externe Schocks und zur Reduktion von Unsicherheit bei.

Seitens der Regierungen wurde wiederholt ihre Rolle als Aushängeschild betont, nicht nur für den "sozialen Frieden", sondern auch für die Standortsicherung der österreichischen Wirtschaft. Das im Rahmen kooperativer Arbeitsbeziehungen geringe Niveau an Arbeitskonflikten und Arbeitskämpfen galt als wesentlicher Anreiz für die Ansiedlung ausländischer Unternehmungen. Die Risiken für Unternehmensinvestitionen waren besser kalkulierbar. Auch aktuelle Studien belegen die positiven volkswirtschaftlichen Auswirkungen des sozialpartnerschaftlichen Musters. So haben im Vergleich zu Ländern ohne diese Tradition korporatistisch geprägte Länder die letzte Banken- und Finanzkrise ungleich besser bewältigt – betreffend den Arbeitsmarkt, die soziale Absicherung und die wirtschaftliche Entwicklung.

Hochblüte und erste Zäsur

Die Hochblüte sozialpartnerschaftlichen Einflusses zeigte sich in den 60ern und 70ern an einer Vielzahl sozial-, arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischer Gesetze. Veränderungen des politischen, sozialen und wirtschaftlichen Kontextes im ausgehenden 20. Jahrhundert schlugen dann auch auf das interessenpolitische Muster durch: Sozialpartnerschaftliche Gestaltung kam immer weniger oft und bei immer weniger Materien zum Tragen. Verstärkt wurde dieser Trend noch durch die erstmalige Koalition zwischen ÖVP und FPÖ/BZÖ (2000–2006). Die schwarz-blaue Regierung unter Kanzler Wolfgang Schüssel hatte die Sozialpartnerschaft als wichtigen politischen Gestaltungsfaktor vorläufig weitgehend ausgeschaltet. Deutlich daran wird, dass für die Stabilität und Instabilität des sozialpartnerschaftlichen Musters die jeweilige Regierungskonstellation eine wesentliche Rolle spielen kann und spielt.

Revival und zweite Zäsur

Die neuerliche Etablierung der traditionellen rot-schwarzen Koalitionsregierung brachte für einige Jahre eine Wiederbelebung sozialpartnerschaftlicher Interessenpolitik, wenn auch in einem beschränkteren Rahmen. Die großen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen wurden in eine Reihe von Entscheidungsprozessen wieder eingebunden. Eine Verfassungsergänzung garantiert den Kammern, und damit auch den in die Sozialpartnerschaft involvierten Kammerorganisationen, eine Absicherung als Selbstverwaltungskörper. Politische Eingriffe, wie beispielsweise die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft zu den Kammern, bedürfen nunmehr einer parlamentarischen Zweidrittelmehrheit.

Dieses Revival war allerdings nicht von Dauer. 2017 wurde erneut eine schwarz-blaue Regierung etabliert. Auch wenn diese nicht einmal zwei Jahre im Amt war, erfuhr das sozialpartnerschaftliche Muster einschneidende Veränderungen, die in ihrer Radikalität über die Änderungen unter Schüssel weit hinausgingen: Zumindest vorläufig kam insgesamt das Aus der Sozialpartnerschaft als politischer Gestaltungsfaktor.

Mit Kurz und Strache kam das Aus der Sozialpartnerschaft als politischer Gestaltungsfaktor.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Sozialpartnerschaft unter Druck

Dass Sozialpartnerschaft und ein Teil ihrer Träger unter beträchtlichen Druck geraten würden, dafür gab es im Wahlkampf 2017 ebenso wie im Regierungsprogramm von Schwarz-Blau deutliche Signale. Die seit ihren Anfängen sozialpartnerschaftsfeindliche FPÖ propagierte ebenso wie die Neos die Abschaffung eines Kernelementes des Kammersystems: die Pflichtmitgliedschaft. Die FPÖ machte die Realisierung ihrer Forderung gar zu einer Bedingung ihrer möglichen Regierungsbeteiligung.

Dies gelang ihr zwar nicht, sie schaffte es allerdings, im Regierungsprogramm ein Ultimatum an die Kammern zu verankern: "Die Bundesregierung wird an die gesetzlichen Interessenvertretungen herantreten und diese einladen, bis zum 30. Juni 2018 entsprechende Reformprogramme vorzulegen. Diese Programme sollen konkrete Effizienzsteigerungen und finanzielle Entlastungsmaßnahmen für die jeweiligen Mitglieder beinhalten. Erscheinen die vorgeschlagenen Maßnahmen zu wenig weitgehend beziehungsweise nicht ausreichend zielorientiert, behält sich die Bundesregierung vor, gesetzliche Maßnahmen dem Nationalrat zur Beschlussfassung vorzulegen." Die Regierung hat diesen Termin verstreichen lassen, was nicht heißt, dass sie ihr Vorhaben aufgegeben hätte. Der Bruch der Regierung im Mai 2019 kam dazwischen.

Ausschaltung sozialpartnerschaftlicher Interessenpolitik

Realisiert wurde allerdings ein Kernpunkt sozialpartnerschaftlicher Interessenpolitik: die Ausschaltung der Sozialpartnerschaft als politischer Gestaltungsfaktor. Bei einer Reihe von Gesetzesbeschlüssen, die insbesondere die Interessen der Arbeitnehmerorganisationen berührten, hat sich die schwarz-blaue Regierung von den traditionellen Spielregeln einer Verhandlungsdemokratie und vom Muster sozialpartnerschaftlicher Interessenpolitik "verabschiedet".

Es gab keinerlei Sozialpartnerverhandlungen mit der traditionell gleichberechtigten Einbindung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen. Dies hatte allerdings merkbar unterschiedliche Konsequenzen. Die Unternehmervertretungen, die Industriellenvereinigung ebenso wie die Wirtschaftskammern, können ihre Interessen unübersehbar aufgrund der engen Vernetzung mit der Regierung, im Besonderen mit der Regierungspartei ÖVP, durchsetzen. Die WKO hat dies in ihrer Agenda 2018 in folgende Worte gefasst: "Dank des Einsatzes der WKO trägt das neue Regierungsprogramm die Handschrift der Wirtschaft."

Nicht überraschend, dass WKO-Präsident Harald Mahrer sich unlängst in einem Radiointerview eine Fortsetzung des Wirtschaftskurses der geplatzten ÖVP-FPÖ-Regierung wünschte: "Das war eine der standortfreundlichsten Regierungen der letzten Jahrzehnte … Wir sind extrem daran interessiert, dass so ein Kurs auch fortgesetzt wird."

Ganz anders stellte sich die Situation für die Arbeitnehmerorganisationen dar: Schon die ersten sozialen Maßnahmen der Regierung von Ende 2017 erfolgten ohne deren Einbindung: Die unter der rot-schwarzen Vorgängerregierung eingeführten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Aktion 20.000 und des Beschäftigungsbonusses wurden ausgesetzt beziehungsweise liefen aus. Ohne substanzielle Gespräche, geschweige denn Verhandlungen wurde gegen breiten Widerstand die tägliche wie wöchentliche mögliche Höchstarbeitszeit (zwölf beziehungsweise 60 Stunden) im Juli 2018 gesetzlich verankert. Bisher war dies im Wesentlichen nur über eine Betriebsvereinbarung möglich.

Die Neuregelung schwächte damit direkt die betriebliche Interessenvertretung, indirekt die Gewerkschaften. Gegen die mit parlamentarischer Mehrheit von den Regierungsparteien und Neos beschlossene Arbeitszeitregelung gab es den mit circa 100.000 Demonstrierenden breitesten Protest in der eineinhalbjährigen Regierungszeit von Schwarz-Blau. Die Regierung griff allerdings nicht nur in die bestehende Gesetzeslage zulasten der Arbeitnehmer und ihrer Vertretung, sondern erstmalig in der Zweiten Republik auch in Kollektivverträge ein – wie das Beispiel des Generalkollektivvertrages betreffend die Karfreitagsregelung zeigt. Eine Absprache mit den betroffenen Tarifpartnern stand nicht auf der Regierungsagenda.

Umbau der Sozialversicherung

Einen schweren Eingriff in das traditionell sozialpartnerschaftlich organisierte Institutionensystem stellt der Umbau der Sozialversicherung mit der einschneidenden Veränderung des Entscheidungssystems in der Selbstverwaltung dar: Die Zahl der Sozialversicherungsträger wurde von 21 auf fünf reduziert, die traditionellen neun Gebietskrankenkassen abgeschafft, diese durch eine zentralisierte Institution, die Gesundheitskasse Österreich, ersetzt, und die Kräfteverhältnisse durch die neu eingeführte formelle Gleichstellung zugunsten der Dienstgebervertreter substanziell verschoben.

Seit der Einführung der Krankenversicherung im Jahr 1888 gab es in der Selbstverwaltung der Krankenversicherung der unselbstständig Erwerbstätigen aus gutem Grund immer eine Mehrheit der Dienstnehmervertreter. Dass in dieser überhaupt die Vertretung der Dienstgeber eingeführt worden ist, hing mit dem Misstrauen der Regierenden gegenüber einer damals noch politisch entrechteten Arbeiterschaft und ihrer Vertretung zusammen. Die Mehrheit der Dienstnehmervertreter in der Krankenversicherung wurde selbst im Austrofaschismus nur reduziert (von 4:1 auf 2:1), nicht jedoch abgeschafft. Dies schaffte erst die Regierung Kurz/Strache. Nach einer Reihe von Einsprüchen ist der Verfassungsgerichtshof aktuell mit diesen befasst.

Zukunft der Sozialpartnerschaft

Bemerkenswert trotz der radikalen Veränderung der Sozialpartnerschaft unter Kurz/Strache ist, dass diese als Thema im jüngsten Wahlkampf keine Rolle gespielt hat. Am deutlichsten noch haben dazu die Neos eine negative Position bezogen, die FPÖ betonte wie bisher schon ihre ablehnende Haltung zu Pflichtmitgliedschaft und Kammerwesen.

Obwohl nur eineinhalb Jahre im Amt, hat die schwarz-blaue Regierung das traditionelle System der Sozialpartnerschaft einschneidend verändert: Einer der zentralen Gestaltungsfaktoren der Zweiten Republik wurde ausgeschaltet – zumindest vorläufig. Ob das auch in Zukunft so sein wird, wird wesentlich von der neuen Regierungskonstellation abhängen. Bei einer Fortsetzung von Schwarz-Blau wäre dies wohl erwartbar. Kommt es zu einer Koalition der ÖVP mit den Grünen oder der Sozialdemokratie, wäre eine abgeschlanktere Version der Sozialpartnerschaft nicht auszuschließen. (Emmerich Tálos, Tobias Hinterseer, 13.11.2019)