Eigentlich, so Juli Briskman, sei sie ja nicht der Typ, der sich obszöner Gesten bedient. Doch damals, im Oktober 2017, als sie auf einer Landstraße außerhalb der US-Hauptstadt Washington dahinradelte und von Donald Trumps schwarzer Wagenkolonne überholt wurde, habe es sie überkommen. "Der Finger spiegelte einfach meine Gefühle wider", erklärte sie ihre spontane Geste.

Ob der Adressat ihres "bird-flipping", wie Amerikaner den ausgestreckten Mittelfinger nennen, diesen hinter den dunkel verspiegelten Scheiben seines SUV überhaupt bemerkte, ist unbekannt.

Das Bild, das die US-Amerikanerin bekannt machte.
Foto: Brendan Smialowski / AFP

Fest steht hingegen, dass der Gruß der Frau in Richtung des Präsidenten von einem Fotografen eingefangen wurde, sich über das ganze Land verbreitete und für Furore sorgte. Briskman, damals bei einem lokalen Bauunternehmen für Marketing zuständig, wurde das zum Verhängnis – jedenfalls vorerst. Aus Sorge vor der Rache des Präsidenten wurde sie von ihrem Arbeitgeber, der von Aufträgen der Regierung und des Militärs lebt und Trump im Wahlkampf unterstützt hatte, gefeuert. Sympathisanten starteten eine Crowdfundingkampagne und sammelten übers Internet umgerechnet 130.000 Euro an Spendengeld für die alleinerziehende Mutter.

Späte Belohnung

Letztlich sollte sich die rebellische Geste für Briskmans Karriere aber doch auszahlen. Zwar gingen in ihrem Yogastudio, so berichtet sie, Drohanrufe von Trump-Anhängern ein. Aber die Washington Post widmete der Demokratin, die von 2001 bis 2009 für das Außenministerium in Kasachstan und Lettland gearbeitet hatte, eine ausführliche Berichterstattung.

Nun wird Juli Briskman Politikerin.
Foto: Brendan Smialowski / AFP

Im September 2018 kündigte Briskman ihre Kandidatur für das Board of Supervisors, eine gewählte Aufsichtsbehörde, in ihrem eher konservativen Heimatbezirk im Nordosten Virginias an. Transparentes Regieren, mehr Geld für Schulen sowie "smartes Wachstum" versprach die heute 50-Jährige den Wählern im Speckgürtel Washingtons.

Dass die ehemalige Werberin ihr berühmt gewordenes Stinkefinger-Bild als Markenzeichen inszenierte, kam auch in ihrem Bezirk gut an: Keinem anderen lokalen Kandidaten wurde so große Aufmerksamkeit zuteil. Mit 52 Prozent gewann sie am Mittwoch schließlich gegen die langjährige republikanische Amtsinhaberin.

Für Briskman ist ihr kleiner Sieg Ausdruck einer, wie sie hofft, US-weiten Wechselstimmung. Und: "Ich würde Trump wieder den Finger zeigen. (Florian Niederndorfer, 6.11.2019)