In Stein gemeißelt sind nur die Pressefotos: Tahliah Barnett alias FKA Twigs produziert frei fließenden Hightech-R-'n'-B.

Foto: Young Turks

Das Cover des neuen Albums von FKA Twigs wurde vom britischen Künstler Matthew Stone gestaltet, der die Musikerin und Tänzerin von Anfang an begleitet. Es zeigt ihr Gesicht, das mittels digitaler Manipulation in Stein gemeißelt und über die Jahrhunderte vor allem auch bezüglich der toten Augen so abgelebt wie eine antike Statue wirkt. Der Zopf endet in einem Schlangenkopf. Die Schlange, ein kulturhistorisch reichlich und mannigfaltig vorbelastetes Symbol zwischen positiver Energie und destruktiven Vorzeichen, das man je nach Gusto deuten kann.

Zurück nach schwerer Krankheit

Die britische Sängerin FKA Twigs hat sich nach schwerer Krankheit, zu der auch noch die Trennung von Schauspielerfreund Robert "Twilight" Pattison kam, für die Songs des Albums Magdalene nicht unbedingt neu ausgerichtet. Immerhin herrschte auch schon auf ihrem mittlerweile fünf Jahre alten Studiowerk LP1 eine gewisse stilistische Beliebigkeit hinsichtlich der Christel-von-der-Postmoderne vor.

Mittlerweile ist in sämtlichen Spielarten des Pop die Übereinkunft zu verzeichnen, dass alles möglich ist. Ein gutes Jahrhundert Pop, Mode und Verzweiflung hinsichtlich der immer neuen Kombination von Stilen, Formen, Farben und ein paar lässigen Zierstreifen liegt längst hinter uns. Das Neue ist immer schon vorhanden, wenn nicht komplett durchdekliniert. Es ist mittlerweile auch mindestens zweit-, wenn nicht drittverwertet zum Einsatz gekommen.

FKA twigs

Artifiziell gebrochen

Insofern muss man heute Pop, so man nicht mit jugendlichem und ahistorisch ausgerichtetem Elan in die ganze Geschichte geht, immer hinsichtlich seiner Produktions- und Wirkungsgeschichte, wenn nicht gleich ironisch zitierend denken und rezipieren.

Tahliah Barnett alias FKA Twigs, 1988 in der Nähe von Bristol geboren, startete ihre Karriere als Tänzerin in Videos von Kylie Minogue und Ed Sheeran. Kombiniert mit einer auf die Techniken der Collage, des Morphings und Samplings vertrauenden Musik ergibt das in aktuellen Videos wie der futuristischen Pole-Dancing-Orgie Cellophane eine ebenso naheliegende wie gleichzeitig zwingende und verhuschte Form von Popkunst des 21. Jahrhunderts. Die wird zwar nie in den vorderen Rängen der Charts auftauchen. Mit ihrem hellen, intensiven und sehr gern auch nur gehauchten Sopran und diversen, heute obligaten Soundeffekten auf der Stimme vermochte es FKA Twigs aber schon für LP1 oder Nachfolgearbeiten wie M3LL155X sehr souverän, die von angesagten Elektronikproduzenten wie Arca oder Clams Casino gefertigte, bewusst artifizielle und gebrochene Musik zu kraftvollen Statements des Avant-Pop zu machen.

Weibliche Sexualität im Zentrum

Inhaltlich geht es auf Magdalene natürlich um die biblische Figur der Maria Magdalena, die von FKA Twigs ein wenig esoterisch angehaucht im alten dämlich männlichen Spannungsfeld zwischen Heiliger und Hure als "jungfräuliche Hure" beschrieben wird: "I can lift you higher / I do it like Mary Magdalene / I want you to say it / Come just a little bit closer 'til we collide".

Es geht wie immer bei FKA Twigs um weibliche Sexualität, um identitätsstiftende Freude, Lust und Begehren, das damit verbundene Leid, auch um Erniedrigungen und Devianz. Der nun von Experimentalelektroniker Daniel Lopatin alias Oneohtrix Point Never produzierte Track Day Bed etwa beschreibt Masturbation als probates Heilmittel bezüglich depressiven Trennungsschmerzes. Auch der Song Holy Terrain, ein Duett mit US-Trap-Rapper und Autotune-Junkie Future, der ausgerechnet von Großraumdiscostar Skrillex leicht aseptisch produziert wurde, schlägt in die libidinöse Richtung aus.

FKA twigs

Zerschossene Kirchenlieder

Ein Großteil des Albums wurde – mit FKA Twigs als Songwriterin – von Laptopmusiker Nicolas Jaar (Darkside) gefertigt. In Nachfolge von Arca und dessen kalten, zerschossenen Kirchenliedern für menschenleere Dancefloors sind so Songs entstanden, die oft weniger mit zeitgenössischem R 'n' B und sehr viel mehr mit dem klassischen Kunstliedpop von Übermutter Kate Bush zu tun haben.

Wie es scheint, wird die außerhalb Großbritanniens seit jeher unterschätzte Kate Bush (Hounds of Love und Running Up the Hill, 1985) schon seit längerem von einer jungen Musikergeneration heimlich wiederentdeckt. Das freut vor allem etwas ältere Leute, die sich beim Thema Popsong immer noch eine Melodie und kluge Arrangements erwarten. (Christian Schachinger, 7.11.19)