Opa Gustav als Waffendealer

Als Bub bin ich öfter in eine Schießerei geraten. Wenn die Armee des Stubener Obertrum gegen das Heer des Stubener Untertrum anrückte, dann war das Krieg. Dann flogen mir die Kugeln virtuell um die Ohren. Peng, peng, ratata, kawumm. Ich war aber ausrüstungstechnisch im Nachteil, da ich von meinen Eltern mit einem Waffenembargo belegt worden war.

Ich musste mir also eine Knarre auf dem Schwarzmarkt besorgen: Waffendealer-Opa Gustav wusste, was zu tun ist. Er nahm ein Brett und formte mit der Stichsäge kunstvoll einen Karabiner, mit dem ich würdevoll in den Konflikt ziehen konnte – so wie der Michel aus Lönneberga mit seiner "Büsse". Opa Gustav hatte dafür Verständnis. Er führte selbst gerne Krieg, am liebsten mit Opa Alois.

Ich kann mich erinnern, wie die beiden Veteranen bei dem einen oder anderen Achterl Weltkriegserfahrungen austauschten. Das war verstörend faszinierend. Stolz reichte ich die "Waffe" später an meinen kleinen Bruder weiter. Als der Lauf abbrach, wurde er durch einen abgesägten Besenstiel ersetzt. Jetzt sah das Ding wie eine Pumpgun aus. Und ja, die "Puffn" existiert immer noch. Sie hat die Jahrzehnte besser überstanden als so mancher Plastikrevolver made in China. Danke, Opa.

Markus Böhm ist im burgenländischen Dorf Stuben aufgewachsen. Inzwischen ist er RONDO-Uhren-Redakteur.


Hölzerner Held der frühen, wilden Jahre

Heute sehen wir uns nur selten. Dann, wenn es mich ins Schlafzimmer der Mama verschlägt. Da steht er dann, ein bisschen im Eck, aber noch immer bestens in Form: der Florian, mein altes Schaukelpferd, das ich bekommen habe, als ich drei oder vier war. Gefühlt ist er kleiner geworden über die Jahrzehnte. Er war ein richtig toller Hengst für mich, damals, als er unter dem brennenden Baum stand. Es war Liebe auf den ersten Blick: ich und der Florian. Warum ich das Pferd so taufte, weiß ich nicht mehr, nur noch, dass ich mich groß und frei fühlte, wenn ich auf seinen Rücken kletterte und mich mit ihm wild schaukelnd durch die Zimmer und durch die darauffolgenden Kindheitsjahre bewegte.

Daran musste ich denken, als neulich ein Gastkind "meinen" Florian unter einem Kleiderhaufen der Mama entdeckte und gar nicht aufhören wollte, darauf zu reiten. Hopp, hopp, hurra! Seit kurzem weiß ich, dass alles auch ganz anderes hätte kommen können.

Als meine Mama damals das Pferd im Auktionshaus ersteigern wollte, hat sie sich vertratscht und den Zuschlag gar nicht bekommen. Oh weh, oh weh: Was soll ich jetzt meinem armen Kind bloß schenken? Der Käufer hat sich erbarmt, und Florian wurde zum hölzernen Helden meiner frühen Jahre.

Mia Eidlhuber ist Ressortleiterin im STANDARD-ALBUM, liebt Bücher und den Wald.


Im Rausch der Tiefe

Foto: Hersteller

Kollegin M. prustete, als ich ihr ein Bild von Big Jim zeigte. Es war ein herablassendes Prusten. Ich gebe zu, Big Jim klingt nicht nur wie der Name des berühmten 80er-Jahre-Pornodarstellers Long Dong. Er hat auch optisch das Zeug zum Parademimen des erotischen Lichtspiels. Dabei verfügt dieser Neandertaler der Actionfiguren nicht einmal über einen Schambereich. Er könnte also als Vorfahre der geschlechtsneutralen Barbie-Puppe durchgehen. In der Größe brachte es mein Big Jim von Mattel auf 24 Zentimeter. Legte man ihm einen Ring um den Oberarm und winkelte diesen an, spickte er den Ring mit einem Knacken in die Luft. Ansonsten war er ein stummes Männlein. Und ziemlich steif. Denke ich an ihn, erinnert er mich ein bisschen an Sebastian Kurz, auch wenn mein Jim fescher war.

Foto: Alex Stranig

Ein einziges Mal wurde er wirklich lebendig. Meine Großmutter Elfriede flößte mir aufgrund eines Missverständnisses anstatt der verordneten halben Pille eine halbe Packung Antibiotika ein. Ich hatte mir am Tag zuvor am Strand des Bodensees eine ziemlich große und spitze Glasscherbe eingetreten.

Der Zustand nach Einnahme der Pillen war, nun, nennen wir es bewusstseinserweiternd. Big Jim, er trug an diesem Tag sein blaues Taucheroutfit samt Harpune, ging mit mir unter einem Glastisch bei der Oma auf Tauchstation. Was ich dort erlebte, erinnert mich heute an Luc Bessons Streifen Im Rausch der Tiefe.

Michael Hausenblas ist Redakteur beim RONDO, wo er sich in erster Linie mit dem Bereich Design beschäftigt.


Der Sound der Kugel

Schach mit dem Opa war auch nett, aber für die denkfaulen Stunden zwischen Fernsehen und noch einmal Fernsehen war unser alter Holzflipper das Beste vom Besten. Man musste nichts tun, außer mit dem gefederten Abzug die kleine Metallkugel in ihre unvorhergesehene Bahn schnellen zu lassen. Pccchhhhhhh. Was für ein Sound. Dieses klasse Rollgeräusch der Kugel war circa das Schicksalbehaftetste meiner damaligen Tage. Wird die Kugel gut laufen? Oder zeigt sie sich schon am Anfang schlapp und biegt gleich ab in die unsäglichen Zehner- oder gar Fünferlöcher am unteren Ende der Stoßbudel? Das war leider oft so. Ärger! Es half natürlich nicht, das kleine Ding beim nächsten Mal mit Karacho loszuschicken, denn dann ging es über die Kurve hinaus. Kreizsacklzement!

Foto: Matthias Affenzeller

Gut war, dass ich den Holzflipper im Alleingang bespielen konnte. Das gewährte Ruhe und Frieden vor den anderen. Und gefallen hat er mir auch: diese edlen, damals noch mit rotem Nagellack eingefärbten kleinen, runden Einbuchtungen, in denen das Geschoß hätte landen sollen.

Irrstes Hochgefühl erzeugte aber das Klingeln, wenn die Kugel irgendwann dann doch in den mit Nägelchen gesäumten 200er-Kreis eingelaufen kam. Nägel! Echt, so war das!

Margarete Affenzeller ist Redakteurin im Kulturressort und berichtet vor allem über Theater.


Verkehrsmittel zum Zweck

Dies ist eine Selbstanzeige: Ich habe Mimi überfahren, hie und da Leni, manchmal Puppi. Der knallrote Autobus in meinem Kindergarten war Verkehrsmittel zum Zweck: Wenn ich nicht mit den Buben Auto spielen wollte, rollte ich mit dem Blechbus über die Puppen der Mädchen. Ich heischte nach Aufmerksamkeit, die holde Weiblichkeit schenkte sie mir. Meist folgte eine Einladung zum Mitspielen in der Puppenküche, die ich eben erst um ein paar Köchinnen dezimiert hatte.

Foto: Sascha Aumüller

Was ein Dreijähriger daraus lernen kann, ist simpel: Mit Blechspielzeug auf vier Rädern kommt man nicht allzu weit, aber den Mädchen näher. Seltsam wurde es erst später. Im Gymnasium hatte ich einen Physiklehrer, der meiner Kindergartenlogik 50 Jahre und länger treu geblieben war. Sein Lebensmotto: "Ich fahre den Puppen drüber. So habe ich die ganze Aufmerksamkeit." Er fiel Schülerinnen grundsätzlich ins Wort, fuhr danach fort mit dem Stoff wie ein Busfahrer, der alle Haltestellen auslässt.

Die Sitten in meinem Kindergarten in den Wiener Suburbs (Steiermark) waren rau, aber wenigstens herrschte gendergerechte Gewalt. Wenn eines der Mädchen mehr Jause wollte, legte es einfach die grauslichen Haare von Mimi, Leni oder Puppi auf mein Wurstbrot.

Sascha Aumüller ist Redakteur beim RONDO und berichtet vorwiegend über Reisen – selbstverständlich auch über Busreisen.


Eine toxische Beziehung

Es war keine Liebe auf den ersten Blick. Das lag aber nicht an ihr. Es lag an mir. Die Alternative war zu reizvoll. Das Tragerl Bier für Onkel Erich unter dem Christbaum hatte eine wunderschöne rote Schleife umgebunden und roch so viel mehr nach Freiheit und Spaß. Ich war jung und wollte das Bier, nicht die Puppe.

Meine Mutter sah das nicht ein. Die Dreijährige soll ihre erste Puppe nehmen, Erich bekommt das Bier. Basta. "Und, Katharina, wie willst du sie nennen?", flötete sie. Ich war enttäuscht. "Krax", antwortete ich. Meine Mutter protestierte natürlich. Karin, Susi, Sabine, das seien doch hübsche Namen. "Nein, das ist die Krax." Basta.

Der weitere Verlauf unserer gemeinsamen Geschichte zeigt aber: Der erste Eindruck entscheidet über gar nichts. Krax und ich – wir waren jahrelang unzertrennlich. Überall habe ich sie mit hingeschleppt.

Für sie war die Beziehung toxisch. Das muss ich zugeben. Einer ihrer Arme hängt nur noch an ein paar dünnen Fäden. Ihre Haare wurden mehrfach gestutzt. Nicht unbedingt typgerecht. Krax' stoffener Korpus ist mit rostroten Flecken besprenkelt. Aber trennen will sie sich von mir trotzdem nicht. Treu wartet sie im Keller meiner Mutter auf künftige Einsätze. Bier trinke ich hingegen bis heute nicht.

Katharina Mittelstaedt ist Innenpolitikredakteurin. An ihre Puppe denkt die werdende Mutter besonders gern.

(RONDO, 8.11.2019)